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Die deutsche Staatskrise: Günstlingswirtschaft, Ämterpatronage, Klientelpolitik
Sonntag, den 14. März 2010 um 13:28 Uhr von Georg Erber
Günstlingswirtschaft
Günstlingswirtschaft oder Nepotismus wird die Vergabepraxis von wirtschaftlichen Vorteilen an Personen genannt, die in der Gunst eines Entscheidungsträgers stehen, ohne dabei auf deren sonstige Befähigungen und Leistungen im Vergleich zu anderen potentiellen Kandidaten Rücksicht zu nehmen. Sie steht dem Gedanken einer unbestechlichen und neutralen Machtausübung diametral entgegen. Nicht die Qualifikation und Leistung einzelner Kandidaten entscheidet, sondern die Sympathie oder sonstige Abhängigkeit aufgrund anderer Tatbestände. Im deutschen Strafgesetzbuch werden unter dem Namen Amtsdelikte die Tatbestände aufgeführt, die strafrechtlich von Belang sind.
“Der Träger eines öffentlichen Amtes ist wegen seiner besonderen Macht- und Vertrauensstellung zur unparteiischen Wahrnehmung der ihm übertragenen hoheitlichen und öffentlich-rechtlichen Aufgaben verpflichtet. Ihm obliegt eine besondere Sorgfalts- und Neutralitätspflicht. Entsprechend dieser regelmäßigen beruflichen Aufgabe von Amtsträgern im Sinne der öffentlichen und rechtlichen Ordnung ergibt sich eine besondere Gefährdung für Handlungen, die im rechtlichen Sinn in einem weiten Spektrum von der Fahrlässigkeit bis zur Selbstjustiz liegen können.”
Leider ist im Strafgesetzbuch der § 346 (Begünstigung im Amt) gestrichen worden, aber der Sachverhalt Amtsmissbrauch ist im StGB § 302 enthalten. Dort heißt es:
Ҥ 302 Missbrauch der Amtsgewalt
(1) Ein Beamter, der mit dem Vorsatz, dadurch einen anderen an seinen Rechten zu schädigen, seine Befugnis, im Namen des Bundes, eines Landes, eines Gemeindeverbandes, einer Gemeinde oder einer anderen Person des öffentlichen Rechtes als deren Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich missbraucht, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen.
(2) Wer die Tat bei der Führung eines Amtsgeschäfts mit einer fremden Macht oder einer über- oder zwischenstaatlichen Einrichtung begeht, ist mit Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren zu bestrafen. Ebenso ist zu bestrafen, wer durch die Tat einen 40 000 Euro übersteigenden Schaden herbeiführt.”
Darüber hinaus gibt es den Sachverhalt der Amtsträgerhaftung.
Grundsätzlich könnte die Bundesverwaltung, d.h. das Auswärtige Amt, bei Amtsmissbrauch den Verantwortlichen Amtsträger in Regress nehmen, d.h. der Erstattung des durch ihn verursachten Schadens nehmen.
Regress gegen den Amtsträger
“Soweit die Anstellungskörperschaft für den Schaden gegenüber dem Dritten aufkommt (Art. 34 S. 2 Grundgesetz), kann sie gegen den Amtsträger, der den Schaden vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht hat, Regress nehmen. Der Anspruch selbst folgt für Beamte aus den Beamtengesetzen und für Arbeitnehmer aus dem Arbeitsvertrag und dem Tarifvertrag. Bei Richtern und Soldaten werden die Bestimmungen des Beamtenrechts sinngemäß angewandt.”
Es gibt also ausreichend Mittel, gegen Amtsmissbrauch mit den Mitteln des Strafrechts vorzugehen. Leider steht auch die Strafjustiz zwischen Politik und Recht.
Justiz zwischen Politik und Recht
“Da Gesetze nicht aus einem Gerechtigkeitshimmel fallen, sondern von Menschen erlassen werden, ist Justiz faktisch immer auch verlängerter Arm von Politik. Darüber hinaus gibt es teilweise politische Einflussnahme gesellschaftlicher Gruppen durch die Auswahl von Richtern und Staatsanwälten bei der Einstellung sowie bei der Beförderung. Sich in der Entscheidungspraxis hiervon wiederum freizumachen, ist die Aufgabe rechtsstaatlich verantwortungsbewusster Richterinnen und Richter. Positiv ausgedrückt heißt Politikabhängigkeit aber auch Gesetzesgebundenheit. Gemäß Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz ist die Rechtsprechung aber nicht nur an das Gesetz gebunden, sondern auch an das Recht. Der Richter darf nicht als bloßer “Gesetzesautomat” tätig werden; er muss die Gesetze vor dem Hintergrund der Verfassung anwenden und im Fall des Widerspruchs der Verfassung Vorrang geben. Über dem einfachen Gesetz stehen Verfassungs- und Menschenrechtsgrundsätze: “verfassungskonformer Positivismus”. Die Justiz, insbesondere die Strafjustiz darf weder “Statthalter der Obrigkeit” noch “Staat im Staate” sein. Sie muss eine Justiz sein, die sich der demokratischen Verantwortung und rechtsstaatlichen Prinzipien bewusst ist und sich von regierungsamtlich oder vom Zeitgeist formulierten Interessen abkoppelt.”
Ämterpatronage
“Ämterpatronage bezeichnet die ungerechtfertigte Bevorzugung von Bewerbern bei der Besetzung von Ämtern und Positionen (vor allem im Öffentlichen Dienst oder im Wissenschaftsbetrieb) auf der Grundlage von Parteibuchwirtschaft, Weltanschauungen, Zugehörigkeit zu einer wissenschaftlichen Schule, Verbindungskameradschaft oder persönlichen Bekanntschaften an Stelle einer Bestenauslese.
Die bis heute kritisierte Ämterpatronage im Auswärtigen Dienst (sic! – G.E.) ist aufgrund ihrer Begünstigung sogar von mutmaßlichen NS-Kriegsverbrechern in den 50er Jahren derzeit Gegenstand der Untersuchung einer internationalen Historikerkommission.
Die Praxis der Ämterpatronage ist bereits von Max Weber (ein sozialliberaler Verfolgter des NS-Regimes – G.E.) beschrieben worden. In seinem berühmten Vortrag Politik als Beruf erklärte Weber, dass früher die Fürsten, Eroberer und die erfolgreichen Parteichefs Lehen, Bodenschenkungen und Pfründe vergeben hätten.”
Weber sagte dort:
“Heute sind es Ämter aller Art in Parteien, Zeitungen, Genossenschaften, Krankenkassen, Gemeinden und Staaten, welche von den Parteiführern für treue Dienste vergeben werden. Alle Parteikämpfe sind nicht nur Kämpfe um sachliche Ziele, sondern vor allem auch: um Ämterpatronage.”
Wie wahr und hochaktuell.
Der frühere deutsche Bundespräsident Richard von Weizsäcker schrieb dazu:
‚Es sind die Parteien und ihre Fraktionen, die exklusiv über einen politischen Aufstieg oder Ausschluss entscheiden. Dabei pflegen sie eine tiefe Abneigung gegenüber jedwedem Seiteneinsteiger, es sei denn, sie versprechen sich von ihm einen unmittelbaren Zuwachs an Ansehen. Sie sichern durch Ämterpatronage ihren Einfluss bis tief hinein in die gesamte Gesellschaft. Treue Dienste werden mit Positionen aller Art belohnt. Stets bleibt für die Partei das Wichtigste der Weg zur Macht im Staat. Für den Einzelnen führt er über die Macht in der Partei. Innerparteiliche Meinungseinheit soll den Machtkampf stärken. Ein System von Belohnungen und Bestrafungen zielt auf größtmögliche Disziplin. Abweichler werden zur Ordnung gerufen.‘
Beispiel Justiz: Infolge der Ämterpatronage in der Strafverfolgung findet ein Teil der gesetzlich vorgesehenen Strafrechtspflege nicht statt. Der Umstand, dass Generalstaatsanwälte (Leiter der Generalstaatsanwaltschaften bei den Oberlandesgerichten) und Leitende Oberstaatsanwälte (Leiter der Staatsanwaltschaften bei den Landgerichten) oft nach Parteizugehörigkeit und Regierungsnähe ausgewählt werden, und dass unser Recht keinen unabhängigen, sondern nur einen weisungsabhängigen Staatsanwalt (§ 146 GVG) kennt, führt dazu, das in der Politik unerwünschte Ermittlungsverfahren oft gar nicht erst eingeleitet werden.”
Dies führt dazu, dass insbesondere auch Regierungskriminalität ungeahndet bleibt. Das Exempel Westerwelle und FDP an der Macht liefert hierzu nur einen besonders anschauliches Beispiel. Insbesondere das BMZ ist seit der Amtsübernahme durch Dirk Niebel, einem der Kritiker des BMZ, in den Geruch der massiven Ämterpatronage geraten. Aber wie gesagt, es ist nur ein Teil der ganzen Wahrheit über die blitzartige Machtergreifung durch FDP-Politiker nach langen Jahren des Enthaltsamkeit auf Bundesebene. Um den Stau bei der Besetzung von Positionen in der Bundesverwaltung einschließlich des Bundesverfassungsgerichts aufzulösen, nutzt die FDP die Gunst der Stunde ihres einzigartigen hohen Wahlsiegs bei der letzten Bundestagswahl schamlos aus.
Obwohl die jetzige Bundesjustizministerin, Leutheusser-Schnarrenberger, in der Legislaturperiode eine Änderung des Wahlverfahrens angeregt hatte, wurde die Stelle des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts weiterhin nach dem alten System mit einem SPD- (Vosskuhle) und einem FDP-Kandidaten (Andreas Paulus) für einen Sitz im 1. Senat des Bundesverfassungsgerichts durchgeführt. Es drängt sich auch hier der Verdacht auf, dass man, nachdem man einen Posten sicher hatte, die Änderung der Wahlordnung für das Verfassungsgericht nicht mehr als wichtig ansah.
Klientelpolitik
Am Beginn der Krise der FDP als Regierungspartei stand nicht zuletzt die im Wachstumsbeschleunigungsgesetz vorgesehene Senkung der Mehrwertsteuer auf sieben Prozent für das Hotel- und Gaststättengewerbe. Der Vorwurf bezog sich auf die zuvor hohen Spendeneinnahmen der FDP, insbesondere des Mövenpick-Eigentümers, August von Finck, die der FDP den Spottnamen Mövenpick-Partei einbrachte.
Ebenso bedenklich sind Vereinbarung mit der privaten Versicherungswirtschaft, die FDP-Parteimitgliedern Sonderkonditionen (sprich: Rabatte) einräumt.
Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile
Schon Aristoteles wusste, dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile. Dahinter steckt ein System und dieses System hat weitreichende Folgen für unsere Demokratie. Wenn die Bürger unseres Landes die derzeit besonders krass erkennbaren Tendenzen der politischen Kontrolle der Institutionen unseres Landes durch Parteien klaglos hinnehmen, dann wird die Demokratie letztendlich grundsätzlich in Frage gestellt.
Bereits vor knapp zwanzig Jahren wurde das Problem von Antje Vollmer in einem Beitrag der Zeit so umrissen:
‚Carl Friedrich von Weizsäcker schrieb im Jahre 1954: „Politische Stabilität in der Hochkultur hat immer ein, wenngleich mäßiges Wirtschaftswachstum vorausgesetzt, etwas rascher als das Wachstum der Bevölkerung. Denn stabile Regierung, die von der Zustimmung der Regierten getragen ist, bedeutet Regierung mit menschenfreundlichen Kompromissen. Jetzt kannst du noch keinen Posten bekommen, aber in fünf Jahren wird es auch für dich einen geben.’ Jede Zivilisation aber ist auf Grenzen ihres Wachstums gestoßen, durch Geographie und Stand der Technologie bedingt. Wenn die Grenzen des Wachstums erreicht sind, muss man kompromisslos regieren. Wer das kann, erscheint den Chronisten als böser Herrscher, wer es nicht kann, als schwacher. Die politische Katastrophe ist die Folge, und nach Jahrhunderten der Wirren ist das Land ausgeblutet genug, um zu neuem Wachstum für 200 Jahre anzusetzen.‘
Diese historische Überlegung, aus den fünfziger Jahren auf die heutige Situation übersetzt, würde etwa so aussehen:
Per Hintergrund der europaweiten Parteienkrise ist die Wachstumskrise der europäischen Hochkultur. Sie würde gemeistert werden können — allerdings nur kurzfristig —, wenn das Versprechen der europäischen Staatsmänner (von Helmut Kohl bis Boris Jelzin) noch einmal erfüllbar wäre: ‚In fünf Jahren wird es auch für euch blühende Landschaften, einen Posten und wachsenden Wohlstand geben. ‘ Wenn aber — was realitätsgerechter ist — die Grenzen des europäischen Wachstums aus ökonomischen, sozialen und ökologischen Gründen erreicht sind, dann gibt es nur die Möglichkeit, ‚kompromisslos zu regieren‘. Die Parteien und die politische Klasse, die Herrscher der Jetztzeit, haben folglich nur die Wahl, entweder als ‚böse‘ oder als ‚schwache Herrscher‘ in die Chronik einer untergehenden Zivilisation einzugehen. Die Chance, sich beim Volk durch Verteilung von Wohltaten beliebt zu machen, besteht in einer solchen Zeit faktisch nicht mehr — mangels Masse.”
Die Koinzidenz der Krise unsres Parteienstaates mit der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise und der Krise der Staatsfinanzen ist also nicht zufällig. Wo keine Wohltaten mehr zu verteilen sind, wachsen die sozialen Spannungen und die Verteilungskämpfe nehmen zu. Was von der Gesellschaft, d.h. der Bevölkerung noch unter Wachstumsperspektiven und Wohlstand für Alle akzeptabel war, wird unter einer Situation des wirtschaftlichen Verfalls und der sich abzeichnenden langfristigen Stagnation unerträglich. Es verwundert daher nicht, wenn Westerwelle einen Linken Zeitgeist diagnostiziert, der der FDP jetzt so heftig entgegenschlägt. Die Gesellschaft spürt sehr deutlich, dass es nichts mehr an Zugewinn zu verteilen gibt. Wer anderen aber etwas wegnimmt um sich selbst zu bereichern, der wird in dieser Situation besonders angreifbar. William Baumol hat die Probleme des Kapitalismus, wenn er aufgrund seiner Organisation an Wachstumsgrenzen stößt, klar umrissen. Wir brauchen ein neues gesellschaftliches Entwicklungsmodell, das Wohlstand für Alle wieder als glaubwürde Perspektive vertreten kann.
Crony Capitalism ist am Ende. Die FDP und die anderen Parteien müssen diese Lektion erst noch lernen. Man muss zu den Optimisten wie Martin Feldstein zählen, die einfach eine Erholung der US-Wirtschaft per Annahme für ihr Langfristszenario der wirtschaftlichen Entwicklung der USA machen. Denn merke: Die Hoffnung stirbt immer zuletzt. Vielleicht sollte aber die Staatsanwaltschaft zunächst erst mal den Augiasstall unseres Gemeinwesens ausmisten helfen. Das wäre doch schon ein erster Schritt zur Besserung.
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