Requiem für Hitler
Arno Kleinebeckel 02.05.2010
65 Jahre nach dem Niedergang: Der Mythos vom Retter und die Verantwortung der Kirchen
Dass Adolf Hitler und die NSDAP nach ihrem Machtantritt auf so große Zustimmung stießen, ist und bleibt ohne die begleitende Unterstützung der Volkskirchen nicht erklärbar. In der Gestalt des Führers sahen die meisten deutschen Kirchenfürsten noch bis weit ins Jahr 1944 hinein einen Wundermann, den nur Gott der Nation geschenkt haben konnte. Die Mehrzahl der Deutschen - Katholiken gleichermaßen wie Protestanten - übten sich nur zu gern im Glauben an die nationale Erhebung. Noch im Angesicht der Katastrophe entschied der katholische deutsche Kardinal Bertram, ein Requiem für Hitler feiern zu lassen.
Deutschland während der NS-Herrschaft: 95 Prozent aller Deutschen waren entweder evangelisch oder katholisch. Fast 32 Millionen Deutsche, über 40 Prozent, waren Katholiken. Auch fast die gesamte Bevölkerung der europäischen Verbündeten Deutschlands – ganz Österreich und Italien – war katholisch. Sogar die gefürchtete SS bestand im Jahre 1939 zu fast einem Viertel aus Katholiken, obwohl die SS-Führung darauf drängte, aus der Kirche auszutreten. Wie war es möglich, dass Menschen mit einem von der Kirche geschulten Gewissen bereit waren, jedes von ihren Führern befohlene Verbrechen zu begehen?
Der normale Bürger unterstützte Hitlers Kriege, weil sich die Kriegsziele mit seinem Gewissen vereinbaren ließen. Hitlers Ziele galten auch für den einfachen Kirchenbesucher unstreitig als theologisch legitimiert. Katholische und protestantische Kriegstheologie sind heute gleichermaßen gut überliefert; das Interesse in Wissenschaft und Publizistik ist jedoch auch 65 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gedämpft. Oft noch wird Geschichte als beliebige Verfügungsmasse gesehen und zweckentsprechend interpretiert.
Militärseelsorge, Kriegserfahrungen der Soldaten im Feld und der Gläubigen an der Heimatfront, der Einsatz von Zwangsarbeitern in kirchlichen Einrichtungen und die NS-Kirchenpolitik, das und vieles mehr wird gern den Spezialisten unter den Historikern oder Sozialpsychologen zur Aufarbeitung überlassen. Dabei ist das Thema brandaktuell, kommt der braun-violette Bodensatz der Geschichte bei passender (oder unpassender) Gelegenheit doch erstaunlich rasch ans Licht.
Ein Beispiel lieferte unlängst der katholische deutsche Ordinarius Gerhard Ludwig Müller. Als der Regensburger Oberhirte im März die laufende Berichterstattung über Missbrauch in der katholischen Kirche mit der kirchenfeindlichen Haltung des NS-Regimes gleichsetzte , mied er bei seinem Vergleich nicht nur die Schuldfrage der Kirche. Müller ignorierte auch geflissentlich einige Jahrzehnte historischer Forschung. Er offenbarte damit stramme systemtreue Vergesslichkeit sowie gravierende staatsbürgerliche Defizite. Der Schuss zielte wohl in Richtung Medien und Öffentlichkeit - in Wahrheit ging er nach hinten los.
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http://www.heise.de/tp/r4/artikel/32/32534/1.html
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