Die europäische Menschenrechtskonvention hinkte dem hinterher: Die Europäische MenschenrechtskonventionKriegsrecht hat die Todesstrafe seit 1. Mai 1983 im gewöhnlichen Strafrecht, seit 3. Mai 2002 auch im abgeschafft. Die meisten europäischen Staaten haben das dahingehende 13. Zusatzprotokoll von 2002 ratifiziert.
Das vorneweg, zu einem Beitrag, der sich mit mehrerlei Mass beschäftigt, und wie wir andere Länder beurteilen. Bei uns ist es auch noch nicht so lange her, dass wir barbarische Methoden angewendet haben.
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Zweierlei Maß
Von Klaus Wallmann sen. | 11. September 2010Die Tötung vermeintlicher Hexen durch Verbrennen rechnet man üblicherweise dem tiefsten Mittelalter zu, doch die letzte Hinrichtung einer Hexe auf deutschem Boden geschah erst Mitte des 18. Jahrhunderts, ist also nicht so lange her, wie man gewöhnlich meint. Und unser hochverehrter Martin Luther hat diese Barbarei ausdrücklich für rechtens erachtet. Erst 2000 hat Papst Johannes Paul II. auch diese Schuld der Kirche eingestanden.
Es hat also auch in der europäischen sogenannten Zivilisation relativ lange gedauert, ehe wir einst völlig selbstverständliche, moralisch, theologisch und juristisch begründete Gebräuche als barbarisch, als unmenschlich empfanden. Wir haben uns schlicht weiterentwickelt, und mit uns, durch uns natürlich auch die Sitten und Gebräuche, die Moral und das Recht. Nach langem Kampf wurde in vielen Ländern sogar die Todesstrafe abgeschafft, doch selbst in diesen Ländern gibt es Menschen, die sie sich zurückwünschen.
Derzeit empören sich wohl die meisten von uns über die drohende Steinigung der Iranerin Sakineh Mohammadi-Ashtiani. Das Europäische Parlament hat geschlossen protestiert und verlangt, die Steinigung abzuschaffen. Wohlgemerkt: die Steinigung - nicht die Todesstrafe. EU-Kommissionspräsident Barroso nannte die Steinigung “barbarisch”, ein Sprecher des Vatikans nannte sie “brutal” und bekräftigte die generelle Ablehnung der Todesstrafe. Auch der deutsche Außenminister Westerwelle fordert den Iran zum Verzicht auf die Todesstrafe auf. Sie alle haben selbstverständlich recht. Denn von dem moralischen und rechtsphilosophischen Standpunkt aus, auf den uns die Geschichte inzwischen gestellt hat, ist eine solch biblische Strafe, eine solche Hinrichtungsart, ja selbst das Todesurteil an sich eine Barbarei, eine Unmenschlichkeit.
Gleichzeitig wurde gestern im US-Staat Alabama der 50jährige Holly Wood nach 17 Jahren Haft durch eine Giftspritze hingerichtet. Es war die vierte Hinrichtung in diesem Jahr - in Alabama. Und kein EU-Parlament meldet sich zu Wort, kein Herr Barroso und auch kein Herr Westerwelle. Halten sie die Giftspritze für weniger “brutal”? Fürchtet sich der deutsche Außenminister davor, die USA ebenso prinzipienfest zum Verzicht auf die Todesstrafe aufzufordern wie den Iran?
Und wie ist das mit dem Sänger Erez Yechiel, der jüngst für seinen Auftritt vor “gemischtem Publikum” - also vor Männern und Frauen gleichzeitig - von einem Rabbiner-Gericht in Jerusalem zur Auspeitschung verurteilt wurde? Wo war da der deutsche Außenminister und die Empörung des Europäischen Parlaments? Und wo die deutschen Medien, die doch ganz sicher die “Jerusalem Post” lesen?
Mit welchem Maß ihr meßt, wird Euch gemessen werden, so heißt es in etwa im Matthäus-Evangelium, was unsere abendländisch-christlichen Politiker aber offenbar vergessen haben. Ja noch schlimmer, denn ganz offensichtlich messen sie auch noch mit zweierlei Maß. Da darf man sich dann aber auch nicht wundern, wenn das reaktionäre Regime des Iran den Eindruck vermittelt, als würden diese westlichen Politiker den “Fall” Ashtiani “politisieren” - denn diesen Eindruck erzeugen sie nun mal. Muß es doch so scheinen, als ob diese Damen und Herren die barbarische Steinigung nur deshalb aufgreifen, weil er so gut zum derzeit gezeichneten Bild des Islam zu passen scheint. Die Giftspritze der christlichen Exekutoren in den USA, die Peitsche der jüdischen Rabbiner in Israel übergeht man, die geplante Steinigung im Iran jedoch füllt die Schlagzeilen der ach so freien westlichen Medien. Daß Sakineh Ashtiani der Tod durch den Galgen droht, falls man ihr eine Beihilfe beim Mord ihres Mannes nachweisen kann, scheint dagegen weniger aufregend zu sein - vielleicht weil diese Hinrichtungsart auch in Deutschland noch nicht solange her ist wie die des Scheiterhaufens.
Zu Recht und aus unterschiedlichen Gründen lehnen wohl die meisten Menschen Europas Steinigungen und Auspeitschungen, den elektrischen Stuhl, die Giftspritze und den Galgen, ja die Todesstrafe überhaupt ab, egal ob sie durch staatlich gesetztes Recht oder religiöse Tradition formal begründet ist. Wobei die moralische Ablehnung allein nicht auszureichen scheint. Denn offensichtlich schwinden bei einem Großteil der Menschen derlei moralische Bedenken, wenn es z.B. um die gezielte Tötung von “Aufständischen” in Afghanistan durch Soldaten westlicher Zivilisationen geht. Wobei der Ankläger gleichzeitig der Richter ist, der dann auch noch das Amt des Henkers übernimmt. Diesbezüglich scheint es, als seien wir diejenigen, die zweierlei Maß für unsere Moral haben.
Daß gewisse Politiker die geplante Steinigung Ashtianis und die berechtigte Empörung vieler Menschen in Europa und anderswo auf der Welt dazu mißbrauchen, die Stimmung gegen den Iran aufzuheizen, um so die Bedrohungslegende vom barbarischen und aggressiven Islam weiter auszubauen, ist nach dem imperialistischen Selbstverständnis der herrschenden Klasse nur logisch. Es zeigt aber auch die ganze Amoralität des kapitalistischen Systems, in dem selbst unsere ehrliche Empörung zur Begründung einer militärischen Aggression mutiert.
Klaus Wallmann sen.
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