De dicto
Montag, 18. Januar 2010
Zum Gesagten sei angemerkt: Arbeitszwang, Abschreckungselemente innerhalb der Arbeitslosenhilfe, Hartz IV trotz allem immer noch eine angenehme Variante - so und noch reizender, brechreizender, äußerte sich Hessens demokratisch legitimierte Antwort auf Herrschsucht, Roland Koch, zum ewigen Thema deutscher Sozialpolitik. Das zweibeinige Vomitivum erntet dafür Kritik - mit seinen Positionen kultiviere er die allgemeine Ansicht, Erwerbslose seien arbeitsscheu. Und wer dies tue, der ist fast schon unanständig. Unanständig!"Es ist schon fast unanständig, mit diesem Vorstoß zu suggerieren, dass die Arbeitslosen arbeitsscheu wären."- DGB-Vorsitzender Michael Sommer, laut Welt am Sonntag vom 17. Januar 2010 -
Das Hauptaugenmerk ist nicht auf unanständig gerichtet. Man lese genau: er ist fast unanständig - er strampelt demnach nicht schon in der handwarmen Brühe der Unanständigkeit, nein, er steht noch davor, am Becken- oder Kochtopfrand, ist noch nicht hineingesackt. Nur eben fast, jedoch gerade noch auf sicherem Boden. Repressionen bei den Menschen zu fordern, die am Sockel der Gesellschaft kauern, ist noch nicht gänzlich unanständig; den Furor in die Unterschichten zu tragen, ist gerade noch am Rande der Unanständigkeit; die ärmlichen Lebensumstände zu veredeln und damit zu verspotten, ist haarscharf an der Unanständigkeit vorbei. Fast unanständig! Noch nicht unanständig, gerade noch im Bereich der Anständigkeit! Zu suggerieren, dass Arbeitslose arbeitsscheu seien, so verkündet Sommer - man entschuldige die Wiederholung, aber man sollte sich dies schon mehrmals auf der Zunge zergehen lassen! -, sei fast unanständig; was auch heißen kann: zu suggerieren, Arbeitslose seien arbeitsscheu, ist gerade noch im anständigen Bereich anzusiedeln. Vielleicht nicht mehr von vornehmster Etikette, aber doch vergleichsweise unantastbar, weil immer noch im Bereich guten Benehmens.
Wortklauberei! Sicherlich. Auch das. Aber eben nicht nur. Sprache entlarvt! Sprache zieht der verborgenen Gesinnung verräterische Kleider an. Und es sind jene Gestalten, die offiziell als Sachwalter der Arbeitnehmer und Erwerbslosen auf Bühnen steigen, die aber schon seit Jahrzehnten keinen Mut besitzen, der allgemeinen Unzufriedenheit ihrer entfremdeten Klientel Taten folgen zu lassen - Taten im Namen ihrer Mitglieder, Taten im Namen der einst hehren Ziele der Gewerkschaftsbewegung. Nachdem die Tatbereitschaft austrocknete, verwelkt nun immer öfter der Mut, Schweinereien auch beim Namen zu nennen. Die offiziellen Sachwalter, die inoffiziell freilich nur Sachwalter ihres privaten Glücks sind - ihres und ihrer Freunde Glück -, kennen keine kompromisslose Sprache, nicht mal mehr, um den Showeffekt zu wahren, wonach man Vertreter der eigenen Klientel sei. Sie setzen entkräftende Partikel an Satzanfänge oder Phrasenenden: fast, möglicherweise, nahezu, ziemlich. Nichts ist, alles könnte oder würde; alles ist konjunktiv, indikativ ist nichts. Der Ist-Zustand ist, dass nichts ist - nur danach aussieht. Das Ist jener Sachwalter leitet sich nicht vom Wörtchen Sein ab, es gestaltet sich lediglich als Präsens von Schein. Aus Äußerungen wie jener des Kochs, werden dann folglich fast unanständige Vorstösse; aus Sarrazins Gewäsch werden ziemlich bedenkliche Aussagen; aus Mehrwertsteuersenkungen nach Parteispenden gewinnt man bestenfalls Eindrücke, wonach nahezu korrupte Zustände herrschen könnten. Für jene wie Sommer, leidet die Gesellschaft nicht an Schweinerei, nein, sie ist in einem undefinierbaren Zustand des Fast. Die Dinge beim Namen zu nennen, ist in einem solchen Fast einfach unmöglich. Im Fast fastet man mit konkreten Äußerungen. Nicht enden wollende Fastenzeit!
Nur nicht offen aussprechen, dass unanständig gar kein Wort mehr ist, mit dem man Koch treffend umschreiben könnte. Er wäre als kriminell, verschlagen, demokratiezersetzend, zwielichtig zu titulieren - das wäre sogar noch kulant. Vokabular, mit dem Sommer und Kollegen aber nicht aufwarten. Nicht aufwarten wollen! Nachher müßte man sich nur genieren, wenn man dem Zwielichtigen, den man öffentlich auch so genannt hätte, in die Augen blicken müßte - bei der gemeinsamen Suppe. Mensch Michael, klopft man so aber später kameradschaftlich auf die sommerliche Schulter, fast unanständig hast du mich genannt! Fast unanständig. Das war gut! So gut, dass ich es fast selbst geglaubt hätte...
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