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Menschenrecht als Grundlage

Die Arbeit an diesem Blog bezieht sich auf menschenrechtliche Grundlagen.

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-Art. 5 Abs. 1 S. 2 Grundgesetz (Informationsfreiheit)
-Art. 5 Abs. 1 S. 3 Grundgesetz (Pressefreiheit)
-Art. 5 Abs. 1 S. 4 Grundgesetz (Zensurverbot)
-Art. 19 Allgem. Erkl. der Menschenrechte sowie Art. 19 Uno-Zivilpakt (Meinungs- und Informationsfreiheit auch Staatsgrenzen überschreitend)
-Art. 1 von Uno-Resolution 53/144 (schützt das Recht, sich für die Menschenrechte zu engagieren)

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Sonntag, 22. August 2010

Merkels feuchter Hartz IV Traum




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Behandelt uns wie Strafentlassene!

geschrieben am 22. August 2010 von Spiegelfechter
Arbeitslose fordert Gleichstellung mit Ex-Straftätern/Zum Problem des Existenzminimums bei Hartz-IV/Von

ein Gastbeitrag von Holdger Platta
Die erwerbslose Sekretärin Birgit Mühr* aus Einbeck, seit Jahresbeginn 2005 Bezieherin von Arbeitslosengeld II, ist verbittert. Sie fordert seit kurzem ihre Gleichstellung mit Straftätern in der Bundesrepublik. Ist Birgit Mühr durchgedreht?
Nein, sie stimmt in dieser Forderung überein mit zahlreichen Rechts- und Sozialexperten dieses Landes. Ihr Grund: das sogenannte „Existenzminimum“ – der Mindestbetrag, der nach geltender Gesetzeslage im Rahmen der Hartz-IV-Regelungen sämtliche Bedürfnisse von Arbeitslosen in der Bundesrepublik abdecken soll – liegt bei 595 Euro pro Monat. So auch noch einmal vor kurzem bestätigt von der Bundesregierung in einer eigens dazu veröffentlichten Pressemitteilung. Demzufolge kann mit diesem Betrag von 595 Euro alles bezahlt werden, was ein erwachsener Erwerbsloser pro Monat für seine gesamten Lebensansprüche braucht: fürs Essen und Trinken, für Miete und Heizung, für Reparaturkosten und unvermeidliche Neuanschaffungen, für Praxisgebühr beim Hausarzt und Zuzahlungen zu Medikamenten, für sämtliche Kosten der Kommunikation, Verkehrsnutzung und täglichen Information. Das Problem ist nur:
Der Gesamtbetrag reicht für dieses alles nicht aus. Und deshalb auch Birgit Mührs scheinbar verrückte Idee, Gleichstellung mit Ex-Straftätern zu fordern. Die sind nämlich in puncto „Existenzminimum“ viel besser dran als die Erwerbslose aus Einbeck. Doch konkret:

Der Lebensbedarf entlassener Straftäter, die nach Verbüßung ihrer Haftstrafe eine neue Arbeitsstelle finden und verpflichtet sind, davon die Schäden wiedergutzumachen, die sie im Zusammenhang mit ihren Delikten angerichtet haben, ist als pfändungsfreies Existenzminimum festgelegt worden auf sage und schreibe rund 990 Euro. Netto wohlgemerkt! Heißt: derselbe Staat, der bei der Bestimmung der sogenannten „Pfändungsfreigrenze“ für ehemalige Straftäter von einem monatlichen Existenzminimum von rund 990 Euro ausgeht, hat das Existenzminimum für Menschen, die ohne jedes eigene Verschulden arbeitslos geworden sind, auf den Gesamtbetrag von rund 600 Euro runtergedrückt. Damit werden Straftäter bei der gesetzlich-regierungsamtlichen Bestimmung ihres Existenzminimums um rund 390 Euro netto pro Monat bzw. rund 67 Prozent bessergestellt als die Erwerbslosen in der Bundesrepublik. Und nebenbei: selbst der ‚normale’ Arbeitnehmer, der steuerpflichtige Staatsbürger, schneidet bei diesem Vergleich mit den Ex-Straftätern erheblich schlechter ab: sein steuerfrei gestelltes Netto-Einkommen – dito im Sinne des Gesetzes als „Existenzminimum“ definiert – ist auf einen monatlichen Nettofreibetrag von rund 640 Euro festgelegt. Ergo: selbst dem steuerpflichtig Beschäftigten gegenüber billigt man den Ex-Straftätern, die Schäden wiedergutzumachen und Schulden abzutragen haben, ein um 55 Prozent höheres Existenzminimum zu als dem ‚normalen’ Steuerbürger, also rund 350 Euro Mehreinkommen!

Drei-Klassen-System beim „Existenzminimum“

Birgit Mühr hat also offenbar Recht: angesichts dieser Ungleichbehandlung sollte man in der Bundesrepublik lieber Ex-Straftäter als Ex-Arbeitskraft sein. Nicht sie, die erwerbslose Sekretärin aus Einbeck, ist verrückt geworden; verrückt ist dieser Berechnungs-Wirrwarr bei der Definition des Existenzminimums, bei dem perverserweise die ärmsten Bürger am schlechtesten abschneiden und die Ex-Straftäter am besten. Aber nicht nur absurd ist das, sondern auch zutiefst inhuman gegenüber den Arbeitslosen und rechtsstaatswidrig (allein schon aufgrund fehlender Gleichbehandlung aller – einer Grundmaxime unseres Rechtsstaates, siehe Artikel 3 unseres Grundgesetzes!). Aber konkret:
Eine genauere Analyse des den Arbeitslosen zugebilligten Existenzminimums ergibt, dass kein Mensch von diesen 345 Euro „Regelsatz“ menschenwürdig und im Sinne der verfassungsrechtlichen Definition von „Existenzminimum“ leben kann. Diese Definition von „Existenzminimum“ schließt nämlich, wie diverse Verfassungsgerichtsurteile wieder und wieder bestätigt haben, ausdrücklich die sogenannte „soziokulturelle Teilhabe“ mit ein und nicht nur – um es einmal drastisch zu formulieren – das bloße Fressen- und Saufenkönnen. „Soziokulturelle Teilhabe“? Nun, das heißt zum Beispiel, am heimischen Vereinsleben teilnehmen zu können, mitmachen zu können bei einer politischen Partei, kontinuierlich Konzerte, Kino, Theatervorstellungen besuchen zu können und nicht zuletzt: sich weiterbilden zu können – etwa durch Besuch von VHS-Kursen oder Kauf von Fachliteratur. Doch merkwürdig, merkwürdig: gerade der „Warenkorb“ Bildung blieb bei der Errechnung des sogenannten „Regelsatzes“ für ALG-II draußen vor, einschränkungslos und von Anfang an übrigens – und dies angesichts der immer wieder lautwerdenden Propaganda, ein Großteil der Arbeitslosen in der Bundesrepublik sei deswegen arbeitslos geworden, weil er zu unqualifiziert gewesen sei, oder es läge vor allem am Mangel an Bildungsbereitschaft der Erwerbslosen jetzt, dass sie aus ihrer Misere nicht herausgelangten und keine guten neuen Arbeitsplätze fänden. Logik: die Opfer der Arbeitslosigkeit sind selber schuld, dass sie Opfer der Arbeitslosigkeit sind. Die Wahrheit hingegen: nicht an Bereitschaft zur Weiterbildung fehlt es, sondern schlicht an Knete dazu! Dieselben Politiker, die in der BRD die Erwerbslosen als bildungsunwillige Faulenzer kritisieren, haben mit ihren Gesetzen dafür gesorgt, dass sich die Erwerbslosen gar nicht mehr weiterqualifizieren können. Man schafft einen Mangel, um dessen Folgen dann jenen in die Schuhe schieben zu können, die unter diesem Mangel zu leiden haben. Eine Diffamierungskampagne ist das, nichts sonst. Und verfassungsrechtlich bedeutet dies:

Arbeitslosengeld II als Gesundheitsverhinderer

Artikel 1 unseres Grundgesetzes, der die Würde des Menschen unter den ausdrücklichen Schutz allen staatlichen Handelns stellt (und nicht zufällig der erste Artikel unserer Verfassung ist: mit Basis-Charakter für zahlreiche weitere Grundrechtsartikel!), ist fundamental verletzt durch diese Beschränkung des Lebensunterhaltes auf maximal 345 Euro pro Monat. Kein Mensch kann auch nur annähernd von diesem Betrag leben. Die sogenannte „Grundsicherung“ – dies der Untertitel zu dem einschlägigen Gesetzeswerk SGB II – stellt in Wahrheit etwas ganz anderes dar: eine Abgrundsicherung – staatlich betriebene Verelendungspolitik! Und dieses Elend – ein Wort, das man an dieser Stelle noch für theatralische Übertreibung halten mag – soll an den folgenden Beispielen ganz konkret dargestellt werden:
Andreas Merwe*, 54 Jahre alt, gelernter Elektriker, seit vier Jahren arbeitslos, hat gleich mit mehreren Gesundheitsproblemen zu kämpfen. Jedes Frühjahr, bis weit in den Spätherbst hinein, leidet er unter Pollenallergie; mit seinen Zähnen steht es nicht zum Besten; schließlich, vor knapp einem Jahr hinzugekommen, hat sich sein Sehvermögen erheblich verschlechtert: der Augenarzt empfahl ihm dringlich die Anschaffung einer Brille für alle Sehbereiche –Ferne; Mittelbereich (PC-Schirm sowie Armaturenbrett Auto) und Nähe (Lesen) – eine Gleitsichtbrille also (by the way: drei Einzelbrillen wären nicht billiger!). Doch dieses ist die finanzielle Situation für den erwerbslosen Elektriker:
Die Medikamente gegen seine Pollenallergie muß er vollständig aus eigener Tasche bezahlen; Kostenpunkt in diesem pollenintensiven Frühjahr: über 30 Euro pro Monat, voraussichtlich also fast 300 Euro für die gesamte Saison. Doch der Gesamtbetrag für Gesundheitspflege innerhalb seines Regelsatzes von 311 Euro (= Andreas Merwe ist verheiratet, deswegen der Abzug von 34 Euro vom vollen Regelsatz, der für alleinstehende Personen 345 Euro beträgt) sieht maximal 13,17 Euro pro Monat für Ausgaben bei der Gesundheitspflege vor (inklusive Zahnpasta usw.). Allein für seine Antiallergika zahlt also der Erwerbslose aus dem Landkreis Göttingen monatlich aus eigener leerer Tasche 17 Euro drauf – heißt: er muß dieses Geld ‚irgendwie’ irgendwo einsparen. Aber wo?
Prophylaktische Zahnreinigung (Kostenpunkt pro Jahr rund 150 Euro, zumindest bei seinem Zahnarzt), von allen Krankenkassen wie auch dem eigenen Arzt dringendst empfohlen, ist da gar nicht mehr drin. Was man den Zähnen von Andreas Merwe, der aus Gesundheitsgründen Teetrinker ist, allmählich auch ansieht. Auch diese Kosten übernehmen ‚selbstverständlich’ weder Sozialagentur noch Krankenkasse. Und die neue, dringend erforderliche Brille?
Auch auf diese muß der Erwerbslose verzichten: Andreas Merwe hatte gleich bei mehreren Optikern in Göttingen Kostenvoranschläge eingeholt: die Kosten belaufen sich – ohne Gestell! – auf Beträge zwischen 400 bis über 600 Euro (und auch die angeblich ganz, ganz billigen Kettengeschäfte waren darunter). Fazit: Andreas Merwe läuft und fährt nach wie vor mit seiner alten, mittlerweile sieben Jahre alten Brille durch die Gegend, nimmt bei seiner PC-Arbeit (Bewerbungsschreiben!) Augenrötungen, Ermüdungen und Kopfschmerzen in Kauf. Hinzukommt: selbstverständlich ‚vergaß’ man bei der Einführung von Arbeitslosengeld II auch, dass gleichzeitig die sogenannte „Gesundheitsreform“ in Kraft trat. Deshalb auch nirgendwo Erstattung der Praxisgebühr von 10 Euro pro Quartal. Viele Hausärzte beobachteten deswegen auch einen schlagartigen Rückgang ihrer Patientenzahlen. Behandlungsversäumnisse drohen, Chronifizierung von Krankheiten (deren Behandlung dann natürlich viel teurer kommt als deren rechtzeitige Therapie). Und das meiste, was den Menschen heute an „Prävention“ zur Krankheitsvorbeugung angeraten wird, von Krankenkassen wie Ärzten, ist für ALG-II-Bezieher ohnehin nicht mehr drin: gesunde Bio-Ernährung überschritte im Durchschnitt um mindestens das Doppelte den dafür zur Verfügung stehenden Etat (nichtmal 4 Euro pro Tag; siehe auch zett Nr. 1, Seite 34!); Mitgliedschaft in Sportvereinen, Anschaffung von Sportdreß, Besuch von Fitness-Studios ist dito unmöglich. Die schöne jung-erhaltende Anti-Aging-Welt (siehe zett Nr. 1, Seiten 28 und 29!) können sich Hartz-IV-Betreute nur noch vom Zaun her oder durch die Schwimmbadscheibe ansehen. Kurz: dies ist gesundheitliche Wohlfahrt unter den Bedingungen von Hartz-IV. Menschenwürdig?

Arbeitslosengeld II als Bildungs-Stopper

Ganz andere Folgen – Folgen allmählicher, immer tiefer greifender Dequalifizierung – treten hingegen bei der ALG-II-Bezieherin Sigrid Herzog*, 52 Jahre, zutage: sie, die freiberuflich als Wissenschaftsjournalistin tätig war und wegen des Abbaus der entsprechenden Programme bei den bundesdeutschen Sendeanstalten immer stärker in finanzielle Bedrängnis geriet – trotz zahlreicher Buchveröffentlichungen (sogar in Fachverlagen) -, sie, die immer noch nicht resignierte Sigrid Herzog, musste als allererste Maßnahme mit Hartz-IV-Beginn alle Abos wissenschaftlicher Zeitschriften kündigen, gleiches galt für die zweite – die überregionale – Tageszeitung, und Bücheranschaffungen sind selbstredend ebenfalls nur noch in raren Ausnahmefällen möglich. Schließlich hat sie auch nahezu völlig – trotz aller Motivation dazu – die Versuche aufgeben müssen, neue Schreibaufträge auf dem hart umkämpften Markt der journalistischen Freiberufler zu ergattern. Und dies sind die Gründe dafür:
Im ALG-II-Regelsatz sind für sämtliche Kommunikationskosten lediglich 22,37 Euro vorgesehen. Dieser Betrag soll alles abdecken: Briefpost, Fax, Telefon, Internet (Mailing und Recherche). Doch allein die Grundgebühren für Sigrid Herzogs ISDN-Anlage betragen pro Monat rund 22 Euro. Da bleibt für die eigentliche Nutzung von PC und Telefon nur noch der stattliche Restbetrag von 37 Cent übrig. Und was die Kosten für das Abo von Zeitungen und Zeitschriften betrifft, so billigt ihr der Regelsatz dafür pro Monat nichtmal einen Gesamtbetrag von 10,24 Euro zu. Davon kann man in der Bundesrepublik nichtmal eine einzige Tageszeitung abonnieren – geschweige denn die allgemein sehr teuren Fachzeitschriften. Für Sigrid Herzog kam der Hartz-IV-Beginn einem Zwangsrauswurf aus ihrer früheren Tätigkeit gleich und zugleich einem erfolgreichen Verhinderungsinstrument, jemals wieder im alten Beruf durch Bewahrung der eigenen Fachqualifikation Fuß fassen zu können. Und nimmt man den dürftigen Anschaffungsbetrag für Bücher hinzu, der von den Erfindern des Regelsatzes den Bedürftigen zugestanden wird – ganze 5,98 Euro pro Monat -, so belehrt noch jeder Besuch in einem Buchgeschäft, dass Bücher für diesen Preis nicht zu erwerben sind – Fachbücher, wie im Falle der Sigrid Herzog erforderlich, schon gar nicht. Hartz-IV ist folglich auch staatlicher verhängter Bildungs-Stopp, bei dem im Grunde nur noch die Glotze als einziges Informationsmedium übrig bleibt, und verhindert zudem, was eigentlich mit diesem Gesetzespaket angeblich befördert werden sollte: die auch von den Erwerbslosen selber betriebenen Wiedereingliederungsversuche ins ‚normale’ Erwerbsleben. Clements „Parasiten“ sind – wenn man diesen volksverhetzenden Begriff überhaupt in den Mund nehmen möchte – „Zwangs-Parasiten“. Der Staat hat diese Menschen zu „Parasiten“ gemacht!

Arbeitslosengeld als Beziehungszerstörer

Kommen wir damit zur letzten und vielleicht schlimmsten Zwangsauswirkung von Hartz-IV: zur sozialen Ausgrenzung und Isolation, die unvermeidlich mit diesem Maßnahmenkatalog gegen die Erwerbslosen in der Bundesrepublik in Gang gesetzt worden sind – kurz: zum Thema Arbeitslosengeld II als Zwangsvereinsamungsprogramm für Millionen von Menschen:
Manches davon wurde hier schon erwähnt: Beziehern von ALG-II ist Mitgliedschaft in Vereinen, Parteien und Gewerkschaften in aller Regel nicht mehr möglich, allein aus finanziellen Gründen nicht. Im gesamten Regel- und Berechnungswerk von Hartz-IV sind Kosten für solche Mitgliedschaften nicht vorgesehen – was übrigens, verfassungswidrigerweise, auch einem Zwangsausschluss der ALG-II-Bezieher von nahezu jeglicher politischen Mitwirkung gleichkommt! Doch die Liste binnenstaatlicher Zwangsexilierung von Erwerbslosen ist damit längst noch nicht annähernd vollständig erfaßt.
Werner Behrens* zum Beispiel, Ende 50, früher als Verkaufsleiter in einem Göttinger Möbelgeschäft tätig gewesen, das dann Pleite ging, hatte sich während des Zeitraums seiner Berufstätigkeit einen großen Freundes- und Bekanntenkreis aufgebaut, dank seiner geselligen Fähigkeiten, dank einiger Mitgliedschaften in Sport- und Gesangvereinen. Hinzukam die intensive Pflege verwandtschaftlicher Kontakte zu Geschwistern und eigenen Kindern, zu Tanten und Onkel, die nahezu alle auswärts wohnen, zumeist sogar in ganz anderen Regionen unserer Republik. Was ist seit Hartz-IV-Beginn im Jahre 2005 mit all diesen Kontakten geschehen?
Werner Behrens, mit Tränen in den Augen, schildert seine heutige Situation so: das Telefon mußte er aus Kostengründen abschaffen; Briefe können nur noch sporadisch geschrieben werden (bei einem Regelsatzbetrag von 3,82 Euro für diesen Zweck natürlich kein Wunder!). Und Besuche? – Tja, diese sind völlig unmöglich geworden, denn an das Bedürfnis, dass Verwandte und Freunde miteinander in Verbindung bleiben wollen, haben die Hartz-IV-Erfinder ‚natürlich’ überhaupt nicht gedacht. Zwar hat man für sogenannte „Verkehrsdienstleistungen“ in die Berechnung des Regelsatzes von Hartz-IV einen Monatsbetrag von 18,11 Euro eingesetzt, aber dieser Betrag reicht bei Werner Behrens nichtmal für die 37 Euro aus, die er für die Monatskarte der Göttinger Verkehrsbetriebe (Stadtbusse) ausgeben muß. Wie da – vielleicht einmal im Jahr wenigstens! – nach München fahren, zum Bruder, oder nach Stuttgart, zur Schwester, wie da, wenigstens einmal alle zwei, drei Jahre, das Patenkind in Zetel (Ostfriesland) besuchen? Selbst Extra-Anträge bei ‚seiner’ Sozialagentur aus Anlaß der Konfirmation seines Hamburger Patenkindes haben da nicht weitergeholfen. „Abgelehnt“ – so die Antwort der Agentur, im Gesetzeswerk Hartz-IV nicht vorgesehen, „leider“ (immerhin fand sich dieses Wort in dem Ablehnungsbescheid!). Und wie steht es mit den sozialen Kontakten vor Ort?
Natürlich – mit seinen Nachbarn redet Werner Behrens noch, hin und wieder besucht er auch noch Ex-Bekannte und Ex-Freunde. Aber, so der tüchtige Verkaufsleiter von einst: „Können Sie sich vorstellen, wie es ist, zu Geburtstagen eingeladen zu sein und nichtmal ein kleines Geschenk mitbringen zu können? Und können Sie sich vorstellen, keine Gegeneinladungen mehr aussprechen zu können, weil jegliches Geld für die Bewirtung Ihrer Gäste fehlt?“ – Stimmt, auch daran haben die Hartz-IV-Programmierer der Menschenvereinsamung nicht gedacht: dass zu einem Menschenleben in Würde, das zu „soziokultureller Teilhabe“ schlicht auch dieses gehört: dass man Menschen besuchen und von Menschen besucht werden kann und dass man ihnen, bei Geburtstagen etwa, nicht nur einen leeren Magen mitbringen möchte und nicht nur eine leere Tischplatte bei deren Besuch präsentieren will. Selbst Microsoft-Manager Eric Raymond sprach bereits 1998 davon, dass wir ‚Abendländer’ in einer „Kultur des Schenkens“ leben, und die jüdisch-amerikanische Kulturwissenschaftlerin Natalie Zemon Davis hat 2002 ein ganzes Buch über dieses soziale Verhaltensfundament des „Schenkens“ in den abendländischen Kulturen vorgelegt. Nun, von Hartz-IV kann man sagen, dass dieses Stück tragender Sozialkultur in Deutschland für viele Menschen vernichtet worden ist.

„Hartz-IV ist Menschenverachtung in Euro und Cent!“

Eines lag Werner Behrens bei seiner Schilderung der sozialen Isolation am Ende des Gespräches noch ganz besonders am Herzen: er hatte vor einiger Zeit bei ‚seiner’ Sozialagentur beantragt, einmal wieder das Grab seiner Eltern besuchen zu dürfen, in Berlin, und dafür die Reisekosten zu übernehmen. „Es wäre nur um die Fahrtkosten gegangen! Gewohnt hätte ich dann bei einem Freund in Berlin!“ Doch auch dieses Mal lehnte die Agentur ab – und dieses Mal auch ohne ein „leider“ dabei. „Spätestens hier“, so Werner Behrens, „hatte ich das Gefühl, Hartz-IV ist praktizierte Menschenverachtung in Euro und Cent.“ Verschämt wandte er sich dabei ab, weil ihm wieder Tränen in die Augen stiegen.
Birgit Mühr, die erwersblose Sekretärin aus Einbeck, hat verbittert Gleichstellung mit entlassenen Straftätern gefordert, was die Berechnung ihres Existenzminimums betrifft. Und die Beispiele hier haben gezeigt, dass unter den Bedingungen von ALG-II tatsächlich nahezu jedes grundlegende Erfordernis zur Wahrung der Menschenwürde und des Existenzminimums der betroffenen Menschen auf der Strecke bleibt. Egal, ob man auf die Gesundheitsversorgung dieser Menschen blickt, auf deren verbliebene Bildungs-Chancen, auf deren soziale Situation: nirgendwo lässt sich ein Lichtblick erkennen, nirgendwo Licht am Ende eines langen, sehr düsteren, Tunnels. Hartz-IV, das ist Verelendung per Gesetz mit dem Charakter nahezu völliger Ausweglosigkeit!
So, wie das Existenzminimum im Rahmen von Hartz-IV für Erwerbslose definiert worden ist – weit unterhalb des Existenzminimums für Ex-Straftäter zum Beispiel -, ist Arbeitslosengeld II nichts anderes als alltägliche – inhumane und verfassungswidrige – Demütigung von Millionen Menschen in dieser Republik. Mit Demokratie, mit Recht, mit Sozialstaat hat dieses Gesetzeswerk nichts, aber auch gar nichts mehr zu tun.
Es muß erlaubt sein, eine Schande eine Schande nennen zu dürfen!
Holdger Platta
(*) Pseudonym; tatsächlicher Name der Redaktion bekannt.

Quellen/Nachweise:
Was die Zahlenangaben angeht, wurden vor allem die Untersuchungen des „Paritätischen Wohlfahrtsverbandes“ aus den Jahren 2004 und 2006 zugrundegelegt, ergänzt um eigene Berechnungen. Der Autor dankt allen Befragten für ihre Offenheit, mit Verständnis dafür, dass sie in diesem Bericht nur unter Pseudonym genannt werden wollten. Die Namen der im zweiten Absatz erwähnten Sozial- und Rechtsexperten lassen sich vollständig nachlesen in deren Aufruf „Die geplante Regelsatzverordnung: Das sozialkulturelle Existenzminimum in der Abwärtsspirale“, abgedruckt in der „Frankfurter Rundschau“ vom 5. März 2004. Die regierungsamtliche Definition der Existenzminima für Steuerpflichtige und ALG-II-Bezieher lässt sich nachlesen in der Pressemeldung des Deutschen Bundestages. Schließlich wird verwiesen auf den Beitrag „Existenzminimum“ in der Internet-Enzyklopädie Wikipedia.

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