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Bundesverfassungsgericht - Pressestelle -
Pressemitteilung Nr. 1/2011 vom 4. Januar 2011
Beschluss vom 8. Dezember 2010
1 BvR 1106/08
Ein im Rahmen der Führungsaufsicht für die Dauer von fünf Jahren
erteiltes allgemeines Publikationsverbot für die „Verbreitung
rechtsextremistischen oder nationalsozialistischen Gedankenguts“
ist verfassungswidrig
Der in der Vergangenheit wegen Volksverhetzung gemäß § 130 StGB und
unerlaubten Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger
Organisationen gemäß § 86a StGB vorbestrafte Beschwerdeführer wurde 2005
wegen Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung „Schutzgruppe“
des rechtsextremistischen „Aktionsbüros Süd“ in Tateinheit mit
unerlaubtem Umgang mit Sprengstoffen und unerlaubtem Führen einer
Schusswaffe zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Mit Beschluss vom 8.
Januar 2008 erteilte das Oberlandesgericht dem Beschwerdeführer im Wege
der Weisung im Rahmen der Führungsaufsicht - unter anderem - das nach §
145a StGB strafbewehrte Verbot, für die Dauer von fünf Jahren
„rechtsextremistisches oder nationalsozialistisches Gedankengut
publizistisch zu verbreiten“. Angesichts der früheren Verurteilungen,
der Anlasstaten und des Umstandes, dass er während des Strafvollzugs
Beiträge für rechtsextremistische Zeitschriften verfasst habe, lasse
seine unverändert fortbestehende Gesinnung besorgen, dass er künftig mit
Publikationen gegen §§ 130, 86a StGB verstoßen werde.
Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine
Verletzung seiner Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Die 1.
Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die
Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung angenommen und die angegriffene
Entscheidung aufgehoben, soweit sie das Publikationsverbot betrifft,
weil es den Beschwerdeführer in seiner Meinungsfreiheit
unverhältnismäßig einschränkt.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:
Die Meinungsfreiheit schützt grundsätzlich - in den Schranken des Art. 5
Abs. 2 GG - auch die Verbreitung rechtsextremistischer Meinungen. Die
Weisungsbefugnis im Rahmen der für verurteilte Straftäter angeordneten
Führungsaufsicht gemäß § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB fällt unter die
Schranke der allgemeinen Gesetze. Das Instrument der Führungsaufsicht
erlaubt es grundsätzlich, einem verurteilten Straftäter auch nach
Verbüßung seiner Strafe aus präventiven Gründen bestimmte legale und
grundrechtlich geschützte Verhaltensweisen zu verbieten. Bei einer
solchen präventiven Zwecken dienenden staatlichen Maßnahme, die an eine
Meinungsäußerung anknüpft, ist indes - neben einer sich auf
nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte stützenden Gefahrenprognose
- eine am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierte sorgfältige Abwägung
zwischen den durch die Meinungsäußerung drohenden Beeinträchtigungen und
der Einbuße an Meinungsfreiheit durch deren Einschränkung erforderlich.
Hierbei kann dahin stehen, ob die durch das Oberlandesgericht
vorgenommene Gefahrenprognose den verfassungsrechtlichen Anforderungen
genügt. Denn das Publikationsverbot schränkt den Beschwerdeführer
jedenfalls unverhältnismäßig in seiner Meinungsfreiheit ein.
Das Publikationsverbot ist unbestimmt. Mit dem Verbot der Verbreitung
„rechtsextremistischen oder nationalsozialistischen Gedankenguts“ - auch
unterhalb der Schwelle der §§ 130, 86a StGB - ist das künftig verbotene
von dem weiterhin erlaubten Verhalten nicht sicher abgrenzbar. Der
angegriffenen Entscheidung ist nicht zu entnehmen, ob von dem Verbot der
Verbreitung „nationalsozialistischen Gedankenguts“ jedes Gedankengut,
das unter dem nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürregime
propagiert wurde, erfasst sein soll oder nur bestimmte Ausschnitte der
nationalsozialistischen Ideologie, und, falls letzteres der Fall sein
sollte, nach welchen Kriterien diese Inhalte bestimmt werden können.
Erst Recht fehlt es dem Verbot der Verbreitung „rechtsextremistischen
Gedankenguts“ an bestimmbaren Konturen. Denn die Einstufung einer
Position als „rechtsextremistisch“ ist eine Frage des politischen
Meinungskampfes und der gesellschaftswissenschaftlichen
Auseinandersetzung. Sie steht in unausweichlicher Wechselwirkung mit
sich wandelnden politischen und gesellschaftlichen Kontexten und
subjektiven Einschätzungen, die Abgrenzungen mit strafrechtlicher
Bedeutung (vgl. § 145a StGB) nicht hinreichend erlauben.
Zudem fehlt es der angegriffenen Entscheidung an der
verfassungsrechtlich gebotenen Abwägung. Das Publikationsverbot ist aber
auch mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht vereinbar. Bei
staatlichen Eingriffen zur Gefahrenabwehr, die an den Inhalt einer
Äußerung anknüpfen, bedarf es einer sorgfältigen Abwägung. Geht es um
ein präventives Publikationsverbot, sind die inhaltliche Reichweite und
die zeitliche Dauer des Verbots, das Spektrum der verbotenen Medien
sowie die strafrechtliche Bewehrung gemäß § 145a StGB mit einzubeziehen.
Dabei ist ein solcher Eingriff von dem Betroffenen umso eher
hinzunehmen, als er sich etwa durch eine Begrenzung auf bestimmte
Situationen, auf die Form und die äußeren Umstände der Meinungsäußerung
beschränkt. Je mehr er hingegen im Ergebnis eine inhaltliche
Unterdrückung bestimmter Meinungen selbst zur Folge hat, desto höher
sind die Anforderungen an den Grad der drohenden Rechtsgutgefährdung
Indem dem Beschwerdeführer für fünf Jahre uneingeschränkt jede
publizistische Verbreitung „rechtsextremistischen oder
nationalsozialistischen Gedankenguts“ verboten wird, wird ihm abhängig
von seinen Ansichten in weitem Umfang unmöglich gemacht, mit seinen
politischen Überzeugungen am öffentlichen Willensbildungsprozess
teilzunehmen. Dies kommt jedoch einer Aberkennung der Meinungsfreiheit
selbst nahe. Auch das staatliche Interesse der Resozialisierung des
Beschwerdeführers rechtfertigt ein so weitgehendes Verbot nicht.
Dazu ein Kommentar von Rechtsanwalt Kompa:
http://www.kanzleikompa.de/2011/01/04/bverfg-funfjahriges-allgemeines-publikationsverbot-fur-die-verbreitung-rechtsextremistischen-oder-nationalsozialistischen-gedankenguts-rechtswidrig/
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