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Inmitten Zierkissen
Dienstag, 10. August 2010
Vereinzelt vernimmt man sie noch, die Vergleiche, die unsere Zeit mit der der Weimarer Republik in Verwandtschaft stellen. Wie damals herrsche Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit, drifte man in radikale Exzesse ab - wie vorzeiten drängen sich Erwerbslose mit griffigen Werbephrasen auf: Mache alles! oder Ich bin ein Mann für alle Fälle! schilderten sie sich selbst aus - nur der Duktus sei heute moderner, so smart wie die smarte Fassade unserer Epoche, heute sage man: jede Arbeit ist für mich zumutbar! Weimar ist!, das hört man oft, ist für viele zur fixen Idee geworden. Dabei wird ein wesentlicher Aspekt ausgeblendet, der unsere Zeit nicht mit Weimar verschwistert sein läßt.
Die Jahre zwischen 1919 und 1933 waren Jahre, die wie nie zuvor - und kaum danach - politisch geprägt waren. Die Menschen, selbst untere Schichten, selbst Gesellen und häusliches Gesinde, waren - wenn auch nur ansatzweise manchmal - politisiert. Man besuchte Versammlungen, schloss sich Parteien oder Organisationen an, wollte Fortschritt oder Bewahrung, Demokratie oder Autorität, Zivilität oder Militarismus - je nach Gesinnung, je nach Intellekt. Es wurde viel Scharfsinniges gefordert und befürwortet, viel Irrsinniges natürlich auch, viel Menschenverachtendes sowieso - es ging politisch zu, mit allen Schattenseiten einer solchen Mentalität. Die Weimarer Republik war ein Projekt auf tönernen Beinen, aber Stillstand betrieb sie nicht - es rührte sich was! Kommunisten und Spartakusbund, Nationalsozialisten und Stahlhelm, SPD und Zentrum - jede Seite mobilisierte ihre Klientel. Es ging so politisch zu, dass eines der wichtigsten Vorhaben der neuen kastanienfarbenen Machthaber war, das Politische aus dem Alltag zu verbannen - Politik sollte fortan von einer Partei gemacht werden; sie sollte diese leidige Aufgabe auf sich nehmen, um den Alltagsmenschen zu entlasten. Die Auflösung der Demokratie wurde aus deren Sicht notwendig, um die ausartenden politischen Kämpfe, die für sie Lähmung darstellten, endgültig in den Griff zu bekommen. In mancher Hinsicht war die Weimarer Version den anderen aus Bonn und Berlin demokratisch tatsächlich überlegen: dort florierte der Meinungspluralismus, dort nahmen die Menschen rege Anteil an der res publica, an der öffentlichen Sache - alle Nachteile, wie die Duldung von großsprecherischen Menschenmetzgern, Straßen- und Saalschlachten inbegriffen.
Eine solche politisch aufgeladene Stimmung, wie sie damals vorherrschte, findet man heute nicht mehr vor. Man kann Geschichte ohnehin nicht miteinander vergleichen; Geschichte wiederholt sich nicht. Will man aber Parallelen ziehen, was völlig legitim ist, so kann die Weimarer Zeit nicht herhalten. Denn heute leben wir in einer vollkommen entpolitisierten Ära - die Menschen drängen Politik in Parteiausschüsse, nehmen das von dort Ausgekotzte dann abnickend, manchmal auch leicht murrend zur Kenntnis, kümmern sich aber ansonsten lieber um ein nach Außen relativ abgeschottetes Privatleben. Sie wollen Heimeligkeit, keine Kontroversen und Erörterungen. Politik ist damit zu einem Geschäft geworden, dass von ausgebildeten Geschäftsleuten ausgeübt wird - man ist dankbar dafür, dass sie es auch leiten, damit das politische Geschwätz nicht zu jedermanns Sache werden muß. Laß mich mit Politik in Ruhe!, hört man oft; Seien Sie mal nicht so politisch!, ist auch eine Aufforderung, die nicht rar wird in unseren Tagen. Wir sind zu einer unpolitischen Gesellschaft heruntergekommen, machen uns aber selber weis, dass dieser Abstieg ein Fortschritt sei; wir sind zu einer unpolitischen Gesellschaft mutiert, die die politische Denkarbeit einer gesellschaftlichen Hautevolee übergeben hat, damit man sich selbst um die unmittelbaren Dinge des Lebens kümmern kann. Politisch zu denken, für eigene Ideale zu streiten, Farbe zu bekennen ist aus der Mode geraten - "die da oben" werden es schon in unser aller Namen richten!
Eher paßt sich die Mentalität unseres Zeitalters an die Gegebenheiten des Vormärz an. Politisch zu denken galt im Biedermeier als unsittlich - das Heim wurde zum Rückzugsort, weil die Öffentlichkeit zum Flanieren und Plauschen umfunktioniert wurde. Das eigene Domizil galt als Bollwerk gegen die Widrigkeiten des öffentlichen Lebens. Nie mehr Revolution wollte man erleben, nie mehr die Folgen am eigenen Leib spüren. Wenn der Preis das politische Schweigen war, so zahlte man ihn gerne, zog man sich bereitwillig ins heimische Wohnzimmer zurück. My home is my castle!, wurde zum Schlachtruf des Biedermeier. Zwischen Häkeldeckchen und Zierat, die den häuslichen Muff etwas auflockern sollten, die die abgegrabenen Energien, die der Politik nicht mehr zugeführt wurden, sondern nun in aufwändige Schnörkel und Schleifchen, Accessoires und Zierkissenparaden gesteckt wurden, dämmerte der zoon politikon, das politische Lebewesen, in Betäubung hinüber. Die wenigen politischen Köpfe, die Texte schrieben, sich stur an ihre politische Gesinnung klammerten, galten als halbseiden, als nicht ganz gesund - der politische Kopf war ein kranker Kopf; Politik war demnach ein krankhafter Auswuchs, wenn sie aus dem Wohnzimmer heraus betrieben wurde. Die hohen Herrn, darüber war man sich einig, könnten das alles viel besser, viel gerechter.
Weimar ist nicht mit uns vergleichbar - der Vormärz hingegen mit Abstrichen schon. Letzterer hielt sich hartnäckig, überdauerte einige Dekaden, während die Republik von Weimar de facto schon nach einer Dekade am Ende war. Zu Weimar war es Menschenwürde, den Menschen Lohn und Brot zu geben oder je nach Geisteskraft, schädliche Subjekte aus dem Volkskörper auszulesen. Selbst die widerlichen Lesarten von Menschenwürde waren demnach politisch konzeptioniert - nach den Befreiungskriegen war Menschenwürde, zwischen seinen gestickten Kissen auf dem Kanapee zu hocken; kein politischer, ein unpolitischer Rückzug in die Würde, in das, was man für Würde hielt. Auch wir sprechen heute viel von Menschenwürde, manche meinen es sicherlich sogar ernst, nur scheint die entpolitisierte Mehrheit überhaupt kein Bedürfnis mehr danach zu haben, für mehr Würde zu streiten - schnell heim auf das Sofa, sich in Decken einmummeln, Gemütlichkeit spüren, Behaglichkeit genießen: dort ist die große Politik nicht zu Gast, dort kann der Quark um die Menschenwürde draußen bleiben.
Der Vormärz war eine langfristige Ära - und es deutet vieles darauf hin, dass auch wir vor einer langen Zeitspanne entpolitisierten Handelns stehen. Weimar war schnell Geschichte, als Folge einer durchpolitisierten Gesellschaft - heute riecht es nicht nach schnellen Enden. Es steht auch gar nicht zur Debatte darüber zu grübeln, was uns lieber sein könnte: Weimar oder Vormärz. Alles hatte seine Zeit und wir wiederholen nichts. Auch nicht den Vormärz, der uns ein wenig ähnelt! Der als Begriff ohnehin fadenscheinig ist, weil er von einer Revolution kündet, von einem Vorstadium, das es vermutlich aber gar nicht gibt - festgefahrene Strukturen, Anästhesie der Massen, tittytainment und allerlei Einlullungsmechaniken verunmöglichen die Repolitisierung merklich. Aber von einem biedermeierschen Kolorit, den diese aktuelle Gesellschaft aufweist, kann man durchaus reden. Und noch etwas gilt es zu bedenken: wir gleichen Weimar weniger als denen, die nach Weimar kamen. Denn auch jene sahen eine unpolitische Gesellschaft mit Freuden, auch jene erkannten den Vorteil unpolitischer Menschenmassen.
Die Jahre zwischen 1919 und 1933 waren Jahre, die wie nie zuvor - und kaum danach - politisch geprägt waren. Die Menschen, selbst untere Schichten, selbst Gesellen und häusliches Gesinde, waren - wenn auch nur ansatzweise manchmal - politisiert. Man besuchte Versammlungen, schloss sich Parteien oder Organisationen an, wollte Fortschritt oder Bewahrung, Demokratie oder Autorität, Zivilität oder Militarismus - je nach Gesinnung, je nach Intellekt. Es wurde viel Scharfsinniges gefordert und befürwortet, viel Irrsinniges natürlich auch, viel Menschenverachtendes sowieso - es ging politisch zu, mit allen Schattenseiten einer solchen Mentalität. Die Weimarer Republik war ein Projekt auf tönernen Beinen, aber Stillstand betrieb sie nicht - es rührte sich was! Kommunisten und Spartakusbund, Nationalsozialisten und Stahlhelm, SPD und Zentrum - jede Seite mobilisierte ihre Klientel. Es ging so politisch zu, dass eines der wichtigsten Vorhaben der neuen kastanienfarbenen Machthaber war, das Politische aus dem Alltag zu verbannen - Politik sollte fortan von einer Partei gemacht werden; sie sollte diese leidige Aufgabe auf sich nehmen, um den Alltagsmenschen zu entlasten. Die Auflösung der Demokratie wurde aus deren Sicht notwendig, um die ausartenden politischen Kämpfe, die für sie Lähmung darstellten, endgültig in den Griff zu bekommen. In mancher Hinsicht war die Weimarer Version den anderen aus Bonn und Berlin demokratisch tatsächlich überlegen: dort florierte der Meinungspluralismus, dort nahmen die Menschen rege Anteil an der res publica, an der öffentlichen Sache - alle Nachteile, wie die Duldung von großsprecherischen Menschenmetzgern, Straßen- und Saalschlachten inbegriffen.
Eine solche politisch aufgeladene Stimmung, wie sie damals vorherrschte, findet man heute nicht mehr vor. Man kann Geschichte ohnehin nicht miteinander vergleichen; Geschichte wiederholt sich nicht. Will man aber Parallelen ziehen, was völlig legitim ist, so kann die Weimarer Zeit nicht herhalten. Denn heute leben wir in einer vollkommen entpolitisierten Ära - die Menschen drängen Politik in Parteiausschüsse, nehmen das von dort Ausgekotzte dann abnickend, manchmal auch leicht murrend zur Kenntnis, kümmern sich aber ansonsten lieber um ein nach Außen relativ abgeschottetes Privatleben. Sie wollen Heimeligkeit, keine Kontroversen und Erörterungen. Politik ist damit zu einem Geschäft geworden, dass von ausgebildeten Geschäftsleuten ausgeübt wird - man ist dankbar dafür, dass sie es auch leiten, damit das politische Geschwätz nicht zu jedermanns Sache werden muß. Laß mich mit Politik in Ruhe!, hört man oft; Seien Sie mal nicht so politisch!, ist auch eine Aufforderung, die nicht rar wird in unseren Tagen. Wir sind zu einer unpolitischen Gesellschaft heruntergekommen, machen uns aber selber weis, dass dieser Abstieg ein Fortschritt sei; wir sind zu einer unpolitischen Gesellschaft mutiert, die die politische Denkarbeit einer gesellschaftlichen Hautevolee übergeben hat, damit man sich selbst um die unmittelbaren Dinge des Lebens kümmern kann. Politisch zu denken, für eigene Ideale zu streiten, Farbe zu bekennen ist aus der Mode geraten - "die da oben" werden es schon in unser aller Namen richten!
Eher paßt sich die Mentalität unseres Zeitalters an die Gegebenheiten des Vormärz an. Politisch zu denken galt im Biedermeier als unsittlich - das Heim wurde zum Rückzugsort, weil die Öffentlichkeit zum Flanieren und Plauschen umfunktioniert wurde. Das eigene Domizil galt als Bollwerk gegen die Widrigkeiten des öffentlichen Lebens. Nie mehr Revolution wollte man erleben, nie mehr die Folgen am eigenen Leib spüren. Wenn der Preis das politische Schweigen war, so zahlte man ihn gerne, zog man sich bereitwillig ins heimische Wohnzimmer zurück. My home is my castle!, wurde zum Schlachtruf des Biedermeier. Zwischen Häkeldeckchen und Zierat, die den häuslichen Muff etwas auflockern sollten, die die abgegrabenen Energien, die der Politik nicht mehr zugeführt wurden, sondern nun in aufwändige Schnörkel und Schleifchen, Accessoires und Zierkissenparaden gesteckt wurden, dämmerte der zoon politikon, das politische Lebewesen, in Betäubung hinüber. Die wenigen politischen Köpfe, die Texte schrieben, sich stur an ihre politische Gesinnung klammerten, galten als halbseiden, als nicht ganz gesund - der politische Kopf war ein kranker Kopf; Politik war demnach ein krankhafter Auswuchs, wenn sie aus dem Wohnzimmer heraus betrieben wurde. Die hohen Herrn, darüber war man sich einig, könnten das alles viel besser, viel gerechter.
Weimar ist nicht mit uns vergleichbar - der Vormärz hingegen mit Abstrichen schon. Letzterer hielt sich hartnäckig, überdauerte einige Dekaden, während die Republik von Weimar de facto schon nach einer Dekade am Ende war. Zu Weimar war es Menschenwürde, den Menschen Lohn und Brot zu geben oder je nach Geisteskraft, schädliche Subjekte aus dem Volkskörper auszulesen. Selbst die widerlichen Lesarten von Menschenwürde waren demnach politisch konzeptioniert - nach den Befreiungskriegen war Menschenwürde, zwischen seinen gestickten Kissen auf dem Kanapee zu hocken; kein politischer, ein unpolitischer Rückzug in die Würde, in das, was man für Würde hielt. Auch wir sprechen heute viel von Menschenwürde, manche meinen es sicherlich sogar ernst, nur scheint die entpolitisierte Mehrheit überhaupt kein Bedürfnis mehr danach zu haben, für mehr Würde zu streiten - schnell heim auf das Sofa, sich in Decken einmummeln, Gemütlichkeit spüren, Behaglichkeit genießen: dort ist die große Politik nicht zu Gast, dort kann der Quark um die Menschenwürde draußen bleiben.
Der Vormärz war eine langfristige Ära - und es deutet vieles darauf hin, dass auch wir vor einer langen Zeitspanne entpolitisierten Handelns stehen. Weimar war schnell Geschichte, als Folge einer durchpolitisierten Gesellschaft - heute riecht es nicht nach schnellen Enden. Es steht auch gar nicht zur Debatte darüber zu grübeln, was uns lieber sein könnte: Weimar oder Vormärz. Alles hatte seine Zeit und wir wiederholen nichts. Auch nicht den Vormärz, der uns ein wenig ähnelt! Der als Begriff ohnehin fadenscheinig ist, weil er von einer Revolution kündet, von einem Vorstadium, das es vermutlich aber gar nicht gibt - festgefahrene Strukturen, Anästhesie der Massen, tittytainment und allerlei Einlullungsmechaniken verunmöglichen die Repolitisierung merklich. Aber von einem biedermeierschen Kolorit, den diese aktuelle Gesellschaft aufweist, kann man durchaus reden. Und noch etwas gilt es zu bedenken: wir gleichen Weimar weniger als denen, die nach Weimar kamen. Denn auch jene sahen eine unpolitische Gesellschaft mit Freuden, auch jene erkannten den Vorteil unpolitischer Menschenmassen.
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