Der hässliche Deutsche
geschrieben am 16. Februar 2010 von Spiegelfechter
Wie es deutsche „Talkshowökonomen“ geschafft haben, die deutsche Bevölkerung glauben zu lassen, sie verträten wissenschaftlich neutrale oder gar gesicherte Thesen, bleibt ein Geheimnis. International werden unsere allwissenden Vordenker jedoch bestenfalls belächelt. Normalerweise stört sich die Zunft nicht sonderlich an der fehlenden internationalen Reputation. Manchmal steht ihnen jedoch ihr übergroßes Ego im Weg. So geschehen im Falle Hans Olaf Henkel, der offensichtlich einen lapidar abschätzigen Kommentar des Ökonomen James K. Galbraith persönlich nahm, öffentlich zurückholzte und dabei mit voller Wucht in das Rassismus-Fettnäpfchen trat – in den USA eine Todsünde. Da war er wieder, der hässliche Deutsche, der Rassist in Nadelstreifen. Das progressive Amerika zeigt sich empört und fordert von Henkels Arbeitgeber, der Bank of America, den sofortige Rauswurf ihres „Senior Advisors“. Ein Sturm im Wasserglas, in Deutschland gelten Männer wie Henkel nicht als die Extremisten, die sie eigentlich sind, sondern als gemäßigte Männer der Mitte – beileibe kein Ruhmesblatt für unser Land.
Vielleicht fehlt es dem ansonsten so polyglotten Hans Olaf Henkel einfach nur an interkultureller Kompetenz. Es ist bekannt, dass die USA sehr sensibel mit dem Themen „Rassismus“ und „Diskriminierung“ umgehen und vor allem in akademischen Kreisen eine ausgesprochene Allergie gegen derlei Ansichten besteht. Selbst George W. Bush, der ansonsten kein Fettnäpfchen ausließ, war peinlich darauf bedacht, bloß nicht als Rassist oder Diskriminierungsbefürworter dazustehen.
William K. Black ist ein angesehener Professor der Rechtswissenschaften und Publizist. Der ehemalige Bankenregulierer gilt als Koryphäe auf dem Gebiet der „Weißkragenkriminalität“ und hat mehrere Werke veröffentlicht, in denen er den Verantwortlichen für die „Ramschkredite“ an soziale Randschichten, die zur Subprime-Krise beigetragen haben, nachspürt. Für den Experten sind Henkels Pauschalbeschuldigungen schlichtweg dumm und indiskutabel. Wahrscheinlich hätte er sie jedoch links liegen lassen, wenn der Urheber dieser latent rassistischen Äußerungen nicht gleichzeitig Angestellter der Bank of America wäre. Der ehemalige Chef-Lobbyist Henkel ist seit 2006 „Chief Advisor“ des Bankgiganten – ob die Bank of America wirklich an Henkels Rat interessiert ist, kann jedoch getrost bezweifelt werden, es ist vielmehr das Netzwerk des umtriebigen Lobbyisten, das für Banken sehr wertvoll ist. William K. Black hatte jedoch – anders als sein Kollege Galbraith – im fernen Kansas City auch etwas von der Hetzkampagne Sarrazins mitbekommen und ihm stieß vor allem Henkels Solidarisierung mit dem Sozialdarwinisten „ohne Wenn und Aber“ bitter auf. William K. Black schrieb einen offenen Brief an den Vorstand der Bank of America, in dem er Henkels sofortige Entlassung fordert:
In einer besseren Welt würde man die Sarrazins und Henkels auch hierzulande mit derlei Attributen versehen. In der modernen Berliner Republik gilt Henkel jedoch als bürgerliche Mitte, als Mainstream, ja als konsensfähiger Moderator. Manchmal ist es schon hilfreich, unseren Alltag von der Position eines außenstehenden Beobachters aus zu betrachten, um zu erkennen, wie pervertiert unsere Eliten eigentlich sind. Oder um Heinrich Heine komplett aus dem Kontext zu zerren – “Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht”.
Jens Berger
Inkompetenz – ein harter aber zutreffender Vorwurf
James K. Galbraith – nicht zu verwechseln mit seinem weltberühmten Vater, dem Ökonomen John Kenneth Galbraith – ist ein angesehener Ökonom. Er lehrt an der University of Texas in Austin und gilt als einflussreicher Keynesianer, der kein Blatt vor den Mund nimmt. Schon früh warnte er vor der Gefahr, die intransparente, gebündelte Kreditverbriefungen für die Finanzwelt darstellen. Diese Produkte gelten heute als wichtigster Auslöser der Finanz- und Wirtschaftskrise. Galbraith ist eine Art Anti-Henkel und befindet sich in seiner Zunft in bester Gesellschaft – auch die Ökonomie-Nobelpreisträger Krugman, Akerlof und Stiglitz vertreten diesbezüglich deckungsgleiche Positionen. Hans Olaf Henkels Welt ist einfacher. Für ihn sind die Märkte eine heilige Kuh und die Finanzkrise sei für niemanden vorhersehbar, so der Lobbyist. Als James K. Galbraith Ende Januar in einem Interview mit den kruden Thesen Henkels konfrontiert wurde, hätte er sich wahrscheinlich nicht träumen lassen, dass seine Antwort zu einem Politikum werden würde:„Nun ja, Herr Henkel sollte vielleicht ein wenig mehr lesen. Er sollte sein Verständnis darüber, was eigentlich eine ökonomische Analyse ausmacht, schärfen. […] Sein Standpunkt ist grotesk, eine vollkommen unhaltbare Position, die eine fundamentale Engstirnigkeit und – wenn ich das so offen sagen darf – Inkompetenz offenbart, was für jedermann ersichtlich ist.
James K. Galbraith in einem Interview mit Lars Schall
Si tacuisses, philosophus mansisses
Dieser Rundumschlag muss das Ego des stets arrogant wirkenden Henkel zutiefst verletzt haben. Obgleich Hans Olaf Henkel natürlich wissen muss, dass Galbraiths Kommentar hart aber überaus zutreffend ist, konnte er derlei Fundamentalkritik an seiner Person nicht auf sich sitzen lassen und holzte zurück. Wie schon zuvor in den deutschen Medien machte Henkel in seiner Replik Carters „Housing and Community Delevopement Act“ für die Krise verantwortlich. Henkel ließ es sich noch nicht einmal nehmen, diesen abstrusen Vorwurf durch die Konkretisierung auf einen bestimmten Absatz des kritisierten Gesetzes zu präziseren – nicht die Finanzmärkte, sondern das Verbot des „Redlinings“ hätten zur Krise geführt. Unter dem Begriff „Redlining“ versteht man eine Praxis, bei der Banken den Stadtplan in „gute“ und „schlechte“ Zonen aufteilen. Die Bewohner der „schlechten“ Zonen – meist Afroamerikaner – haben keine Chance, bestimmte Dienstleistungen der Banken in Anspruch zu nehmen. Das Verbot des „Redlinings“ gilt in den USA als wichtiges Gesetz, mit dem gegen rassistische Praktiken der Geschäftswelt vorgegangen wurde. Da mag es nicht verwundern, dass Henkels grobschlächtiges Geholze jenseits des Atlantiks die Alarmglocken schrillen ließ.Vielleicht fehlt es dem ansonsten so polyglotten Hans Olaf Henkel einfach nur an interkultureller Kompetenz. Es ist bekannt, dass die USA sehr sensibel mit dem Themen „Rassismus“ und „Diskriminierung“ umgehen und vor allem in akademischen Kreisen eine ausgesprochene Allergie gegen derlei Ansichten besteht. Selbst George W. Bush, der ansonsten kein Fettnäpfchen ausließ, war peinlich darauf bedacht, bloß nicht als Rassist oder Diskriminierungsbefürworter dazustehen.
Lieber Herr Sarrazin
Daheim provoziert Hans Olaf Henkel gerne und spielt sich als unterdrückter Bote einer nicht zu unterdrückenden Wahrheit auf. Henkel ist ein Anwalt des Marktfundamentalismus in seiner reinen Form. Er hält nicht viel von Marktregulierungen, noch weniger vom Sozialstaat und Umverteilung von oben nach unten ist für ihn eine Todessünde. Nicht die Märkte oder gar das System, sondern die Opfer des Systems stehen für ihn nicht nur in der Verantwortung, sondern sogar in der Schuld. Wann immer eine Person des öffentlichen Interesses gegen die Unterschicht oder Migranten hetzt, findet dies bei Hans Olaf Henkel ausdrücklichen Beifall. So gratulierte er auch dem unsäglichen Hetzer Thilo Sarrazin in einem offenen Brief in der WELT – „ohne jedes Wenn und Aber“, wie Henkel es formuliert. Henkels Obsession, hüben wie drüben die Untersten der Gesellschaft für alles und jedes verantwortlich zu machen, blieb auch in den USA nicht ohne Widerspruch.Herr Henkel ist nicht einfach ein engstirniger Fanatiker. Seine inhaltliche politische Beratung – Deregulierung und weit höhere Vergütung von Führungskräften – macht ihn zu einem der wichtigsten deutschen Architekten der Krise. Er gab der Bank of America entsetzliche Ratschläge. Aber Herr Henkels traurigster Charakterzug ist die Heuchelei. Er ist ein Serienheuchler, weil sein Fanatismus, die Dinge angreift, die er vorgibt zu vertreten. […] Herr Henkel schmeichelt den Mächtigen durch das Evangelium des Sozialdarwinismus. Herr Henkel behauptet, der Meister der “Unternehmer” zu sein – aber er behandelt “Obst und Gemüse” Unternehmer mit Verachtung. Herr Henkel verurteilt Verleumdungskampagnen gegen die “Marktwirtschaft”, aber er beginnt und unterstützt die widerwärtigsten Verleumdungskampagnen, die ungeheure Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der Weltgeschichte hervorgebracht haben.
William K. Black
Aufruhr in den USA – Alltag in Deutschland
Blacks offener Brief zog seine Kreise und wurde sowohl im Blog des bekannten Kapitalismuskritikers Michael Moore sowie im größten Blog der Welt, der Huffington Post, in voller Länge veröffentlicht. Rührselig naiv muten da die amerikanischen Kommentatoren an, denen die Tristesse der öffentlichen Diskussion in Deutschland offensichtlich nicht bekannt ist. Für sie ist Henkel wahlweise ein Rassist, ein Neocon, ein Wiedergänger der deutschen Industriellen, die Hitler unterstützten oder einfach nur das Stereotyp des hässlichen Deutschen.In einer besseren Welt würde man die Sarrazins und Henkels auch hierzulande mit derlei Attributen versehen. In der modernen Berliner Republik gilt Henkel jedoch als bürgerliche Mitte, als Mainstream, ja als konsensfähiger Moderator. Manchmal ist es schon hilfreich, unseren Alltag von der Position eines außenstehenden Beobachters aus zu betrachten, um zu erkennen, wie pervertiert unsere Eliten eigentlich sind. Oder um Heinrich Heine komplett aus dem Kontext zu zerren – “Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht”.
Jens Berger
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen