Antworten der unbelesenen Arbeiter
Mittwoch, 3. Februar 2010
Für Brecht gab es noch lesende Arbeiter, die befähigt waren, Fragen zu stellen. Unangenehme, kritische, unwillkommene Fragen; Fragen aus dem Fundus eigenen Denkvermögens; zwangsläufige Fragen, die erwachsen, wenn sich Reflexion und Überlegung und Grübelei im lückenlosen Schichtbetrieb ablösen.
Gegenwärtig fragt der "lesende Arbeiter" nicht mehr - vermutlich liest er auch nicht mehr. Wenigstens nichts mehr, was Denkarbeit beseelt. Er liest Informatives, will eilige Auskunft und stramme Belehrung, will, dass keine Frage offen bleibt. Heutzutage wird nicht mehr gefragt, es wird geantwortet; geantwortet mit professoraler Überzeugung. Auszüge aus Antworten unbelesener Arbeiter:
Der "unbelesene Arbeiter", derjenige, der noch Arbeit hat, bezieht seine denkerische Omnipotenz aus Lesestoff, Tageszeitung genannt, der nicht lesbar ist. Man liest nicht, man saugt auf, absorbiert, frisst die ärmlich-kurzen Informationen in sich hinein. Keine Zeit, um das Gefressene auf sich wirken zu lassen, keine Zeit, um zu verdauen, zu hinterfragen, nachzudenken. Das Gefressene war vorgekaut, fein gemahlen, somit außerstande im Magen zu liegen, das Gefressene rutscht schon durch den Darm, steht schon zum großen Ausschiss, zur Klosettbräunung an.
So viele Berichte, so viele Fragen, endet Brecht. Sein Arbeiter weiß nicht alles, vermutlich weiß er fast gar nichts. Aber er fragt und erklärt damit, dass er wissen, verstehen, erfassen möchte.
So viele Informationen, so viele Antworten!, könnten wir heute in die Atmosphäre schreien. Der heutige Vertreter seiner Gilde weiß nichts und weiß doch alles. Er stellt keine Fragen und läßt dabei fraglich, ob er wissen, verstehen, erfassen möchte.
Wenn man glaubt, schon alles zu wissen, durch verkürzte Artikel und verstümmelte Meldungen ausreichend informiert zu sein - was soll man dann noch fragen? Hat man nicht das ganze benötigte Wissen schon aufgesaugt? Nützliches Wissen - warum also unnützliche Fragen für unnützliches Wissen stellen?
Allwissende neigen zur Selbstüberschätzung. Der Professor ebenso wie der unbelesene Arbeiter. Selbstüberschätzung und Arroganz begleiten das Wissen wie das Unwissen, karnevalistisch als Wissen verhüllt. Wo kein Zweifel mehr besteht, da werden Baracken geplant und Gruben ausgehoben. Wenn nicht mit Zirkel und Schaufel, so doch in Gehirnlappen und Phantasien. Dann spricht man wieder vom Erledigen und Fertigmachen, von Asozialen, von denen wir uns zu befreien hätten, vom Zusammenbruch, wenn wir uns nicht befreien sollten, vom gerechten Gott Natur, in der Asoziale jämmerlich verrecken würden.
Vorsicht, wenn zu viel, zu verschwenderisch geantwortet wird. Dort wo Gerechtigkeit herrscht, wo man besten Willens ist, gerecht zu agieren, wird vornehmlich gefragt. Nicht nur rhetorisch gefragt, sondern ernsthaft, um Erkenntnisgewinn rangelnd. Man hüte sich vor Antworten! An den Fragen kann sie messen!
Gegenwärtig fragt der "lesende Arbeiter" nicht mehr - vermutlich liest er auch nicht mehr. Wenigstens nichts mehr, was Denkarbeit beseelt. Er liest Informatives, will eilige Auskunft und stramme Belehrung, will, dass keine Frage offen bleibt. Heutzutage wird nicht mehr gefragt, es wird geantwortet; geantwortet mit professoraler Überzeugung. Auszüge aus Antworten unbelesener Arbeiter:
- Den Asozialen wird alles gegeben und die, die den Staat nach vorne bringen sind die Deppen!
- Wenn er doch ein einfaches Leben haben will, dann kann dieser Sozialschmarotzer unter der Brücke wohnen. Bei diesen Temperaturen hat sich dieser binnen einer Woche von alleine erledigt und Deutschland ist befreit von diesem Gesindel.
- Seit er achtzehn ist, ist dieses faule Schwein nicht arbeiten gegangen. Heute oder morgen wird das Sozialsystem zusammenbrechen.
- Doch es kann jeder Arbeit bekommen. Man muss um Hartz IV zu bekommen, einfach eine Leistung erbringen, ansonsten wird das Geld komplett gestrichen. Ob die Arbeit nützlich ist oder nicht, ist ja egal. Dann würde das System auch wieder funktionieren.
- Pfui Teufel mit solchen. In der Natur hätte sich so ein Verhalten von selbst erledigt.
- [Er] verarscht alle Deutschen.
Der "unbelesene Arbeiter", derjenige, der noch Arbeit hat, bezieht seine denkerische Omnipotenz aus Lesestoff, Tageszeitung genannt, der nicht lesbar ist. Man liest nicht, man saugt auf, absorbiert, frisst die ärmlich-kurzen Informationen in sich hinein. Keine Zeit, um das Gefressene auf sich wirken zu lassen, keine Zeit, um zu verdauen, zu hinterfragen, nachzudenken. Das Gefressene war vorgekaut, fein gemahlen, somit außerstande im Magen zu liegen, das Gefressene rutscht schon durch den Darm, steht schon zum großen Ausschiss, zur Klosettbräunung an.
So viele Berichte, so viele Fragen, endet Brecht. Sein Arbeiter weiß nicht alles, vermutlich weiß er fast gar nichts. Aber er fragt und erklärt damit, dass er wissen, verstehen, erfassen möchte.
So viele Informationen, so viele Antworten!, könnten wir heute in die Atmosphäre schreien. Der heutige Vertreter seiner Gilde weiß nichts und weiß doch alles. Er stellt keine Fragen und läßt dabei fraglich, ob er wissen, verstehen, erfassen möchte.
Wenn man glaubt, schon alles zu wissen, durch verkürzte Artikel und verstümmelte Meldungen ausreichend informiert zu sein - was soll man dann noch fragen? Hat man nicht das ganze benötigte Wissen schon aufgesaugt? Nützliches Wissen - warum also unnützliche Fragen für unnützliches Wissen stellen?
Allwissende neigen zur Selbstüberschätzung. Der Professor ebenso wie der unbelesene Arbeiter. Selbstüberschätzung und Arroganz begleiten das Wissen wie das Unwissen, karnevalistisch als Wissen verhüllt. Wo kein Zweifel mehr besteht, da werden Baracken geplant und Gruben ausgehoben. Wenn nicht mit Zirkel und Schaufel, so doch in Gehirnlappen und Phantasien. Dann spricht man wieder vom Erledigen und Fertigmachen, von Asozialen, von denen wir uns zu befreien hätten, vom Zusammenbruch, wenn wir uns nicht befreien sollten, vom gerechten Gott Natur, in der Asoziale jämmerlich verrecken würden.
Vorsicht, wenn zu viel, zu verschwenderisch geantwortet wird. Dort wo Gerechtigkeit herrscht, wo man besten Willens ist, gerecht zu agieren, wird vornehmlich gefragt. Nicht nur rhetorisch gefragt, sondern ernsthaft, um Erkenntnisgewinn rangelnd. Man hüte sich vor Antworten! An den Fragen kann sie messen!
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