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„Keine Angst“: Hartz-IV-Zustände hautnah |
Geschrieben von: Laura Küchler | ||
Sonntag, den 14. März 2010 um 18:26 Uhr |
Das Sozialdrama „Keine Angst“, gelaufen vor wenigen Tagen auf ARD: Hochhaussiedlung, Sozialwohnung, zerrüttete Verhältnisse – so sieht das Leben der 14jährigen Becky (Michelle Barthel) aus. Ihre Mutter Corinna (Dagmar Leesch) ist Alkoholikerin. Ihren Aufgaben als vierfache Mutter ist sie nicht im geringsten gewachsen. Während sie den ganzen Tag verschläft und ihre Probleme zu ertränken versucht, übernimmt ihre älteste Tochter die Mutterrolle. Nebenbei versucht sie ihre Jugend soweit wie möglich zu genießen. Ein Riesenspagat.
Becky bringt ihre drei kleinen Geschwister nicht nur in eine Sozialstation. Sie besorgt für die Familie Lebensmittel bei der Tafel. Zu Hause sorgte sie dafür, dass ihre Geschwister der Mutter nicht auf die Nerven gehen. Becky geht natürlich auch noch zur Schule. Ihre Leistungen dort sind aber entsprechend miserabel. Einziger Lichtblick: ihre Nachbarin und beste Freundin Melanie (Carolyn Sophia Genzkow, aus dem Film „Zivilcourage“ bekannt). Sie gehen auf die selbe Schule.
„Jungs wollen doch eh nur poppen!“
Auf dem Schulweg lernt Becky dann den schüchternen Bente (Max Hegewald) im Bus kennen. Becky hat keine Fahrkarte. Als sie kontrolliert wird, gibt Bente seine Karte an Becky ab. Er selbst muss 30 Euro Strafe zahlen. Bente, der aus mittelständischen Verhältnissen stammt, kann sich das leisten. Becky jedoch fährt täglich schwarz in die Schule. Bente erscheint ihr daraufhin als Retter und sie verliebt sich prompt in ihn.
Becky erzählt ihrer besten Freundin Melanie davon. Nach Melanie ist das leicht zu erklären: Jungs würden Mädchen nur ausnutzen und wollten so oder so nur „poppen“, wie sie es ausdrückt. Für Melanie ist die Sache klar. Auch Bente sei keine Ausnahme. Dies kann Becky nicht glauben und beschließt, Bente zu Hause zu besuchen.
Geld allein hilft nicht
Die Verhältnisse, in denen Bente lebt, kann Becky nicht begreifen. Sie sagt das nicht, aber man sieht es ihr an. Als Dank für die Hilfe bringt sie Bente Alko-Pops mit, die seine Mutter später „konfiszieren“ wird. Doch die sozialen Schranken stören beide nicht. Auch Bente scheint sich in Becky verliebt zu haben. Durch ihn erlangt sie sogar bessere Noten in Mathe. Der Zuschauer freut sich mit den beiden.
Die Freude ist jedoch nicht von Dauer, denn die Wirklichkeit holt das junge Glück ein. In Beckys Wohngegend wird Bente angefeindet und verprügelt. Seine Eltern beschließen, ihn auf ein Internat zu schicken. Der zunächst mit Melanies Mutter zusammenlebende Thomas zieht bei Corinna ein und vergewaltigt Becky. Sie sei so „unschuldig“ und eine „richtige Frau“.
Am nächsten Tag sucht Becky Bente. Seine Eltern ermöglichen es ihm nicht, sich von seiner Freundin zu verabschieden. Weil Becky total aufgelöst ist, drückt Bentes Mutter ihr fünfzig Euro in die Hand. Becky kommentiert das mit „Du Fotze“. Nun versucht auch Becky ihren Kummer im Alkohol zu ertränken. Am Ende bricht sie zusammen, der Zuschauer erfährt nicht, ob Becky überlebt.
Auf den vermeintlich gemütlichen Fernsehabend, folgt eine schlaflose Nacht
Ein „Happy End“ gibt es nicht. Die Bilder der gezeigten Vergewaltigungen sind zu nahegehend. In Zeiten der von Guido Westerwelle (FDP) angestoßenen Sozialdebatte ist so ein Film erschreckend aktuell. Alleinerziehende Mütter, die nicht in der Lage sind ihre Kinder zu versorgen. Schulische Leistungen, die nicht registriert werden. Vergessene Kleinkinder, die ganz allein durch die Großstadt den Weg von der Sozialstation nach Hause suchen. Von Kindheit keine Spur. Jugendamt, Schule und später auch das Krankenhaus wissen über die Familie Bescheid. Die gelangweilt wirkende Sozialarbeiterin lässt sich einfach abspeisen, keinerlei Hilfe erreicht die Betroffenen. Die Leidtragenden sind letztlich die Kinder.
Der Film „Keine Angst“ macht deutlich, dass Kinder nicht nur Geld brauchen, sondern auch ein liebendes und intaktes Elternhaus. Liebe ist in „Keine Angst“ das große Thema. Becky ist genauso auf der Suche nach Liebe wie ihre Leidensgenossin Melanie und ihre Mutter. Wir sollten überlegen, ob es reicht, die Ärmsten unserer Gesellschaft einfach von oben herab mit mehr Geld abzuspeisen. Das „Du Fotze“ der tapferen Becky hallt noch nach.
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Das andere aber gibt es auch:
Sie hat einen 400.-- Euro-Job, und er arbeitet 12 Stunden lang jeden Tag auf einem Ferienhof. Einen Tag in der Woche hat er frei. Da bleibt nichts für Familie und Freizeit, selbst wenn er mehr verdienen würde. Wer zu kaputt ist, kann sein Geld auch nicht geniessen.
Davor bewahrt ihn aber sowieso der nicht allzu üppige Lohn. Wenn seine Frau den Job nicht hätte, sähe es bitterer aus, und er müßte aufstocken. So aber geht es gerade so ohne...
Sie trinken nicht, rauchen nicht, gehen nicht aus. Sie macht noch den Haushalt, denn er kann ihr nach den vielen Stunden und mit der Müdigkeit, die er in schweren Schritten mitbringt, nicht mehr viel helfen. Das Leben ist Arbeit, kleine Gespräche, Erledigung der anfallenden Lebenshaltung, Regenerierung für neue Arbeitskraft, und das war es.
Und genau das ist es, was alle für die Hartz IV Betroffenen und die Aufstocker wollen: Nicht leben, nicht denken, keine Zeit --- arbeiten um jeden Preis...
So mancher zerbricht daran, andere nicht. Wie lange es gesundheitlich gut geht, interressiert keinen. Die blanke Existenz, und diese erhalten, das ist alles. Und dazu sagt man dann, der Gesellschaft etwas zurückgeben - für das Geld, das sie den Hartz-Betroffenen zahlen, für die Aufstocker. Und was ist mit jenen, denen es gerade so reicht, weil die Löhne schon so ärmlich geworden sind, dass es auch nicht viel mehr als Hartz IV ist? Was ist mit denen, deren Löhne noch mehr gedrückt werden sollen, und die sich wirklich abschuften?
Eines bedingt das andere - nichts existiert einfach so, im luftleeren Raum.
Darüber wäre nachzudenken, und das wäre lohnender, als über jene herzuziehen, und sie noch mehr fertig zu machen, die das System so nicht unbedingt aushalten können.
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