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Was Krugmans "Zitronensozialismus" mit Hartz IV zu tun hat
"Zitronensozialismus" sei es, wenn Verluste sozialisiert, Gewinne privatisiert und die Bankmanager mit dem Anschein angeblich freier Unternehmer, in Wahrheit jedoch als Mündel des Staates Riesenboni kassierten, so Prof. Krugman.
Und was hat das mit Hartz IV und dem Bundesverfassungsgericht, oder gar mit privatisierten Bundesunternehmen wie Post, und Telekom in Deutschland zu tun? Versuchen wir das, schön der Reihe nach, zu beantworten.- Was der führende US-Ökonom und Wirtschaftsnobelpreisträger Prof. Krugmann als Eingriff des Staates in die Wirtschaft zugunsten weniger recht analysiert, hat zwei Seiten. In den USA wie bei uns in Deutschland geht nach der Verfassung alle Staatsgewalt vom Volke aus. Voraussetzung für ein inhaltliches Funktionieren dieses Machtmechanismus zwischen Parlament, d.h. den Abgeordneten und dem Volk ist jedoch eine integre öffentliche Diskussion über die politischen Themen und die öffentlichen Angelegenheiten.
- In den USA wie auch bei uns ist diese integre öffentliche Diskussion jedoch durch eine inzwischen hochprofessionalisierte PR-Industrie, intellektuell teils bis in die Wissenschaft hinein stark verschmutzt. Eine brilliante Analyse der US Verhältnisse von Prof. Lawrence Lessig findet sich hier (Videovorlesung in Englisch). Diese Verschmutzung wurde vor allem durch die in USA wie auch hier fortschreitende wirtschaftliche Konzentration der Presse zunächst auf lokaler Ebene stark vorangetrieben. Gab es noch Anfang der achtziger Jahre viele unabhängige Lokalzeitungen, die einen journalistischen Erfolgsdruck auch für die Großen erzeugten und zudem eine gesunde Basis an Arbeitsplätzen auch für freie Journalisten boten, sind heute regionale Monopole und überregionale Oligopole weniger Konzerne die Regel. Viele Journalisten sahen sich daher auch aus wirtschaftlichen Gründen gezwungen, in die PR-Industrie abzuwandern. Zurück blieb eine intellektuelle Wüste oft auch bei den ehemals führenden Organen wie etwa dem SPIEGEL oder der FAZ in Deutschland. In der Folge wenden sich immer mehr enttäuschte Leser ab, so dass noch weniger Journalisten unabhängige journalistische Arbeit finden. Also werden Probleme nicht mehr unabhängig analysiert und diskutiert, statt dessen von PR-Agenturen vorgefertigte stark interessengeleitete einseitige "Nachrichten" schon aus Zeitdruck der wenigen verbliebenen Journalisten veröffentlicht. Unabhängige Analysen gibt es oft nur noch von einer kleinen Schar von Bloggern im Internet, denen aber mit wenigen Ausnahmen die Resourcen des früheren Qualitätsjournalismus fehlen. Damit ist eine wesentliche Voraussetzung für das Funktionieren der repräsentativen Demokratie nur noch eingeschränkt gegeben.
- Funktioniert aber durch den weitgehenden Ausfall einer wahrhaftigen öffentlichen Diskussion und ihrer Mittler die ständige Rückkopplung zwischen Repräsentanten und dem Volk außerhalb von Wahlen, aber über stets sinkende Wahlbeteiligung auch dort nicht mehr oder nur noch eingeschränkt, ist das Regierungshandeln auch nicht mehr oder nur eingeschränkt vom Willen des Volkes getragen. Was sich (siehe 1.) scheinbar als Eingriff "des Staates" präsentiert, ist in Wirklichkeit oft nur noch Handeln im (meist verdeckten) Interesse mächtiger Interessengruppen, die über das einseitige Bestimmen der öffentlichen Diskussion die staatlichen Institutionen und die sie tragenden Parteien gewissermassen gekapert haben. Es ist genau diese Konstellation, die wir aktuell am Beispiel der Hartz IV Diskussion eindrucksvoll erleben. Denn, anstatt dass eine intensive Diskussion darüber geführt wird, warum immer weniger Arbeitsplätze und Einkommen für alle verfügbar sind und intensiv nach den Ursachen und ihrer Beseitigung geforscht wird - eine für uns wie auch für die USA, ja, jedes Volk zweifellos überaus wichtige, schicksalhafte Frage - also warum 95 % der Hartz IV-Bezieher diese Leistung beziehen müssen, beherrscht eine groteske Diskussion über den von vermutlich weniger als 5% der Empfänger begangenen Leistungsmißbrauch die politische Bühne - allemal "peanuts" im Vergleich mit billionenschwerer Banken"rettung".
- Das Bundesverfassungsgericht hat nun in seinem jüngsten Urteil die ärgsten Auswüchse von Hartz IV bereinigt, indem es als eine der wenigen verbliebenen Institutionen das unabhängige Denken noch nicht verlernt und praktisch angewendet hat. Das enorme und für uns schicksalhafte strukturelle Problem, dass die aktuellen, großen Herausforderungen unserer öffentlichen Angelegenheiten von denen intellektuell nicht mehr angemessen bearbeitet werden, die dafür zuständig sind, bleibt jedoch bestehen. Denn Karlsruhe ist nur die politische "Müllabfuhr", die ab und zu mäßige Schockwellen der Realität ins entrückte politische Establishment von Planet Berlin sendet. Es kann nur im Rahmen seiner Kompetenzen begrenzt handeln und die Abwesenheit einer klugen, am Gemeinwohl orientierten Regierung nicht ersetzen.
- Hartz IV ist dabei gewissermassen das, "was hinten rauskommt". Die tieferen Ursachen für die Hartz IV Misere werden an ganz anderer Stelle gesetzt. So ist eine völlig verfehlte Steuer- und Abgabenpolitik seit der rotgrünen Regierung Schröder einer der Gründe dafür, dass die Einkommensverhältnisse sich immer ungleicher entwickeln. Guido Westerwelle hat durchaus Recht, wenn er meint, dass unser Steuersystem nicht mehr gerecht ist. Allerdings aus einem anderen Grund, als er sagt. Die Belastungen finden sich einseitig auf Arbeitseinkommen (und Verbraucher), während Unternehmens- und Kapitaleinkommen - also Einkommen, die ja durch die Arbeit anderer realwirtschaftlich erzeugt werden müssen, perverserweise demgegenüber stark begünstigt sind.
- Dies sind freilich nicht die einzigen Ursachen. Genauso fatal sind die mit dem Urteil des Bundesverfassungsgericht und damit dem Inkraftreten des EU Vertrages von Lissabon durch Leichtfertigkeit von Bundestag und Bundesregierung faktisch in den Quasi-Verfassungsrang erhobenen völlig einseitigen "Grundfreiheiten" des Dienstleistungs- und Kapitalverkehrs, die internationale Großkonzerne zum Vorteil weniger begünstigen und nachhaltiges, regionales Wirtschaften zum Vorteil vieler verhindern. Gleichzeitig hat man mit der beständig vorangetriebenen immer weitergehenden Übertragung von Souveränitätsrechten auf die EU-Bananenbürokratie Möglichkeiten aus der Hand gegeben, diese Fehlentwicklungen noch selbst zu korrigieren. Es bleibt freilich das Recht auf Austritt aus der EU, jedenfalls dieser kranken EU, wie sie sich derzeit darstellt, und die von der lebenswichtigen Idee eines friedlichen gemeinsamen Europas selbstbestimmter Völker wohl zu unterscheiden ist.
- Hinzu kommen zu allem Überfluß auch noch die inzwischen immer negativeren Effekte des Euros auf die deutsche Volkswirtschaft durch Währungsverluste, die sich auch in der Entwicklung von Löhnen und Gehältern gravierend niederschlagen. Die Graphiken 16047 und 15586 von Joachim Jahnke zeigen deutlich die durch die künstliche Konstruktion des Euro verursachte relative Verarmung der deutschen Arbeitseinkommensbezieher und Verbraucher, weil seit der Abschaffung der DM ein Ausgleich durch Wechselkursschwankungen im Euro-Raum nicht mehr möglich ist.
- Die Ausplünderung von Telekom und Post in mehrstelliger Milliardenhöhe als ehemaliges Eigentum des Staates bzw. zahlloser Volksaktionäre, die etwa ab dem gleichen Zeitpunkt wie die verfehlte Steuerpolitik und der Euro noch beginnend unter Bundeskanzler Kohl, dann aber mit seinen Nachfolgern noch verschärft ihren Lauf nahmen, ist ein weiterer Sargnagel des Bundesfinanzministeriums für unsere Volkswirtschaft und unser (fast) aller wirtschaftliche Verhältnisse.
- Am Schlimmsten aber ist die Unfähigkeit der handelnden Politiker, Fehlentwicklungen zu korrigieren. Fehler macht jeder. Sie nicht einzusehen und weder sachliche noch personelle Konsequenzen in den beteiligten Ministerien zu ziehen, ist aber unverzeihlich. Ändert sich das nicht, werden sie wohl in absehbarer Zeit vom Volkszorn hinweggefegt - bei noch viel höheren Kosten für alle.
Verwendung der volkswirtschaftlichen Graphiken mit freundlicher Genehmigung von Dr. Joachim Jahnke, jjahnke.net. Der promovierte Volkswirt Joachim Jahnke ist ein hoher, pensionierter Ministerialbeamter des Bundes aus einer vergangenen Zeit, in der noch wirtschaftspolitische Kompetenz in Bundesministerien gefragt war. Sehr empfehlenswert sind seine Videovorträge, die in insgesamt zwei Stunden einen Überblick über die komplette volkswirtschaftliche Fehlsteuerung (nicht nur) Deutschlands, mutmasslich im Interesse einer kleinen internationalen Plutokratie, vermitteln. Dort finden sich auch Informationen über seine Bücher.
Ähnliche Gedanken finden sich übrigens auch bei Richard A. Werner, Neue Wirtschaftspolitik, Franz Vahlen München 2007, der als Volkswirtschaftsprofessor "im englischen Exil" (University of Southampton) die Mechanismen hinter der Finanzkrise schon vor ihrem Eintreffen detailiert beschreibt.
Bildquelle Wüstenfoto (Wüste Gobi): Wikimedia.
Tuesday, February 16, 2010 in Staat und Gesellschaft
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