Spätrömische Dekadenz
Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspreche, lade zu "spätrömischer Dekadenz" ein, hat unser großer, liberaler Vorsitzender, unser Tee trinkender Dauerlächler, Guido Westerwelle, messerscharf erkannt und deshalb schon am Dreikönigstag auf dem gleichnamigen FDP-Parteitag in Stuttgart eine "geistig-politische Wende" ausgerufen.Ave imperator Guido! Morituri te salutant.
von El Patio
Seit der Zeit ist Schluss mit der ehemaligen Spaßpartei, seit dem arbeitet er hart und verbissen daran, den eigenen Anspruch an dieser geistig, moralischen Wende gerecht zu werden um sie notfalls sogar höchstpersönlich, so als erster christlicher Leistungsträger der Republik, auch einzulösen. Und so wie einst der mythologische Held Herakles die Ställe des Augias ausmistete, so ist unser Guido angetreten die spätrömische Dekadenz, die unsere Elite der Leistungsträger zu infizieren droht, aus dieser Berliner Republik zu spülen. Denn die Redewendung, „einen Augiasstall ausmisten“, die gilt in der fein geschliffenen politischen Rhetorik des Neoliberalismus auch für die Sozialtransfers und die Betriebsratsseuche, beide verunreinigen das nationale Bewusstsein des Volkes mit ihren sozialistischen Wohlstandsversprechen in den Krisenzeiten einer globalen Ökonomie.
Unser Guido brilliert dabei mit seinem historischen Bezug auf die Spätantike, mit einem ausgeprägten, politisch seltenen Tiefsinn und das im Besonderen für die geistig moralischen Zusammenhänge. War doch das herausragende Ereignis dieser Epoche der Siegeszug des Christentums unter Konstantin und damit verbunden das langsame Verschwinden vorchristlicher Kulte und Traditionen. Das Beten und Arbeiten im Schweiße des eigenen Angesichts löste den klassischen, griechisch-römisch-orientalischen Schlendrian ab. Die Rüstungsindustrie blühte wieder auf, das Heer wuchs, die Verwaltung wurde durch Diokletian und Konstantin den Großen reformiert und die sakrale Stellung des Kaisers zementiert. Die heilige Angie aus der Uckermark wird deshalb auch ab sofort zum anhimmeln durch die Boulevard-Presse frei gegeben, so als mütterlicher Sonnenschein der Republik.
In Oswald Spenglers “Untergang des Abendlandes” liest sich das dann so: „ .... die Macht verlagert sich heute (1918 ) schon aus den Parlamenten in private Kreise, und ebenso sinken die Wahlen unaufhaltsam zu einer Komödie herab, für uns, wie einst für Rom. Das Geld organisiert den Vorgang im Interesse derer, die es besitzen, und die Handlung wird ein verabredetes Spiel, das als Selbstbestimmung des Volkes inszeniert ist.”
Auch unser Guido ist da ganz der große Philosoph, wie Spengler, und er empfiehlt deshalb auch den „Blick auf die historische Formenwelt von Jahrtausenden […] wenn man wirklich die große Krisis der Gegenwart begreifen will.“ Denn es kann nur ein Ausdruck dieser spätrömischen Dekadenz sein, wenn „diejenigen, die die Leistungsbereitschaft der Bürger mit Füßen treten, sich nicht endlich entschuldigen", zürnt er deshalb auch der Journaille, die das mit der inszenierten Selbstbestimmung des Volkes immer noch nicht richtig begriffen hat.
Denn unser Guido hat seinen Oswald Spengler verinnerlicht, ganz im Gegensatz zum Mainstream, fährt doch der Spengler fort: “Und wenn eine Wahl ursprünglich eine Revolution in legitimen Formen war, so hat sich diese Form erschöpft und man “wählt” sein Schicksal wieder mit den ursprünglichen Mitteln blutiger Gewalt, wenn die Politik des Geldes unerträglich wird.”
Wer das nicht verstehe, sei selbst schuld, erklärt dazu unser Guido, denn schließlich spreche er die Sprache, die verstanden wird und keinen Wallstreet-Slang. Zuvor hatte unser Mr. Westerwave mit Blick auf die Banker, die Hoteliers und die Schweizer Steuerflüchtlinge in einem Beitrag für die "Welt" deshalb auch vor "anstrengungslosem Wohlstand" und der daraus erwachsenden "spätrömischen Dekadenz " beim Volk gewarnt.
Vollkommen zu Unrecht, fragt da der ehemalige FAZ-Blogger Thomas Strobl, ob der Westerwelle wohl weiß, dass Rom nach neueren Studien an mangelndem Steueraufkommen zugrunde gegangen ist? Natürlich weiß er das, darum runter mit den Transferleistungen, damit das Steueraufkommen des Staates wieder wächst, sonst gibt es ja nichts mehr zum umverteilen für die Leistungsträger. "Wer arbeitet, muss deshalb auch mehr haben als derjenige, der nicht arbeitet." Denn, so glaubt Westerwelle: "Alles andere ist purer Sozialismus“ , zum Schaden für die gesellschaftliche Elite und der Politik des Geldes.
Unserem Guido, als Liberalster unter den Liberalen, ist dabei bestimmt entgangen, dass im unmittelbaren Anschluß an die Bankenkrise von 1933 auch die größten Marktradikalisten in den USA dem Glass-Steagall-Act Applaus klatschten; und mit dem wurde ja auch nichts anderes gemacht, als die großen Finanzkonglomerate zu zerlegen, lese ich bei weissgarnix. Die hatten damals in den USA noch Angst vor dem Untergang des Abendlandes und den ursprünglichen Mitteln blutiger Gewalt, mit dem das Volk von Zeit zu Zeit sein Schicksal in die Hand zu nehmen pflegt, wenn die Politik des großen Geldes unerträglich wird und nicht rechtzeitig ein neues Feindbild installiert werden kann.
Thomas Strobl verweist in dem Zusammenhang auf Holger Steltzner und den Wirtschaftsteil der FAZ (der bekanntlich nicht gerade von Keynesianern und Marxisten bevölkert wird, wie er süffisant anmerkt) und zitiert: “Nie wieder dürfen Banken Staaten erpressen, nie wieder dürfen die Kosten für die Rettung des Finanzsystems auf die Steuerzahler umgelegt werden, während die vorherigen und die nachfolgenden Gewinne von einigen wenigen privat eingestrichen werden. Eine Debatte über vertretbare Größe oder Vernetzung von Banken, über die Begrenzung von Risiken durch eine Trennung zwischen Einlagen- und Investmentbank ist zielführender als der populistische Ruf nach – nutzlosen – Strafsteuern oder Bonigrenzen, die leicht zu umgehen sind.”
Das mit den Hartz IV Empfängern, das war dann bestimmt auch nur Taktik von unserem Guido, es diente lediglich der Verschleierung der spätrömischen Dekadenz in seinem neoliberalen Erweckungserlebnis, so wie bei Konstantin, so wie bei der Schlacht an der Milvischen Brücke. Auch Westerwelle mutierte vom Pharisäer Saulus zum Apostel Paulus nur in einem rein christlichen Sinn, einfach, indem er sich streng an den katholischen Theologen August Franzen, ehemals Ordinarius für Kirchengeschichte an der Universität Freiburg i. Br., mit Imprimatur (1965) orientierte, denn der schrieb über die geistig moralische Wende, des Ahnherrn Europas, des großen Kaisers Konstantin, als der damals den spätrömischen Dekadenzalarm unterm Kreuz ausrief: „... in seinem Privatleben machte er aus seiner christlichen Überzeugung keinen Hehl... und er führte ein christliches Familienleben".
Und in diesem christlichen Familienleben, da harzte dann der Konstantin, ganz zeitgemäß und spätrömisch, ordentlich rum. Er lässt seinen Schwiegervater, Kaiser Maximian, 310 in Marseille erhängen; seinen Schwager Bassianus, den Gatten seiner Schwester Anastasia - wie schon Schwager Licinius erwürgen; den Sohn des Licinius, den Prinzen Licinianus, versklaven, auspeitschen und in Karthago totschlagen; seinen eigenen Sohn Crispus, nebst vielen Freunden, umbringen; und seine eigene Frau Fausta, Mutter von drei Söhnen und zwei Töchtern, im Bad ersticken, schreibt Karlheinz Deschner. Die Freiheit seines Volkes verteidigte der heilige christliche Konstantin zwar damals noch nicht am Hindukusch, aber dafür in lebenslangen Kriegen, bevorzugt in Offensivattacken, nach außen und nach innen, in den schon damals beliebten robusten Friedenseinsätzen, so zur Stärkung christlicher Moralvorstellungen bei den Brukterer, den Alemanen, den Franken, den Sarmaten und den Goten. Alles wie gehabt.
Denn schließlich war Konstantin, wie uns der protestantische Theologe Kurt Aland versichert, „Christ, und zwar Christ dem Herzen, nicht nur der äußeren Handlung nach" und diesem großen Vorbild nachzueifern bemühte sich seither jeder christliche Staatsmann und natürlich auch unser Leistungsträger Guido.
Zu Unrecht fühlt sich da auch Heribert Prantl in der SZ bei Westerwelles Parole von der "geistig-politischen Wende" in den Zeiten "spätrömischer Dekadenz" an den frühen Helmut Kohl erinnert. Denn als unser Altkanzler vom Rockzipfel der Geschichte gestreift wurde, das ist jetzt auch schon wieder fast 30 Jahre her, da führte die Republik noch keine Kriege, der Wohlstand der Republik sollte damals noch irgendwie allen gehören und die Rente war auch noch sicher!
Ave imperator Guido! Morituri te salutant.
© El Patio
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen