Sozialverträglich ableben
Dienstag, 19. Januar 2010
Bereits im März 2004 riefen die Vereinten Nationen nach Hilfsgeldern für Haiti. Vor knapp zwei Jahren wurde nur zögerlich davon berichtet, dass aufgrund der steigenden Lebensmittelpreise der Hunger in Haiti wüte. Als ob das nicht ausreichte, sicherte die Weltgemeinschaft Gelder zu, die nie im vollem Umfang eintrafen. Die Wälder Haitis werden seit Jahrzehnten systematisch gerodet, was Verkarstung und regionalen Klimawandel nach sich zieht. Rodungen, auch im Namen industriestaatlicher Unternehmen, die mit dem Raubbau Profite erzielen. Nein, das Erdbeben hat die Lage nicht wesentlich verschlechtert - es hat der chronischen Armut nur die Krone aufgesetzt.
Wo waren damals die emsigen Helfer, denen es eine Herzensangelegenheit war, den Menschen Haitis unter die Arme zu greifen? Wo die Spendengalas? Wo hochtrabende Prominente, die mit Leichenbittermiene um einige Groschen bettelten? Wo versteckte sich die emotionalisierte Berichterstattung der üblich verdächtigen Gazetten? Wo haben die einschlägigen Medien über teuere Lebensmittel berichtet? Wo über den einstigen Hilferuf der Vereinten Nationen? Und wenn, wie groß war der Aufmacher?
Ihr Elenden dieser Welt, ihr solltet spektakulär sterben! Nur dann, wirklich nur dann, nehmen euch die selbstgefälligen Industrienationen wahr. Industrienationen, die arrogant von der Weltgemeinschaft sprechen, wenn sie von sich selbst erzählen. Sie sind die Gemeinschaft der Welt! Sie sind die Welt! Solange ihr in eurer Baracke still dahinsiecht, langsam ausmergelt, immer dünner, immer knochiger werdet, interessiert man sich für euch nicht. Man sieht eure Not nicht, den bohrenden und ziehenden Hungerschmerz, die durchschüttelnden Krämpfe, den geistigen Verfall, der mit Hunger einhergeht. Selbst euer körperlicher Abbau ist nicht zu erkennen, weil er langsam, etappenweise vollzogen wird - langsam, aber zielsicher auf den Tod hinarbeitend.
Auch der Tod will selbstvermarktet sein, ihr Elenden! Der edle Spender westlicher Art will etwas geboten bekommen für sein Geld. Er will das Leid, das er abzuhelfen sich vorstellen könnte, zunächst begutachten; er will ein Showelement, will am Laufsteg des Elends staunen, am Catwalk der Qualen stutzen, um seine Spendenbereitschaft liebkost und geschätzt zu wissen. Raus aus euren Hütten! Rein ins Rampenlicht! Ihr erhaltet nur Zuwendung, wenn euch bebende Erdplatten mit Trümmern bedecken oder gigantische Fluten wegspülen. Man will den Tod sehen, im gewaltigen, unaussprechlichen Maßstab, man will in Massengräber starren, die noch nicht zugeschüttet wurden, in denen die Toten wild übereinander und kreuz und quer liegen. Show birgt Mitleid! Krampfende Hungerbäuche nimmt keiner wahr! Was ist schon der Hungertod, der in Raten verabreicht wird, gegen das sekundenschnelle Auslöschen von Leben? Der eine stirbt evolutionär, sich behäbig zum Tode hin entwickelnd, der andere revolutionär, die vitalen, atmenden Zustände von einen auf den anderen Moment ins Gegenteil umwerfend. Ihr elenden Hungerleider, ihr leidet und verendet letztendlich nicht sozialverträglich!
Sozialverträgliches Ableben bedeutet hierzulande, kurz vor Rentenantritt, bei bester Gesundheit, kurz und schmerzlos und preisgünstig, direkt an dem schon ausgehobenen Grabschacht umzufallen. Bei euch, ihr Gequälten, bedeutet es, im Angesicht von Naturgewalten verendet zu sein. Verschieden in Springfluten, abberufen durch Erdbeben, hingeschieden dank Wirbelstürmen! So gestorben, freilich in großer Anzahl, einer Massenveranstaltung gerecht, nennt man es sozialverträgliches Ableben. Denn wenn so gestorben wird, versucht sich die Weltgemeinschaft sozial zu verhalten, sozial Gelder lockerzumachen, sozial mit Mitleid und Anteilnahme zu hantieren. Ein solches Ableben ist sozial, weil es hernach ein klein wenig Soziales in euer Leben bringt! Wie unprofitabel so ein betulicher und schleppender Hungertod doch ist!
Der tägliche Tod, das stündliche Hungern - es leidet an schlechter Beratung. Wem geholfen werden will, der durchdenke seine Strategie. Der moderne Spender will keine nachhaltige Hilfe leisten, er will ungestüm und kopflos immer dann helfen, wenn es sowieso schon zu spät ist. Er will ruinierten Verhältnissen, die durch Naturgewalt zu Ruinen von Ruinen wurden, wieder zu altem Rost verhelfen. Erst dann zückt er seinen Geldbeutel! Erst dann ist er bereit, zum verantwortungsvollen Weltbürger zu werden! Solange ruinierte Verhältnisse aber herrschen, solange der Hunger hinter den Fassaden solcher Verhältnisse versteckt werden kann, kümmert es ihn wenig. Daher müssen die Elenden neue Wege beschreiten, dem Charity-Markt gerecht werden, kundenorientiert verscheiden. Wer sich weigert, findet nie einen Brotgeber. Ihr armen Kerle, werdet marktgerechter! Nur so krallt ihr euch Brotgeber! Wer leise stirbt, kein Spektakel offeriert, der berührt kein noch so aktionistisches Event-Herz, der stirbt letztlich ungehört. Unterstreicht eure Vorzüge, ihr Jammerbilder, nur wer sich selbst darstellen kann, wird zum Erfolg kommen!
Wenn euch das gelingt, wenn ihr das industriestaatliche Event-Geheische aufrüttelt, wenn die Hilfe und die Spende zum Massenereignis für kurzzeitig aufgewachte Hilfsbereite wird, dann regnet es Anteilnahme. Jedoch nicht zu üppig, einige Milliönchen müssen reichen. Wohin kämen wir mit dem Leistungsprinzip, wenn es lukullische Hilfsgelder regnen würde? Wer leistet, dem wird paradiesisch geholfen; wer Banken an die Wand fährt, dem wird das Paradies zuteil. Aber ihr, ihr armen Schlucker, ihr habt nur kurzzeitig das Gewissen aus dem Schlaf gerissen - das will freilich bezahlt sein, aber nicht in wucherischem Ausmaß. Verschüttetsein ist ja, wenn man es recht durchdenkt, keine Leistung, die man uferlos honorieren müßte!
Diese Gesellschaft tut was sie kann - zu spät und im kleinsten Maßstab. Haiti ist in aller Munde. Gelitten wurde jedoch schon vormals, interessiert hat es damals kaum jemanden; gelitten wird auch hernach wieder, interessieren wird es dennoch niemanden. Niederträchtig sind aber jene, die die fröhliche Spendengala als Verlogenheit entkleiden, als Katharsis dieser Gesellschaft, als Selbstreinigungsprozess, als Gewissensbisse, die gewissenhaft vorheucheln, gutes Gewissen zu sein. Wir tun doch was!, verkünden sie. Wir sind gute Mitmenschen! Wir helfen! Bis die Hilfsbereitschaft vergessen ist, weil von den Aufmachern dieser Gesellschaft andere Themen prangen. Bis Haiti wieder so vergessen ist, wie es immer war...
Wo waren damals die emsigen Helfer, denen es eine Herzensangelegenheit war, den Menschen Haitis unter die Arme zu greifen? Wo die Spendengalas? Wo hochtrabende Prominente, die mit Leichenbittermiene um einige Groschen bettelten? Wo versteckte sich die emotionalisierte Berichterstattung der üblich verdächtigen Gazetten? Wo haben die einschlägigen Medien über teuere Lebensmittel berichtet? Wo über den einstigen Hilferuf der Vereinten Nationen? Und wenn, wie groß war der Aufmacher?
Ihr Elenden dieser Welt, ihr solltet spektakulär sterben! Nur dann, wirklich nur dann, nehmen euch die selbstgefälligen Industrienationen wahr. Industrienationen, die arrogant von der Weltgemeinschaft sprechen, wenn sie von sich selbst erzählen. Sie sind die Gemeinschaft der Welt! Sie sind die Welt! Solange ihr in eurer Baracke still dahinsiecht, langsam ausmergelt, immer dünner, immer knochiger werdet, interessiert man sich für euch nicht. Man sieht eure Not nicht, den bohrenden und ziehenden Hungerschmerz, die durchschüttelnden Krämpfe, den geistigen Verfall, der mit Hunger einhergeht. Selbst euer körperlicher Abbau ist nicht zu erkennen, weil er langsam, etappenweise vollzogen wird - langsam, aber zielsicher auf den Tod hinarbeitend.
Auch der Tod will selbstvermarktet sein, ihr Elenden! Der edle Spender westlicher Art will etwas geboten bekommen für sein Geld. Er will das Leid, das er abzuhelfen sich vorstellen könnte, zunächst begutachten; er will ein Showelement, will am Laufsteg des Elends staunen, am Catwalk der Qualen stutzen, um seine Spendenbereitschaft liebkost und geschätzt zu wissen. Raus aus euren Hütten! Rein ins Rampenlicht! Ihr erhaltet nur Zuwendung, wenn euch bebende Erdplatten mit Trümmern bedecken oder gigantische Fluten wegspülen. Man will den Tod sehen, im gewaltigen, unaussprechlichen Maßstab, man will in Massengräber starren, die noch nicht zugeschüttet wurden, in denen die Toten wild übereinander und kreuz und quer liegen. Show birgt Mitleid! Krampfende Hungerbäuche nimmt keiner wahr! Was ist schon der Hungertod, der in Raten verabreicht wird, gegen das sekundenschnelle Auslöschen von Leben? Der eine stirbt evolutionär, sich behäbig zum Tode hin entwickelnd, der andere revolutionär, die vitalen, atmenden Zustände von einen auf den anderen Moment ins Gegenteil umwerfend. Ihr elenden Hungerleider, ihr leidet und verendet letztendlich nicht sozialverträglich!
Sozialverträgliches Ableben bedeutet hierzulande, kurz vor Rentenantritt, bei bester Gesundheit, kurz und schmerzlos und preisgünstig, direkt an dem schon ausgehobenen Grabschacht umzufallen. Bei euch, ihr Gequälten, bedeutet es, im Angesicht von Naturgewalten verendet zu sein. Verschieden in Springfluten, abberufen durch Erdbeben, hingeschieden dank Wirbelstürmen! So gestorben, freilich in großer Anzahl, einer Massenveranstaltung gerecht, nennt man es sozialverträgliches Ableben. Denn wenn so gestorben wird, versucht sich die Weltgemeinschaft sozial zu verhalten, sozial Gelder lockerzumachen, sozial mit Mitleid und Anteilnahme zu hantieren. Ein solches Ableben ist sozial, weil es hernach ein klein wenig Soziales in euer Leben bringt! Wie unprofitabel so ein betulicher und schleppender Hungertod doch ist!
Der tägliche Tod, das stündliche Hungern - es leidet an schlechter Beratung. Wem geholfen werden will, der durchdenke seine Strategie. Der moderne Spender will keine nachhaltige Hilfe leisten, er will ungestüm und kopflos immer dann helfen, wenn es sowieso schon zu spät ist. Er will ruinierten Verhältnissen, die durch Naturgewalt zu Ruinen von Ruinen wurden, wieder zu altem Rost verhelfen. Erst dann zückt er seinen Geldbeutel! Erst dann ist er bereit, zum verantwortungsvollen Weltbürger zu werden! Solange ruinierte Verhältnisse aber herrschen, solange der Hunger hinter den Fassaden solcher Verhältnisse versteckt werden kann, kümmert es ihn wenig. Daher müssen die Elenden neue Wege beschreiten, dem Charity-Markt gerecht werden, kundenorientiert verscheiden. Wer sich weigert, findet nie einen Brotgeber. Ihr armen Kerle, werdet marktgerechter! Nur so krallt ihr euch Brotgeber! Wer leise stirbt, kein Spektakel offeriert, der berührt kein noch so aktionistisches Event-Herz, der stirbt letztlich ungehört. Unterstreicht eure Vorzüge, ihr Jammerbilder, nur wer sich selbst darstellen kann, wird zum Erfolg kommen!
Wenn euch das gelingt, wenn ihr das industriestaatliche Event-Geheische aufrüttelt, wenn die Hilfe und die Spende zum Massenereignis für kurzzeitig aufgewachte Hilfsbereite wird, dann regnet es Anteilnahme. Jedoch nicht zu üppig, einige Milliönchen müssen reichen. Wohin kämen wir mit dem Leistungsprinzip, wenn es lukullische Hilfsgelder regnen würde? Wer leistet, dem wird paradiesisch geholfen; wer Banken an die Wand fährt, dem wird das Paradies zuteil. Aber ihr, ihr armen Schlucker, ihr habt nur kurzzeitig das Gewissen aus dem Schlaf gerissen - das will freilich bezahlt sein, aber nicht in wucherischem Ausmaß. Verschüttetsein ist ja, wenn man es recht durchdenkt, keine Leistung, die man uferlos honorieren müßte!
Diese Gesellschaft tut was sie kann - zu spät und im kleinsten Maßstab. Haiti ist in aller Munde. Gelitten wurde jedoch schon vormals, interessiert hat es damals kaum jemanden; gelitten wird auch hernach wieder, interessieren wird es dennoch niemanden. Niederträchtig sind aber jene, die die fröhliche Spendengala als Verlogenheit entkleiden, als Katharsis dieser Gesellschaft, als Selbstreinigungsprozess, als Gewissensbisse, die gewissenhaft vorheucheln, gutes Gewissen zu sein. Wir tun doch was!, verkünden sie. Wir sind gute Mitmenschen! Wir helfen! Bis die Hilfsbereitschaft vergessen ist, weil von den Aufmachern dieser Gesellschaft andere Themen prangen. Bis Haiti wieder so vergessen ist, wie es immer war...
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