http://www.spiegelfechter.com/wordpress/4152/hossein-derakhshan-droht-die-todesstrafe?utm_source=feedburner&utm_medium=feed&utm_campaign=Feed%3A+DerSpiegelfechter+%28Der+Spiegelfechter%29
Hossein Derakhshan droht die Todesstrafe
geschrieben am 25. September 2010 von Spiegelfechter
Blogger lieben es, sich als eine Art moderner Résistance zu sehen – als einsame Kämpfer auf verlorenem Posten, gegen den Mainstream und die Unvernunft. Dabei ist es nicht unbedingt eine Heldentat, sich vom gut gepolsterten Schreibtischstuhl aus über die Ungerechtigkeit in der Welt auszulassen. Nähme man Kants kategorischen Imperativ ernst, wird aus der vermeintlichen Heldentat hier im Westen eher eine Bürgerpflicht, ein Selbstverständnis. Persönliche Risiken geht ein deutscher Blogger nicht ein, wenn er die Regierung kritisiert oder für mehr Bürgerrechte kämpft. Doch unsere wohlige Seifenblase Deutschland ist nicht die Welt. Ein Kollege von mir, mit dem ich mich früher des Öfteren ausgetauscht habe, sitzt seit zwei Jahren im berühmt-berüchtigten Teheraner Evin-Gefängnis. Seinen Lebensmut hat er mittlerweile verloren. Nun droht ihm – zuverlässigen Quellen zufolge – sogar die Todesstrafe. Was hat Hossein Derakhshan, der im Netz wohl besser unter seinem Bloggerpseudonym „Hoder“ bekannt ist, verbrochen? Hat er gemordet, Kinder geschändet oder Staatsgeheimnisse verraten? Nichts von alledem, Hoder hat lediglich das getan, was ich täglich ebenfalls tue – er hat gebloggt und auf Bloggen steht in Iran offensichtlich die Todesstrafe.Hintergrund und Vorgeschichte:Als Hossein im November 2008 in seine Heimat zurückkehrte, war er guter Dinge. Doch er war sich der Gefahr, die ihn in Iran erwartet, durchaus bewusst. Hossein hatte nämlich in der Vergangenheit zweimal den Staat Israel besucht – nach iranischem Recht ist dies eine Straftat. Dabei war sein Aufenthalt eigentlich ein Besuch in humanitärer Mission. Er wollte den Israelis zeigen, dass Iran – abseits der israelischen Propaganda – ein Land ist, in dem junge, sympathische Menschen leben, die nicht täglich Frauen steinigen, amerikanische Flaggen verbrennen oder Israel vernichten wollen. Gleichzeitig wollte er seinen iranischen Lesern zeigen, dass Israel – abseits der iranischen Propaganda – ein Land ist, in dem junge, sympathische Menschen leben, die nicht täglich Palästinenser verprügeln, Wohngebiete mit dem Bulldozer platt machen oder Iran vernichten wollen.
Wer Regimekritiker ist, bestimmen wir!
Der Fall Derakhshan
Der Blogvater muss schweigen
Ein Bloggerschicksal
Wir leben alle in einer Welt und das Netz zeigt uns unsere Gemeinsamkeiten auf, lasst uns und nicht von der Politik vereinnahmen, so Hosseins Botschaft. Doch diese Botschaft gefiel den Machthabern in Teheran überhaupt nicht, zumal sie auch von der Weltpresse aufgenommen wurde. Radikale Kreise innerhalb der Revolutionsgarden planten seitdem, an Hossein Derakhshan ein Exempel zu statuieren.
Doch davon wußte Hossein nichts, als er – nach achtjährigem Aufenthalt im Westen – nach Iran zurückkehrte. Zuvor versicherte sich noch beim iranischen Amt für auswärtige Angelegenheiten (High Council Of Iranian Affairs Abroad), dass er keine Unannehmlichkeiten zu erwarten habe, wenn er ins Land zurückkehrt. Hossein besitzt die doppelte Staatsbürgerschaft und reiste nicht mit seinem iranischen, sondern mit seinem kanadischen Reisepass nach Israel ein – dies ist selbst nach iranischem Recht nicht verboten. Doch offenbar wußte selbst das Amt für auswärtige Angelegenheiten nichts von den Plänen der Revolutionsgarden. Während Hossein sich bereits auf ein Leben in Iran einstellte, sich Wohnungen anschaute und sich bei Press TV nach einem Job erkundigte, schlug die Staatsmacht zu. Im November 2008 wurde Hossein im Evin-Gefängnis eingekerkert. Das Evin-Gefängnis ist eine spezielle Haftanstalt für politische Häftlinge, die durch die dort stattfindenden Folterpraktiken und Hinrichtungen zu einem weltweiten Synonym für ein Foltergefängnis wurde.
Haft ohne Anklage und Anklage ohne Beweise
Acht Monate lang musste Hossein in Einzelhaft verbringen, weder er noch seine Familie erhielten Informationen, was man ihm eigentlich vorwirft. An Hossein Derakhshan soll ein Exempel statuiert werden, wie seine Mutter es unlängst feststellte. Auf Hosseins besonderen Wunsch hielt die Familie die internationale Presse zunächst außen vor, da man befürchtete, dass es kein Zurück gäbe, wenn die Affäre erst einmal zum Politikum würde. Nach diesen acht Monaten wurden die Haftbedingungen gelockert, was jedoch kein Grund zur Freude war, da gleichzeitig die Anklage eröffnet wurde. Worin genau die Anklagepunkte bestehen, ist bis heute nicht öffentlich bekannt. Nach Informationen der BBC besteht die Anklageschrift aus den Punkten „Zusammenarbeit mit feindlichen Regierungen“, „Propaganda gegen die islamische Republik“, „Propaganda zugunsten antirevolutionärer Gruppen und Schmähung religiöser Heiligkeiten“, „Beleidigung des obersten Revolutionsführers Ali Khamenei und des Propheten Mohammed“. Die Anklagepunkte sind ebenso absurd wie haltlos. Dennoch steht auf derlei Straftaten in Iran die Todesstrafe.Wer gehofft hat, dass sich die politische Führung Teherans der Vernunft beugen würde, wurde Anfang der Woche eines „Besseren“ belehrt. Was zunächst als Gerücht aus nicht verifizierbaren Quellen kam, wurde im Laufe der Woche von Hosseins Familie bestätigt – die Staatsanwaltschaft fordert die Todesstrafe für Hossein Derakhshan. Das Verfahren gegen ihn fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und entsprach nicht im Geringsten den Grundlagen eines fairen Gerichtsverfahrens. Hosseins Fall wird von der 15. Kammer des Islamischen Revolutionsgerichts unter Leitung von Abolqasem Salavati verhandelt – dieses Gericht nimmt im iranischen Rechtssystem eine Sonderrolle ein. Es gibt keine Verteidigung für die Angeklagten, es gibt keine Geschworenen, die Verhandlungen finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, weder Beweise noch Zeugenaussagen müssen publik gemacht werden. Der vorsitzende Richter spricht das Urteil und muss sich höchstens vor Allah rechtfertigen. Es gibt keine Berufungsinstanz und die Urteile stehen meist bereits vor der eigentlichen Verhandlung fest.
Arnold Amber, Präsident des kanadischen Journalistenverbandes CJFE nannte das Verfahren gegen Hossein – vollkommen zu Recht – eine „einzige Farce“. Das Urteil ist bereits gefällt, die Urteilsverkündung steht jedoch noch aus – leider ist es sehr wahrscheinlich, dass der Richter beim Strafmaß den „Empfehlungen“ der Staatsanwaltschaft folgt. Es ist schwer, dieses himmelschreiende Unrecht in Worte zu fassen. Ein Staat, der einen jungen Staatsbürger auf diese Art und Weise ermordet, besitzt kein Jota an moralischer Integrität. Was aber kann man als normaler Bürger, als Blogger oder aber auch als westliche Regierung tun, um das Leben von Hossein noch zu retten? Die traurige Antwort auf diese Frage heißt: auf ein Wunder hoffen.
Hossein ist nicht das einzigen Opfer. Menschenrechtsverletzungen sind in Iran keine Ausnahme, sondern die Regel. Rund 180 Medienschaffende wurden seit der umstrittenen Präsidentschaftswahl im Iran am 12. Juni 2009 festgenommen. Fast 40 Journalisten und Blogger sitzen immer noch im Gefängnis. Regelmäßig werden Journalisten und Bürgerrechtler in Iran zum Tode verurteilt. Noch nicht einmal die doppelte Staatsbürgerschaft hilft den Opfern.
Im Jahre 2003 wurde beispielsweise die iranisch-kanadische Journalistin Zahra Kazemi im Evin-Gefängnis zu Tode vergewaltigt und gefoltert. Dies sorgte zwar zwischen den Staaten für eine zeitweilige „Verstimmung“, ernstzunehmende Folgen blieben jedoch aus. Was soll man auch tun? Natürlich kann man die gesamte Führungselite auf die Fahndungsliste von Interpol setzen und ihre Konten einfrieren. Sanktionen oder gar militärische Schritte würden allerdings vor allem genau die Iraner bestrafen, die selbst Opfer des Regimes sind – die jungen Teheraner, die mit uns deutschen Bloggern mehr Gemeinsamkeiten haben als es unsere Regierungen für möglich halten.
Vielleicht wird der Fall „Derakhshan“ allerdings auch zum Fanal für die innerlich verweste Teheraner Machtelite. Das kanadische Aussenministerium ist bereits aktiv, will sich aber zu Detailfragen nicht äußern. Auch der Pariser Bürgermeister Bertrand Delanoë hat bereits die französische Öffentlichkeit aufgefordert, alle „Energien zu mobilisieren“, um Hosseins Leben zu retten. Vielleicht ist dies der Stein, der eine zivilgesellschaftliche Lawine zum Rollen bringt. Dann wäre Hoders Leiden vielleicht doch nicht umsonst.
Jens Berger
P.s: Da Internetbewohner ja Petitionen so lieben, möchte ich natürlich auf die Petition zur Freilassung von Hoder hinweisen, auch wenn die Aktion – wie alle Petitionen – über bloßen Zweckaktionismus nicht hinausgeht. Um nicht vollkommen rat- und tatenlos dazusitzen, taugt eine solche Petition jedoch.
An dieser Stelle möchte ich auch auf zwei deutschsprachige Blogs hinweisen, die sich mit der Lage in Iran auseinandersetzen:
Julias Blog
Nic Bloghaus II
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen