Schon wieder also liegt Westerwelle falsch.
http://www.tagesspiegel.de/politik/deutschland/Hartz-IV-Guido-Westerwelle;art122,3031709
ARBEIT LOHNT SICH HÄUFIG NICHT MEHR
Wer arbeitet, wird nach Ansicht des FDP- Chefs mehr und mehr zum „Deppen der Nation“. Mit seiner Kritik zielt Westerwelle unter anderem auf das Lohnabstandsgebot, wonach jemand, der vom Staat Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe erhält, weniger Geld bekommen soll als jemand, der einen Job hat. Arbeit müsse sich lohnen, argumentieren Ökonomen, sonst gebe es keinen Anreiz für die Menschen, eine Beschäftigung anzunehmen.
In der Tat gibt es in Deutschland Berufe, in denen sehr geringe Löhne gezahlt werden – vom Friseurhandwerk bis zur Bäckereiverkäuferin. Bei Stundenlöhnen von vier Euro ist es schwer, Hartz-IV-Niveau zu erreichen. Wer mit seinem monatlichen Verdienst unterhalb des Existenzminimums liegt, kann allerdings ergänzend Arbeitslosengeld II beantragen und hat damit monatlich zumindest nicht weniger Geld zur Verfügung als jemand, der Hartz IV bezieht. Inzwischen gibt es bundesweit mehr als eine Million „Aufstocker“. Doch nicht all diese Personen beziehen Arbeitslosengeld II, weil ihre Vollzeitlöhne so gering sind – ein Teil arbeitet in Teilzeit oder auf 400-Euro-Basis.
Bei Geringverdienern muss zudem berücksichtigt werden, dass diese zum Teil staatliche Unterstützung erhalten: Wohngeld und eventuell Kindergeld oder den Kinderzuschlag. Letzterer soll an Familien gezahlt werden, die nur durch ihre Kinder in Abhängigkeit von Hartz IV abrutschen und kann bei zwei Kindern bis zu 280 Euro im Monat ausmachen. Diese Leistungen führen dazu, dass die „verheiratete Kellnerin mit zwei Kindern“, von der Westerwelle spricht, eben nicht unbedingt 109 Euro weniger im Monat zur Verfügung haben muss, als wenn sie Hartz IV bezieht. Bei Hartz IV wird – anders als bei Geringverdienern – das Kindergeld nämlich angerechnet.
Wer dem Volk „anstrengungslosen Wohlstand“ verspreche, lade zu spätrömischer Dekadenz ein, kritisiert Westerwelle. Falls er Hartz-IV-Empfänger gemeint haben sollte, ist das Bild schief: Wer Arbeitslosengeld II beantragt, darf weder einen gut verdienenden Partner noch ein größeres Vermögen haben. Und wer einen zumutbaren Job (mehrmals) ablehnt, kann die Leistung gekürzt bekommen.
IN DEUTSCHLAND HERRSCHT GEISTIGER SOZIALISMUS
Westerwelle und der Sozialismus – in der jüngeren Geschichte der politischen Rhetorik kein unbekanntes Paar. Bereits als Generalsekretär der FDP und verstärkt als Oppositionsführer nutzte er den Vergleich mit dem Sozialismus immer dann, wenn er zur Beschreibung eines gesellschaftlichen Zustandes oder einer Entwicklung ein möglichst aufschreckendes Feindbild produzieren wollte. Und zwar eines, das bei seinen Anhängern sofort verfängt. Im Sozialismusvergleich, könnte man sagen, gipfelt Westerwelles Populismus. Denn zum einen wird niemand, der (anders als das Bonner Kind Westerwelle) im Sozialismus aufgewachsen ist, die in Deutschland herrschende Gesellschaftsordnung mit den Regimen Ulbrichts und Honeckers ernsthaft in Verbindung bringen. Und zum anderen geht es Westerwelle nur um den öffentlichkeitswirksamen Auftritt, etwas verändern will er nicht. So ist es auch jetzt wieder: Denn im Sozialismus hatte der, der arbeitete, mehr als der, der nicht arbeitete (anders, als es Westerwelle insinuiert). Und so war es vor einem Jahr, als die große Koalition beim Versuch, das deutsche Bankensystem vor dem Zusammenbruch zu retten, ein Enteignungsgesetz verabschiedete. Das sei ein Vorbote für den „schleichenden Sozialismus“, quasi eine „DDR light“, und das Finanzministerium werde zu einer „Enteignungsbehörde“.
Westerwelle will Ressentiments bedienen. Und das tut man in der Politik am wirksamsten mit schrillen Tönen. Psychologen halten die Sozialstaatsschelte für parteitaktisch clever. „Westerwelle bedient geschickt die Stammwähler der FDP mit ihrem Selbstbild“, sagte der Experte für politische Psychologie an der Universität Hamburg, Thomas Kliche, der Nachrichtenagentur ddp. Er liefere „Meisterwerke der Klientel-Rhetorik“. In dieser Hinsicht sei Westerwelle der Beste seit Franz Josef Strauß.
ES GIBT EINE SCHWEIGENDE MEHRHEIT
Wäre der FDP-Chef der Wortführer der (schweigenden) Mehrheit, hätte die Partei im Herbst 2009 nicht knapp 15, sondern mindestens 51 Prozent erreichen müssen. Psychologisch richtig ist der Ansatz aus seiner Sicht dennoch. Denn gerade sozialstaatskritische FDP-Anhänger brauchen das Gefühl, im Interesse einer für Deutschland guten Sache zu handeln.
Den ganzen Artikel lesen?
Klick mich.
Ob Westerwelle weiss, was er tut, ist fraglich, meint die taz - und stellt fest, es gehe ihm gar nicht um Inhalte.
http://www.taz.de/1/debatte/kommentar/artikel/1/angriff-aus-verzweiflung/
Und, es gibt eine tolle Glosse im STERN:
http://www.stern.de/politik/deutschland/guido-westerwelles-entschuldigungsbrief-ja-ich-habe-angst-1543715.html
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