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De dicto
Samstag, 6. Februar 2010
Zum Gesagten sei angemerkt: Druck! Das ist der gesamte Inhalt der modernen Alltagsanthropologie - treffender: die vollumfängliche Inhaltsleere. Der Mensch als Bündel aus dargebotenen Zwängen, aufgenötigten Impulsen und zu vermittelnden Anreizen. Ein Menschenbild, in dem kein Platz ist für freien Willen, in dem der Determinismus in abscheulichstem Materialismus verendet, in dem nur getan und gearbeitet wird, wenn Nötigungen, Drohungen und Einengungen aufgetischt werden. In so einem plumpen Ideal wird der Mensch zum Sanktionsobjekt, zu einer Sache des gezielten Antriebs, zur Maschine, die nur arbeitet, wenn die Schmiernippel regelmäßig mit Gleitmittel wie Drohung und Druck versorgt werden."Aber Studien zeigen, dass sie nicht nur Hilfe, sondern manchmal auch Druck brauchen.- Stephanie Jungholt, BILD-Zeitung vom 6. Februar 2010 -
Druck, auch einen unbequemen Job anzunehmen. Druck, früh aufzustehen. Oder auch Druck, in eine andere Stadt zu ziehen."
Dieses drückende Gleitmittel, welches man "der arbeitenden Bevölkerung schuldig" sei, ist für solche Anthropologen per se auch gar nicht verwerflich. Im Gegenteil, man erachtet es als natürlich, schreibt es quasi der Evolution zu, implantiert es in die menschliche Natur, die in jenem modernen Menschenbild eine Mischung aus Nichtstuer, Schmarotzer und Phlegmatiker darstellt; die eine menschliche Natur ist, die nur mit Druck und Anreizen gebändigt werden kann. Nur wer innerhalb dieses Menschenideals denkt, lebt und schreibt, kann seine planlosen Texte mit einem überheblichen "Druck kann auch Hilfe sein" übertiteln. Aus Druck, Stress, der Furcht, wie beispielsweise jener, sein Lebensumfeld, seine Geburts- oder Heimatstadt verlassen zu müssen, aus dieser Anreihung verhindernswerten Unwohlseins und unerträglichen Seelenlagen, wird dann eine Hilfsmaßnahme. Man will dem Erwerbslosen nichts Böses, man ist doch auf seiner Seite, drückt und presst bloß, weil es der menschlichen Natur entspricht - man ist nicht mehr unmenschlich, wenn man Druck ausübt, ganz im Gegenteil, man ist menschlich. Allzumenschlich nur! Der Drücker verhält sich nicht inhuman dem Erdrückten gegenüber - vielmehr ist er ganz Mensch, greift nur die Facetten menschlicher Art auf, um dem Erwerbslosen erdrückend zum Glück zu verhelfen.
Vielleicht sollte man das, was hier in unnachahmlicher Herablassung als Hilfe verkauft wird, nämlich Herzbeschwerden, Angstzustände, Sozialpsychosen, Nervenzusammenbrüche und viele weitere charmante Nöte als Folge von Stress und Druck mehr, ja vielleicht sollte man sich dieses erbarmungslose Menschenbild zueigen machen. Druck dort ausüben, wo wir "manchmal auch Druck brauchen". Druck, damit unqualifizierte Journalistinnen ausgesondert werden. Druck, damit Menschenwürde bewahrt bleibt. Oder auch Druck, um Hetzer und Verbalschlächter hinter Gitter ziehen zu lassen. Druck, auf solche, die ihren gut gepolsterten Steiß auf besser gepolsterten Kissen platzieren, dabei über jene lästernd und motzend, denen das Glück gepolsterter Kissen versagt blieb. Druck auf Ahnungslose und Besserwisser, auf Aufwiegler und Scharfmacher, auf Freunde unmenschlicher Lebenszustände; Lebenszustände, in denen diese Freundchen nie landen werden, in denen sie nie die Folgen des Drucks am eigenen Leib aushalten müssen.
Druck zu fordern, so zu tun, als sei nun das Fördern ausreichend vollbracht, womit man weiterschreiten könne zum Fordern, ist wahrlich keine umwerfende Neuigkeit. Es gehört zum Standardrepertoire heutiger Eliten und ihrer journalistischen Speichelleckerjunta, sich in dieser Weise zu äußern. Den Druck aber auch noch aufzuwerten, ihn quasi zur ethischen Notwendigkeit zu krönen, übertrifft die kühnsten Vorstellungen. Jungholt entblödet sich nicht, Scheiße zu Gold zu schreiben - sie entblödet sich nicht, aus ihrer gefühlskalten Druck- und Anreizrhetorik, die Barmherzigkeit sprechen zu lassen. Wie eine Mutter Teresa ihres anthropologischen Laiennaturalismus betritt sie die Bühne ihre Hauspostille und will vermutlich Dank dafür ernten, dass sie nur im Sinne von Hilfsbereitschaft Druck ausüben, nur aus reinster Mitmenschlichkeit drücken würde. Sie und ihre Klientel lieben die Menschen so sehr, dass sie sie am liebsten erdrücken würden...
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