Teure Intransparenz
geschrieben am 05. Mai 2010 von Spiegelfechter

Staatsanleihen und Staatsbankrott
Wer einem Staat Geld leiht, muss darauf hoffen, dass dieser Staat das Geld entweder aus den laufenden Einnahmen oder durch Veräußerung von Besitztümern zurückzahlt. Einen Vollstreckungsbescheid, mit dem der Gläubiger Einnahmen oder Besitztümer des Schuldners konfiszieren lassen kann, gibt es nicht, ebenso wenig wie ein Insolvenzrecht für Staaten. Normalerweise sind daher auch alle Forderungen an den Staat gleichrangig (Pari Passu). Sollte ein Staat also seine Zahlungsunfähigkeit erklären und die Forderungen gegen ihn umschulden, werden alle Gläubiger gleich behandelt. Wenn ein Staat beispielsweise erklärt, dass er 50% seiner Schulden nicht bedienen wird, muss jeder Gläubiger 50% seiner Forderungen abschreiben. Die Möglichkeit, neue Anleihen günstiger finanzieren zu können, indem man den neuen Gläubigern einen vorrangigen Titel einräumt (Senior-Status), gibt es im Normalfall nicht, da dies ein Rechtsverstoß gegen die vertraglich zugesicherte Gleichrangigkeit der bestehenden Anleihen wäre und somit von jedem Gericht kassiert werden könnte.Die Ausnahme von der Regel stellen Sonderkredite internationaler Institutionen wie der Weltbank oder des Internationalen Währungsfonds dar. De facto – und nach Rechtsauffassung der meisten Geberländer des IWF auch de jure – genießen IWF-Kredite immer einen Sonderstatus, der oft als „super-senior“ beschrieben wird. Auch wenn private Gläubiger leer ausgehen, werden IWF-Kredite in aller Regel zu 100% bedient – Ausnahmen bilden hier lediglich sogenannte „failed states“ wie Liberia oder der Sudan. Argentinien hat beispielsweise 2004 private Gläubiger mit einer Umschuldung von 50% abgestraft, während es den IWF bis auf den letzten Cent auszahlte. Klagen einiger Gläubiger, die sich auf einen Verstoßes gegen die „Pari-Passu-Klausel“, nach der alle Gläubiger gleichgestellt sind, beriefen, sind bislang im Sande verlaufen. Dies hat natürlich auch seinen Grund. Man geht zu Recht davon aus, dass die Rückzahlungsquote ohne IWF-Hilfen noch niedriger wäre und die vorrangigen IWF-Kredite somit im Sinne der Gläubiger sind.
Gute Kredite, schlechte Kredite

Geht man einmal davon aus, dass die 110 Milliarden Euro des Rettungspakets 1:1 in die Bedienung auslaufender Forderungen gehen und keine neuen Schulden gemacht werden, wäre Griechenland in drei Jahren mit 30 Milliarden Euro beim IWF, mit 80 Milliarden Euro bilateral bei den EU-Partnern und mit rund 190 Milliarden Euro bei privaten Gläubigern verschuldet – Feinheiten wie Zinsen einmal herausgerechnet. Bei einem Haircut von 50% bekäme demnach der IWF seine vorrangig besicherten 30 Milliarden Euro komplett zurück, während die privaten Gläubiger immerhin 63% ihrer Forderungen ausbezahlt bekämen. Die EU-Staaten gingen indes komplett leer aus. Erst wenn der Haircut kleiner als 27% ausfällt, sehen diese nachrangigen Gläubiger überhaupt den ersten Cent. Der deutsche Steuerzahler würde dann sogar schon bei einem moderaten Haircut von 20% ganze 16,8 Milliarden Euro abschreiben müssen. Die Prognosen der Experten gehen derweil von einem Haircut von 25 bis 50% aus. Sollten die Insiderberichte korrekt sein, ist es also sehr wahrscheinlich, dass der deutsche Staat der kreditgebenden Staatsbank KfW die komplette Kreditsumme erstatten muss. Ohne einen Sonderhaushalt ist dies jedoch kaum möglich, will Deutschland nicht in drei Jahren selbst wieder zum Maastricht-Sünder werden.
Dummheit, Vorsatz oder Wählerbetrug?
Hinter der Großzügigkeit der EU steckt natürlich System. Es geht der EU schließlich nicht um Griechenland, sondern mindestens um die Abwendung der Gefahr für Portugal, Spanien, Italien und Irland, wenn nicht sogar um das Schicksal des Euros. Daher will man potentiellen Kreditgebern der PII(G)S-Staaten signalisieren, dass man gewillt ist, auf Kosten des eigenen Haushalts einen Großteil ihrer Forderungen zu garantieren. Diese Taktik ist jedoch ein Pokerspiel. Geht der Bluff auf, stabilisiert sich der Anleihenmarkt, und die EU bleibt “nur” auf ihren Abschreibungen für die Griechenland-Hilfe sitzen – denn an eine Konsolidierung des griechischen Haushalts ist dank des verordneten Radikalsparens natürlich nicht zu denken. Scheitert der Bluff jedoch, beschädigen sich die halbwegs solventen EU-Staaten spätestens dann irreparabel, wenn sie Portugal und Spanien ähnliche Hilfsangebote machen müssen. Diese Strategie ähnelt der eines Hasardeurs – die Lage scheint demnach wesentlich brenzliger zu sein, als es die Politik zugibt.Warum genießt nur der IWF Vorzüge?

Mehr Transparenz
Weder das Finanzministerium, noch das Bundeskanzleramt, die EU-Kommission oder die KfW wollten die Frage nach der rechtlichen Stellung der bilateralen Kredite an Griechenland beantworten. Nur der IWF war mitteilsamer, konnte aber nur Auskünfte über seinen Anteil des Hilfspakets geben. Ob diese Frage wenigstens im Finanzausschuss des Bundestages auf dem Tableau stand, lässt sich ebenfalls nicht beantworten. Der Öffentlichkeit und auch den Parlamentariern werden demnach systematisch Informationen vorenthalten. Jeder Stadtrats-Beschluss über einen 500 Euro teuren Krötentunnel ist transparenter als die Diskussion über das 22,4 Milliarden Euro schwere Rettungspaket, das nun im Eiltempo durchgepeitscht wird. Diese Intransparenz hat System – immer wenn es um gigantische Summen, immer wenn es um das Finanzsystem und immer wenn es um Rettungspakete geht, werden die Entscheidungen im dunklen Kämmerlein gefällt und der Souverän wird bestenfalls mit unvollständigen Informationshäppchen versorgt, wenn die Entscheidungen bereits gefallen sind.Bei den aktuellen Griechenland-Hilfen, die eigentlich weniger Griechenland, dafür aber umso mehr den Versicherungen und Fonds helfen, die Griechenland Geld geliehen haben, könnte dies jedoch ein juristisches Nachspiel haben. Vorrangige Überbrückungskredite unter dem Marktzins lassen sich vor dem Bundesverfassungsgericht mit Ach und Krach verteidigen, nachrangige Kredite für ein Land, das aller Voraussicht nach bald umschulden muss, sind jedoch auch bei gutwilliger Betrachtung nichts anderes als Finanzspritzen und Transferleistungen, die jedoch laut den Maastricht-Verträgen verboten sind. Die deutsche Regierung – und mit ihr ganz Europa – könnte also schon bald ihr blaues Wunder erleben, wenn Karlsruhe darauf besteht, das Kleingedruckte in den Verträgen lesen zu wollen, das so behutsam vor der Öffentlichkeit verborgen wird.
Jens Berger
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