Here are the Cables:
http://documents.nytimes.com/eikenberry-s-memos-on-the-strategy-in-afghanistan#p=1
Dazu der Artikel aus der NT:
http://www.nytimes.com/2010/01/26/world/asia/26strategy.html
Und hier ein Interview in deutscher Sprache dazu:
http://zmag.de/artikel/interview-mit-daniel-ellsberg-ueber-die-durchgesickerten-eikenberry-telegramme
Interview mit Daniel Ellsberg über die durchgesickerten Eikenberry-Telegramme
Das Interview führten Amy Goodman und Anjali Kamat
von Daniel Ellsberg
30.03.2010 — Democracy Now!
"Unser Präsident täuscht die amerikanische Öffentlichkeit", sagte Whistleblower Daniel Ellsberg in unserem Gespräch. Unsere Themen waren: Präsident Obama sowie die Kriege im Irak und in Afghanistan.
Unser heutiger Gast ist ein Mann, der 1970/71 eine Schlüsselrolle bei der Beendigung des Vietnamkrieges spielte. Daniel Ellsberg war damals Analyst für die 'RAND Corporation'. Er ließ Geheimdokumente an die Presse durchsickern. Diese Dokumente wurden als die 'Pentagon Papers' bekannt: 7000 Seiten Geheimmaterial, das Auskunft über das wahre Ausmaß des amerikanischen Engagements in Vietnam gab. Ellsberg entging einer Verurteilung zu lebenslänglicher Haft (wegen Spionage). Seit jener Zeit war und ist er eine unermüdliche Stimme gegen den amerikanischen Militarismus.
Anjali Kamat:
Am Montag kehrte Präsident Obama aus Afghanistan zurück. Seit seinem Amtsantritt war es sein erster kurzer Besuch in diesem Land. Der Besuch dauerte nur sechs Stunden. Obama traf sich mit Präsident Hamid Karsai und anderen hochrangigen afghanischen Offiziellen. Danach sprach er auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Bagram vor einer Gruppe US-Soldaten. Er wählte ein Thema, das bereits von George W. Bush ständig wiederholt wurde: Amerika hatte keine andere Wahl, als in Afghanistan einzumarschieren, so Obama.
(Einblendung)
Präsident Barack Obama:
Wir können nicht vergessen, warum wir hier sind. Wir haben uns diesen Krieg nicht ausgesucht. Es ging nicht darum, dass Amerika seine Einflusszone erweitern wollte, dass wir uns in fremde Angelegenheiten einmischen wollten. Wir wurdem am 11. September heimtückisch angegriffen. Tausende unserer Landsleute fanden den Tod. Und in dieser Region besitzen die Täter, die dieses Verbrechen verübten, die al-Kaida, noch immer Basen für ihre Anführer. Verschwörungen gegen unser Heimatland, Verschwörungen gegen unsere Verbündeten, Verschwörungen gegen das afghanische und das pakistanische Volk werden geplant, während wir hier sprechen.
Und sollte die Region wieder zurückgleiten, sollten die Taliban das Land wieder einnehmen und die al-Kaida wieder straffrei operieren können, wird das Leben von noch mehr Amerikanern gefährdet sein, das afghanische Volk wird seine Chance auf Fortschritt und Wohlstand verlieren, und die Welt wird wesentlich weniger sicher sein. Und solange ich euer Oberkommandierender (Commander-in-chief), bin, werde ich das nicht zulassen.
Das ist der Grund, weshalb Sie hier sind. Ich habe Ihnen allen, die Sie dienen, das Versprechen gegeben, Sie nie in Gefahr zu bringen - es sei denn, es ist absolut nötig. Der Gedanke, welche Opfer so viele von Ihnen auf sich nehmen, beunruhigt mich. Darum gebe ich Ihnen das Versprechen, ich werde Sie nie aussenden - es sei denn, es ist notwendig". (Ende)
Anjali Kamat:
Präsident Obamas Besuch (Ende März 2010) kam vier Monate, nachdem er angeordnet hatte, 30 000 weitere Soldaten nach Afghanistan zu schicken. Insgesamt werden es somit 50 000 zusätzliche US-Soldaten für Afghanistan sein - seit Beginn seiner Amtszeit. Diese und andere Entscheidungen haben dazu geführt, dass Kriegskritiker Barack Obama nun vorwerfen, er habe George Bushs Linie - während dessen zweiter Amtszeit - weitgehend übernommen.
Amy Goodman:
Wir sind nun mit einem Mann verbunden, der in den 70ger Jahren eine wichtige Rolle bei der Beendigung des Vietnamkrieges spielte. 1971 ließ ein Mitglied der so genannten ''RAND-Corporation', der Analyst Daniel Ellsberg, die so genannten 'Pentagon-Papers' an die Medien durchsickern. Bei diesen Papieren handelte es sich um 7 000 geheime Seiten, die das wahre Ausmaß der Verwicklungen der USA in Vietnam deutlich umrissen. Ellsberg entging einer lebenslänglichen Gefängnisstrafe (wegen Spionage) und hat seitdem nie aufgehört, sich gegen den US-Militarismus zu äußern. Er ist uns nun aus Berkeley, aus der Universität von Kalifornien, zugeschaltet.
Willkommen, bei Democracy Now! Dan Ellsberg - Was denken Sie - nach diesem überraschenden Besuch Obamas in Afghanistan?
Daniel Ellsberg:
Präsident Obama unternimmt wirklich jeden ihm nur möglichen symbolischen Schritt, damit dies "Obamas Krieg" wird - so wie der Vietnamkrieg im November 1969 zu Nixons Krieg wurde. In dieser Zeit legte ich die Kopien der 'Pentagon Papers' an - in der Hoffnung, eben dies verhindern zu können. Bereits (Präsident) Johnson hatte Vietnam zu seinem Krieg gemacht. (Es war) Johnsons Krieg. Im Juni 1965 war es (Verteidigungsminister) McNamaras Krieg gewesen. Zu dieser Zeit, als McNamara die Eskalation - die Openend-Eskalation - beschloss, war ich sein Mitarbeiter. Davor hatten sich Eisenhower und Kennedy (in Vietnam) engagiert. Ihr Engagement ließ die Sache zu einem Openend-Krieg werden. Nun tut Obama dasselbe. Wissen Sie, am Ende wird das Ergebnis so ziemlich das gleiche sein; es wird das gleiche tragische Resultat sein - vor allem für das betroffene Land, aber auch für die Amerikaner. Er (Obama) wird wahrscheinlich unter den gleichen Druck geraten wie damals Johnson.
Amy Goodman:
Dan Ellsberg, ich habe Sie hier, in New York, einmal sprechen sehen. Es war nach einer Aufführung des Stückes 'Top Secret' - ein sehr interessantes Stück, in dem es darum geht, dass die New York Times die 'Pentagon Papers' nicht veröffentlichen wollte. Die New York Times war zwar die Erste, die mit dem Abdruck der Papers begann, ließ es dann aber sein, mit Rücksicht auf die Nixon-Regierung. Schließlich veröffentlichte die Washington Post die 'Pentagon Papers'. Darum ging es. Nach dem Stück sprachen Sie über den derzeitigen US-Botschafter in Afghanistan, Karl Eikenberry. (Sie sagten), wie wichtig seine (im Januar) an die Öffentlichkeit durchgesickerten Memos und Telegramme seien*. Können Sie uns etwas dazu sagen?
Daniel Ellsberg:
Yeah. Seit vielen Jahren, seit wir uns den Irak vorgenommen haben (2002 sind wir mit den gleichen Lügen losgezogen, die uns damals, als ich im Pentagon war, nach Vietnam geführt haben), sage ich zu Offiziellen der Regierung: "Handelt nicht, wie ich gehandelt habe. Handelt so, wie ich wünschte, gehandelt zu haben - nämlich schon 1963/64, bevor wir in den Krieg eintraten, bevor die Bomben fielen. Wartet nicht ab, wie ich es damals tat - bis wir uns im Krieg befinden und dieser im Grunde nicht mehr zu stoppen ist. Wartet nicht ab, bevor ihr die Wahrheit sagt über jene Hoffnungslosigkeit, die in der Regierung bereits Konsens ist und über die Unmöglichkeit, über die Unwahrscheinlichkeit, irgendwie doch noch zu siegen. Handelt sofort".
In letzter Zeit, als ich schon (aufgeben wollte), wurde mein Ruf erhört. Ich weiß nicht, ob direkte Absicht dahinter steckte oder nicht, aber ein Regierungsoffizieller* ist nun in den Augen von Präsident Obama der gefährlichste Mann Amerikas. Ich bin sicher, ich bin mir gewiss, dass in diesem Moment eine geheime Maulwurfaktion läuft, um rauszukriegen, wer die Telegramme, die Geheimtelegramme, unseres Botschafters Eikenberry, die er aus Kabul abschickte, durchsickern ließ. Der pensionierte Generalleutnant Karl Eikenberry - der heute US-Botschafter in Kabul ist -, war unser hauptverantwortlicher Mann in Afghanistan. Zunächst war er für die Ausbildung der afghanischen Truppen verantwortlich und später für unsere sämtlichen Operationen in Afghanistan. Das hat jetzt General McChrystal übernommen. Heute ist Eikenberry der bei Karsai akkreditierte US-Botschafter - Karsai, der so genannte Regierungschef, den wir dort unten unterstützen.
Die angesprochenen Telegramme, Geheimtelegramme, sind im Januar durchgesickert*. Jemand ließ sie durchsickern. Das war, nachdem der Präsident seine Entscheidung bekanntgegeben hatte (die US-Truppen zu verstärken). Das bedaure ich. Mir wäre lieber gewesen, Eikenberry hätte sich an das gehalten, was ich am dringendsten rate: Er hätte die Telegramme, in denen die Wahrheit stand, abschicken sollen, bevor diese Entscheidung verkündet wurde. Aber noch ist die Entscheidung (des Präsidenten) nicht umgesetzt. Vor allem hat der US-Kongress sie, was die Finanzierung anbelangt, noch nicht implementiert - und er täte gut daran, sich durchzulesen, für was hier Gelder zur Verfügung gestellt werden sollen.
Zurück zu Eikenberrys Telegrammen. Sie klingen wie die Zusammenfassung der 'Pentagon Papers' - nur, dass es um Afghanistan geht. Es sind die ersten Dokumente von der Art, wie wir sie jetzt brauchen. Ersetzen Sie 'Saigon' einfach durch 'Kabul'. Die nationalen afghanischen Truppen sind heute das, was für uns damals, in Vietnam, die Söldner der ARVN waren. Es liest sich fast identisch. Er (Eikenberry) beschreibt Präsident Karsai, bei dem er ja akkreditierter US-Botschafter ist und den er gerade erst zusammen mit Präsident Obama besucht hat. Karsai hat Eikenberrys Einschätzung zu seiner Person vermutlich gelesen. Eikenberry hält ihn für keinen adäquaten strategischen Partner für die USA, da er korrupt und ineffizient sei.
Angeblich - so sagt man uns -, reiste Obama für 17 Stunden nach Afghanistan, um persönlich unseren Wunsch zu übermitteln, er (Karsai) möge seine Regierung ausmisten. Das erinnert wirklich sehr daran, wie Kennedy und Johnson damals beschlossen, unsere Mafia anzuheuern, um Castro zu fassen. Ich glaube nicht, dass sie viel Zeit damit vergeudeten, der Mafia zu sagen: "Wenn ihr unsere Partner werden wollt, wäre es sehr hilfreich für uns, wenn ihr vorher klar Schiff macht und aus dem Drogengeschäft aussteigt". Ob die Regierung Karsai oder die Mafia - es ist unsere Korruption, es sind unsere Drogengeschäfte. Seine Regierung ist ein Synonym für Korruption. Seine Wähler, seine Einnahmequellen (sind korrupt). Es besteht absolut keine Chance, dass er beispielsweise seinen Bruder Ahmed Wali Karsai aus Kandahar vertreiben wird. Kandahar soll ja unsere nächste Operationsbasis werden - und das obwohl der Chef des amerikanischen Oberkommandos (Joint Chiefs of Staff) sagt, es könne keinen Sieg in Kandahar geben, solange die Korruption und der Drogenhandel das Herzstück dieser Region seien und solange Präsidentenbruder Wali dort das Sagen habe.
Es ist offensichtlich - und nicht nur symbolisch gemeint. Es ist eine Tatsache, dass wir dort eine Regierung haben, die nie eine Chance auf Legitimität haben wird - in den Augen der Menschen, die wir in Afghanistan angeblich erreichen wollen. Es ist symbolisch für die ganze Aktion. Es besteht keine Aussicht darauf, dass wir in Afghanistan erfolgreicher sein werden als die Sowjetunion, die dort zehn Jahre lang war. Ebenso hatten wir damals in Vietnam keine realistischere Chance auf Erfolg als die Franzosen (davor). Aber es fällt einem Staat schwer, aus dem Scheitern eines anderen Staates zu lernen.
Anjali Kamat:
Dan Ellsberg, wie schätzen Sie die Counterinsurgency-Strategie ein, auf die die Regierung Obama, General Petraeus und Stanley McChrystal so drängen?
Daniel Ellsberg:
Es ist eine Theorie, mit der ich sehr vertraut bin - denn in Vietnam arbeitete ich jahrelang mit dieser Counterinsurgency-Theorie, mit der Strategietheorie. Mein Job war es, den "Fortschritt" zu evaluieren - in diesem Fall den fehlenden Fortschritt, den totalen Stillstand, den völligen Mangel an Fortschritten in Vietnam. Aus diesem Grund bereiste ich 38 der 43 Provinzen Vietnams. Ich berichtete über den Stillstand. (Verteidigungsminister) McNamara hörte und verstand - obgleich das Wort "Fortschritt" benutzt werden musste (so, wie Obama heute ja auch von Fortschritt spricht).
Was nicht berücksichtigt wird, ist, dass die Anwesenheit fremder Truppen für den Gegner das wichtigste Rekrutierungsinstrument ist. Indem wir (ausländische) Truppen aufstocken, erhalten wir dieses Instrument aufrecht. Für jeden Gegner, der versucht, die Ausländer aus seinem Land zu vertreiben und den wir töten, kommen neue - vor allem, wenn wir seine Angehörigen, Hochzeitsgesellschaften und Beerdigungsfeiern bombardieren (nachdem wir die Hochzeit bombardiert haben). Das alles führt dazu, dass sich neue Leute anwerben lassen, so dass wir uns - und das sollte uns klar sein -, nicht werden halten können, im Gegensatz zu dem, was Präsident Obama verlauten lässt. Doch, wenn er sagt, wir werden, zumindest kurzfristig, nicht abziehen, hat er leider Recht. Uns stehen noch viele weitere Jahre bevor.
Ich glaube übrigens, dass es in gewisser Weise auch im Irak so laufen wird. Ich glaube - und ich sage das nicht leichthin -, dass unser Präsident die amerikanische Öffentlichkeit genauso belügt, wie seine ganzen Vorgänger uns über Vietnam belogen haben, einschließlich derer, für die ich gearbeitet habe - unter anderem Kennedy, Johnson und Nixon. Vor allem, wenn Obama in seiner 'Rede zur Nation' sagt, dass wir... dass wir alle unsere Soldaten, nicht nur die Kampftruppen, sondern sämtliche Soldaten bis Ende 2011 aus dem Irak abziehen werden, dann glaube ich, dass das nicht stimmt, und dass er das auch weiß. Ich glaube zudem, dass er keinen wirklichen Plan beziehungsweise nicht die Absicht hat, amerikanische Basen (im Irak), die mit US-Militärpersonal besetzt sind - und nicht bloß mit Söldnern - irgendwann zu schließen. In Obamas zweiter Amtszeit - oder in der seines Nachfolgers, wer immer das auch sein mag -, werden wir zwischen 30 000 und 50 000 Amerikaner auf Dauer im Irak haben. Wenn es um die wahren Planungen geht, denke ich an das Leben unserer Kinder.
Zum Thema Afghanistan sprach Obama in derselben 'Rede an die Nation' über die erste Verlegung von Extratruppen nach Afghanistan. US-Botschafter Eikenberry hatte dem Präsidenten (in seinen Telegrammen vom November 2009) ja vor allem DAVON abgeraten und geschrieben, dies würde zu einer Verschlechterung der Lage führen - und nicht zu einer Verbesserung. Die Regierung Karsai würde dadurch noch mehr von uns abhängig und das Datum für unseren Abzug hinausgezögert - und nicht etwa beschleunigt. Und wir reden hier nur von der ersten Truppenverstärkung. Obama sagte (in seiner Rede zur Nation), dass wir Ende 2011 - nein, noch in diesem Jahr - die 30 000 bis 40 000 Extrasoldaten dort haben werden. Es werden dann insgesamt 100 000 US-Soldaten sein. Rechnen wir noch die Truppen unserer Nato-Verbündeten dazu, dann kommen wir auf eine Truppenpräsenz, wie sie die Sowjets damals in Afghanistan hatten. Nach zehn Jahren waren sie gescheitert. Und zu glauben, McChrystal wäre nun zufrieden und würde keine weiteren Truppen mehr anfordern, ist einfach absurd. McChrystal hatte schon jetzt 80 000 Soldaten angefordert - und auch das war nur eine erste Anforderung.
Mein Wissen über die Doktrin der Aufstandsbekämpfung (Counterinsurgency) ist nicht besser und nicht schlechter als das, was ich bei Petraeus und McChrystal über diese Doktrin lese. Gemäß dieser Doktrin braucht man für ein Land dieser Größenordnung mehrere hunderttausend Soldaten. Die Afghanen werden diese Truppen nicht aufbringen. Kaum haben wir sie rekrutiert, desertieren sie schon wieder. Wir kommen mit dem Rekrutieren gar nicht mehr nach. Außerdem hält sich ihre Motivation in Grenzen, für Ausländer zu arbeiten. Mit den Regierungssoldaten, mit denen ich damals in Vietnam zusammengearbeitet habe, war es dasselbe. Sie werden die Lücke nicht schließen. Unsere Truppen ziehen aus dem Irak ab. Unsere Truppenstärke im Irak sinkt von heute 130 000 oder 90 000 Soldaten auf 30 000 bis 50 000. Diesen 100 000 abgezogenen Soldaten wird wenig Heimaturlaub - mit ihren Eltern, Partnern und Kindern - vergönnt sein, bevor es weitergeht nach Afghanistan. Meiner Einschätzung nach werden wir in vier Jahren mehr Truppen in Afghanistan haben als in zwei Jahren (von heute an gerechnet). Die Öffentlichkeit scheint das nicht zu begreifen. Wenn es um die Kostenfrage geht, wenn geschätzt wird, wieviel uns unser Afghanistan-Engagement am Ende kosten wird, ist von einer Billion Dollar die Rede. Sie sollten die Summen lieber verdoppeln. Wir werden weitere Soldaten brauchen. Die Schätzungen gehen nämlich von der Vorstellung aus, dass wir sämtliche Truppen aus dem Irak abziehen werden können, doch das wird nicht der Fall sein.
Amy Goodman:
Dan Ellsberg...
Daniel Ellsberg:
Somit sind diese (finanziellen) Schätzungen eine Illusion. Man könnte die doppelte Summe nennen.
Amy Goodman:
In Kabul haben Militäroffizielle zugegeben, dass US- und Nato-Truppen in der Nähe von Militär-Checkpoints oder in Checkpoints seit vergangenen Sommer 30 Afghanen getötet und 80 verletzt haben. In keinem der Fälle konnte nachgewiesen werden, dass das Opfer eine Gefahr für die Truppen darstellte. Der militärische Oberkommandierende (in Afghanistan), General McChrystal, sagte vor kurzem in einer Videokonferenz: "Wir haben eine erstaunliche Anzahl von Menschen erschossen, aber, soweit mir bekannt, konnte bei keiner dieser Personen je bewiesen werden, dass sie eine Gefahr war". Was sagen Sie dazu?
Daniel Ellsberg:
Das ist eine wirklich erstaunlich kluge Einschätzung von McChrystal. Ich weiß es zu schätzen, dass er das gesagt hat. Er hat auch - zum ersten Mal - davon gesprochen, dass er die Zahl der zivilen Opfer reduzieren will. Aber wenn die Zahl der US-Soldaten und die Zahl der Einsätze dort unten enorm zunehmen wird, wird es insgesamt zu mehr Toten kommen, selbst wenn die Zahl der zivilen Opfer bei den einzelnen Einsätzen zurückgehen sollte. Der Haupteffekt wird sein, dass die Angehörigen der Getöteten sich von den Aufständischen rekrutieren lassen werden.
Wenn wir von Vietnam sprechen, dann sprechen wir von einem Land, das auf eine 2000 Jahre alte Tradition zurückblicken kann - nicht nur in Bezug auf das Bild, das das Land von sich selbst hat, sondern auch in Bezug auf echte Siege, wenn es darum ging, ausländische Invasoren aus dem Land zu vertreiben. Dort (in Afghanistan) sind sie weniger organisiert. Man könnte von einem desorganisierten Staat sprechen - jedes Tal, jeder Stamm organisiert sich selbst. Sie sind geradezu ideal organisiert, um die Kontrolle durch Fremde abzuschütteln - ja selbst die Kontrolle durch eine Zentralregierung wie Kabul. Darin besteht ein gewisser Unterschied zu Vietnam. Selbst wenn Kabul seinen Stall ausmisten würde, was eine vollständige Wandlung bedeuten würde....
Ein (wichtiger) Punkt, den Eikenberry angeführt hat, ist, dass es keinen Grund gibt zu glauben, Karsai werde sich oder seine Regierung zu diesem Zeitpunkt in seinem Leben grundlegend ändern. Übrigens stammt auch dieser Punkt aus den geheimen Telegrammen an den Präsidenten. Es ist wie bei den 'Pentagon Papers'. Als Eikenberry in aller Öffentlichkeit vor dem Kongress aussagte, klang das so: "Oh, ich unterstütze McChrystals Programm vollkommen". In Wirklichkeit hatte er dieses Programm gerade heimlich zerrissen. "Ich unterstütze das Programm vollkommen. Ich habe volles Vertrauen". Kurz gesagt, Eikenberry log (zumindest hat er das Gegenteil von dem gesagt, was er im Geheimen mitteilte). Alle Offiziellen, die für den Präsidenten arbeiten, haben gelogen - nachdem Obama seine Entscheidung (zur Truppenaufstockung) getroffen hatte. Der Kongress sollte daher einfach hingehen und ihn zurückholen. Eikenberry sollte erklären, wie es zu einer derartigen Diskrepanz zwischen seinen geheimen Telegrammen (die im Archiv der New York Times für jede Person einsehbar sind**) und seiner öffentlichen Aussage (vor dem Kongress) kommen konnte. Sie sollten ihm Gelegenheit geben, die Wahrheit zu sagen und ihn dann bitten zurückzutreten.
Anjali Kamat:
Dan Ellsberg, dass Sie damals die 'Pentagon Papers' durchsickern ließen, hat dazu beigetragen, den Vietnamkrieg zu beenden. Was wäre, Ihrer Meinung nach, nötig, um die Kriege im Irak und in Afghanistan zu beenden.
Daniel Ellsberg:
Man müsste den Kongress irgendwie dazu bewegen, den Mut aufzubringen, den eigenen Überzeugungen zu folgen, das heißt, die Kriegsfinanzierungen zu stoppen - vor allem das Geld für die Ausweitung (der Kriege). Barbara Lee war die einzige Kongressabgeordnete, die 2001 den Mut aufbrachte, gegen 'Afghanistan' zu stimmen. Die Resolution zum Golf von Tonkin (1964) vor vielen Jahren war genauso zustande gekommen (einziger Abweichler im Kongress war Senator Wayne Morse - Anmerkung d. Übersetzerin) - ohne Anhörungen, ohne Debatten, ohne Beweise: ein Blankoscheck für den Präsidenten (Johnson, den Vietnamkrieg auszuweiten). Dem Kongress liegt im Moment der Gesetzesvorschlag (Nummer 3699) einer Person vor, der besagt, die gesamte Finanzierung für die Eskalation in Afghanistan einzustellen. Über diese Gesetzesvorlage und über die Frage der Finanzierung ist noch nicht entschieden.
Der Vorsitzende des 'Finanzierungskomitees' ('Appropriation Committee'), David Obey sowie Nancy Pelosi (Sprecherin des Repräsentantenhauses) und Harry Reid (vom Senat) betonen, dass sie gegen eine weitere Eskalation sind, so wie Ex-General Eikenberry, der unser Botschafter in Afghanistan ist. Aber heißt das, dass sie tatsächlich gegen jene Finanzmittel stimmen werden, die Menschen dort hinüber schicken werden, um zu sterben und zu töten? Nein, das ist extrem unwahrscheinlich. Allerdings werden einige Kollegen mit 'nein' stimmen.
Amy Goodman:
Wir haben noch zehn Sekunden.
Daniel Ellsberg:
Druck auf diese Kollegen auszuüben, damit sie wissen, DAS wollen wir - und wir planen das -, ist der ultimative Weg, den Krieg zu beenden. Der einzige Weg, den Vietnamkrieg zu beenden, war die Streichung der Finanzmittel durch den US-Kongress, und es wird auch der einzige Weg sein, diesen Krieg hier zu beenden. Es wird eine Menge Zeit brauchen.
Amy Goodman:
Dan Ellsberg, wir müssen hier Schluss machen.
Daniel Ellsberg:
Ich nenne diesen Ort 'Vietnamistan'.
Amy Goodman:
Wir müssen hier Schluss machen, aber wir werden unser Gespräch fortsetzen und es auf unserer Seite democracynow.org online stellen. Dan Ellsberg - Henry Kissinger hat ihn einmal als "den gefährlichsten Mann in Amerika" bezeichnet.
Anmerkung d. Übersetzerin:
* Karl Eikenberry, US-Botschafter in Kabul, hatte im November mehrere Geheimtelegramme an die Regierung Obama geschickt, in denen er insbesondere vor der geplanten erneuten US-Truppenaufstockung und vor Präsident Karsai warnte. Dennoch verkündete Obama kurz darauf eine weitere Truppenerhöhung (um 30 000 Soldaten) für Afghanistan. Ende Januar wurden zwei mehrseitige Geheimtelegramme, die Eikenberry im November an die US-Regierung geschickt hatte, von einem "Regierungsoffiziellen" an die New York Times zur Veröffentlichung gegeben. Die Veröffentlichung erfolgte kurz darauf, Ende Januar 2010 und löste heftige Debatten in den USA aus.
*Siehe hierzu http://www.abendblatt.de/politik/ausland/article1357554/US-Botschafter-warnte-im-November-vor-mehr-Soldaten.html
**Auf der Seite der New York Times findet sich der Artikel 'U.S. Envoy's Cables Show Worries on Afghan Plans' von Eric Schmitt. Innerhalb dieses Artikels führt ein Link (the full cables) zu den durchgesickerten Originalblättern von Eikenberry.
Unser heutiger Gast ist ein Mann, der 1970/71 eine Schlüsselrolle bei der Beendigung des Vietnamkrieges spielte. Daniel Ellsberg war damals Analyst für die 'RAND Corporation'. Er ließ Geheimdokumente an die Presse durchsickern. Diese Dokumente wurden als die 'Pentagon Papers' bekannt: 7000 Seiten Geheimmaterial, das Auskunft über das wahre Ausmaß des amerikanischen Engagements in Vietnam gab. Ellsberg entging einer Verurteilung zu lebenslänglicher Haft (wegen Spionage). Seit jener Zeit war und ist er eine unermüdliche Stimme gegen den amerikanischen Militarismus.
Anjali Kamat:
Am Montag kehrte Präsident Obama aus Afghanistan zurück. Seit seinem Amtsantritt war es sein erster kurzer Besuch in diesem Land. Der Besuch dauerte nur sechs Stunden. Obama traf sich mit Präsident Hamid Karsai und anderen hochrangigen afghanischen Offiziellen. Danach sprach er auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Bagram vor einer Gruppe US-Soldaten. Er wählte ein Thema, das bereits von George W. Bush ständig wiederholt wurde: Amerika hatte keine andere Wahl, als in Afghanistan einzumarschieren, so Obama.
(Einblendung)
Präsident Barack Obama:
Wir können nicht vergessen, warum wir hier sind. Wir haben uns diesen Krieg nicht ausgesucht. Es ging nicht darum, dass Amerika seine Einflusszone erweitern wollte, dass wir uns in fremde Angelegenheiten einmischen wollten. Wir wurdem am 11. September heimtückisch angegriffen. Tausende unserer Landsleute fanden den Tod. Und in dieser Region besitzen die Täter, die dieses Verbrechen verübten, die al-Kaida, noch immer Basen für ihre Anführer. Verschwörungen gegen unser Heimatland, Verschwörungen gegen unsere Verbündeten, Verschwörungen gegen das afghanische und das pakistanische Volk werden geplant, während wir hier sprechen.
Und sollte die Region wieder zurückgleiten, sollten die Taliban das Land wieder einnehmen und die al-Kaida wieder straffrei operieren können, wird das Leben von noch mehr Amerikanern gefährdet sein, das afghanische Volk wird seine Chance auf Fortschritt und Wohlstand verlieren, und die Welt wird wesentlich weniger sicher sein. Und solange ich euer Oberkommandierender (Commander-in-chief), bin, werde ich das nicht zulassen.
Das ist der Grund, weshalb Sie hier sind. Ich habe Ihnen allen, die Sie dienen, das Versprechen gegeben, Sie nie in Gefahr zu bringen - es sei denn, es ist absolut nötig. Der Gedanke, welche Opfer so viele von Ihnen auf sich nehmen, beunruhigt mich. Darum gebe ich Ihnen das Versprechen, ich werde Sie nie aussenden - es sei denn, es ist notwendig". (Ende)
Anjali Kamat:
Präsident Obamas Besuch (Ende März 2010) kam vier Monate, nachdem er angeordnet hatte, 30 000 weitere Soldaten nach Afghanistan zu schicken. Insgesamt werden es somit 50 000 zusätzliche US-Soldaten für Afghanistan sein - seit Beginn seiner Amtszeit. Diese und andere Entscheidungen haben dazu geführt, dass Kriegskritiker Barack Obama nun vorwerfen, er habe George Bushs Linie - während dessen zweiter Amtszeit - weitgehend übernommen.
Amy Goodman:
Wir sind nun mit einem Mann verbunden, der in den 70ger Jahren eine wichtige Rolle bei der Beendigung des Vietnamkrieges spielte. 1971 ließ ein Mitglied der so genannten ''RAND-Corporation', der Analyst Daniel Ellsberg, die so genannten 'Pentagon-Papers' an die Medien durchsickern. Bei diesen Papieren handelte es sich um 7 000 geheime Seiten, die das wahre Ausmaß der Verwicklungen der USA in Vietnam deutlich umrissen. Ellsberg entging einer lebenslänglichen Gefängnisstrafe (wegen Spionage) und hat seitdem nie aufgehört, sich gegen den US-Militarismus zu äußern. Er ist uns nun aus Berkeley, aus der Universität von Kalifornien, zugeschaltet.
Willkommen, bei Democracy Now! Dan Ellsberg - Was denken Sie - nach diesem überraschenden Besuch Obamas in Afghanistan?
Daniel Ellsberg:
Präsident Obama unternimmt wirklich jeden ihm nur möglichen symbolischen Schritt, damit dies "Obamas Krieg" wird - so wie der Vietnamkrieg im November 1969 zu Nixons Krieg wurde. In dieser Zeit legte ich die Kopien der 'Pentagon Papers' an - in der Hoffnung, eben dies verhindern zu können. Bereits (Präsident) Johnson hatte Vietnam zu seinem Krieg gemacht. (Es war) Johnsons Krieg. Im Juni 1965 war es (Verteidigungsminister) McNamaras Krieg gewesen. Zu dieser Zeit, als McNamara die Eskalation - die Openend-Eskalation - beschloss, war ich sein Mitarbeiter. Davor hatten sich Eisenhower und Kennedy (in Vietnam) engagiert. Ihr Engagement ließ die Sache zu einem Openend-Krieg werden. Nun tut Obama dasselbe. Wissen Sie, am Ende wird das Ergebnis so ziemlich das gleiche sein; es wird das gleiche tragische Resultat sein - vor allem für das betroffene Land, aber auch für die Amerikaner. Er (Obama) wird wahrscheinlich unter den gleichen Druck geraten wie damals Johnson.
Amy Goodman:
Dan Ellsberg, ich habe Sie hier, in New York, einmal sprechen sehen. Es war nach einer Aufführung des Stückes 'Top Secret' - ein sehr interessantes Stück, in dem es darum geht, dass die New York Times die 'Pentagon Papers' nicht veröffentlichen wollte. Die New York Times war zwar die Erste, die mit dem Abdruck der Papers begann, ließ es dann aber sein, mit Rücksicht auf die Nixon-Regierung. Schließlich veröffentlichte die Washington Post die 'Pentagon Papers'. Darum ging es. Nach dem Stück sprachen Sie über den derzeitigen US-Botschafter in Afghanistan, Karl Eikenberry. (Sie sagten), wie wichtig seine (im Januar) an die Öffentlichkeit durchgesickerten Memos und Telegramme seien*. Können Sie uns etwas dazu sagen?
Daniel Ellsberg:
Yeah. Seit vielen Jahren, seit wir uns den Irak vorgenommen haben (2002 sind wir mit den gleichen Lügen losgezogen, die uns damals, als ich im Pentagon war, nach Vietnam geführt haben), sage ich zu Offiziellen der Regierung: "Handelt nicht, wie ich gehandelt habe. Handelt so, wie ich wünschte, gehandelt zu haben - nämlich schon 1963/64, bevor wir in den Krieg eintraten, bevor die Bomben fielen. Wartet nicht ab, wie ich es damals tat - bis wir uns im Krieg befinden und dieser im Grunde nicht mehr zu stoppen ist. Wartet nicht ab, bevor ihr die Wahrheit sagt über jene Hoffnungslosigkeit, die in der Regierung bereits Konsens ist und über die Unmöglichkeit, über die Unwahrscheinlichkeit, irgendwie doch noch zu siegen. Handelt sofort".
In letzter Zeit, als ich schon (aufgeben wollte), wurde mein Ruf erhört. Ich weiß nicht, ob direkte Absicht dahinter steckte oder nicht, aber ein Regierungsoffizieller* ist nun in den Augen von Präsident Obama der gefährlichste Mann Amerikas. Ich bin sicher, ich bin mir gewiss, dass in diesem Moment eine geheime Maulwurfaktion läuft, um rauszukriegen, wer die Telegramme, die Geheimtelegramme, unseres Botschafters Eikenberry, die er aus Kabul abschickte, durchsickern ließ. Der pensionierte Generalleutnant Karl Eikenberry - der heute US-Botschafter in Kabul ist -, war unser hauptverantwortlicher Mann in Afghanistan. Zunächst war er für die Ausbildung der afghanischen Truppen verantwortlich und später für unsere sämtlichen Operationen in Afghanistan. Das hat jetzt General McChrystal übernommen. Heute ist Eikenberry der bei Karsai akkreditierte US-Botschafter - Karsai, der so genannte Regierungschef, den wir dort unten unterstützen.
Die angesprochenen Telegramme, Geheimtelegramme, sind im Januar durchgesickert*. Jemand ließ sie durchsickern. Das war, nachdem der Präsident seine Entscheidung bekanntgegeben hatte (die US-Truppen zu verstärken). Das bedaure ich. Mir wäre lieber gewesen, Eikenberry hätte sich an das gehalten, was ich am dringendsten rate: Er hätte die Telegramme, in denen die Wahrheit stand, abschicken sollen, bevor diese Entscheidung verkündet wurde. Aber noch ist die Entscheidung (des Präsidenten) nicht umgesetzt. Vor allem hat der US-Kongress sie, was die Finanzierung anbelangt, noch nicht implementiert - und er täte gut daran, sich durchzulesen, für was hier Gelder zur Verfügung gestellt werden sollen.
Zurück zu Eikenberrys Telegrammen. Sie klingen wie die Zusammenfassung der 'Pentagon Papers' - nur, dass es um Afghanistan geht. Es sind die ersten Dokumente von der Art, wie wir sie jetzt brauchen. Ersetzen Sie 'Saigon' einfach durch 'Kabul'. Die nationalen afghanischen Truppen sind heute das, was für uns damals, in Vietnam, die Söldner der ARVN waren. Es liest sich fast identisch. Er (Eikenberry) beschreibt Präsident Karsai, bei dem er ja akkreditierter US-Botschafter ist und den er gerade erst zusammen mit Präsident Obama besucht hat. Karsai hat Eikenberrys Einschätzung zu seiner Person vermutlich gelesen. Eikenberry hält ihn für keinen adäquaten strategischen Partner für die USA, da er korrupt und ineffizient sei.
Angeblich - so sagt man uns -, reiste Obama für 17 Stunden nach Afghanistan, um persönlich unseren Wunsch zu übermitteln, er (Karsai) möge seine Regierung ausmisten. Das erinnert wirklich sehr daran, wie Kennedy und Johnson damals beschlossen, unsere Mafia anzuheuern, um Castro zu fassen. Ich glaube nicht, dass sie viel Zeit damit vergeudeten, der Mafia zu sagen: "Wenn ihr unsere Partner werden wollt, wäre es sehr hilfreich für uns, wenn ihr vorher klar Schiff macht und aus dem Drogengeschäft aussteigt". Ob die Regierung Karsai oder die Mafia - es ist unsere Korruption, es sind unsere Drogengeschäfte. Seine Regierung ist ein Synonym für Korruption. Seine Wähler, seine Einnahmequellen (sind korrupt). Es besteht absolut keine Chance, dass er beispielsweise seinen Bruder Ahmed Wali Karsai aus Kandahar vertreiben wird. Kandahar soll ja unsere nächste Operationsbasis werden - und das obwohl der Chef des amerikanischen Oberkommandos (Joint Chiefs of Staff) sagt, es könne keinen Sieg in Kandahar geben, solange die Korruption und der Drogenhandel das Herzstück dieser Region seien und solange Präsidentenbruder Wali dort das Sagen habe.
Es ist offensichtlich - und nicht nur symbolisch gemeint. Es ist eine Tatsache, dass wir dort eine Regierung haben, die nie eine Chance auf Legitimität haben wird - in den Augen der Menschen, die wir in Afghanistan angeblich erreichen wollen. Es ist symbolisch für die ganze Aktion. Es besteht keine Aussicht darauf, dass wir in Afghanistan erfolgreicher sein werden als die Sowjetunion, die dort zehn Jahre lang war. Ebenso hatten wir damals in Vietnam keine realistischere Chance auf Erfolg als die Franzosen (davor). Aber es fällt einem Staat schwer, aus dem Scheitern eines anderen Staates zu lernen.
Anjali Kamat:
Dan Ellsberg, wie schätzen Sie die Counterinsurgency-Strategie ein, auf die die Regierung Obama, General Petraeus und Stanley McChrystal so drängen?
Daniel Ellsberg:
Es ist eine Theorie, mit der ich sehr vertraut bin - denn in Vietnam arbeitete ich jahrelang mit dieser Counterinsurgency-Theorie, mit der Strategietheorie. Mein Job war es, den "Fortschritt" zu evaluieren - in diesem Fall den fehlenden Fortschritt, den totalen Stillstand, den völligen Mangel an Fortschritten in Vietnam. Aus diesem Grund bereiste ich 38 der 43 Provinzen Vietnams. Ich berichtete über den Stillstand. (Verteidigungsminister) McNamara hörte und verstand - obgleich das Wort "Fortschritt" benutzt werden musste (so, wie Obama heute ja auch von Fortschritt spricht).
Was nicht berücksichtigt wird, ist, dass die Anwesenheit fremder Truppen für den Gegner das wichtigste Rekrutierungsinstrument ist. Indem wir (ausländische) Truppen aufstocken, erhalten wir dieses Instrument aufrecht. Für jeden Gegner, der versucht, die Ausländer aus seinem Land zu vertreiben und den wir töten, kommen neue - vor allem, wenn wir seine Angehörigen, Hochzeitsgesellschaften und Beerdigungsfeiern bombardieren (nachdem wir die Hochzeit bombardiert haben). Das alles führt dazu, dass sich neue Leute anwerben lassen, so dass wir uns - und das sollte uns klar sein -, nicht werden halten können, im Gegensatz zu dem, was Präsident Obama verlauten lässt. Doch, wenn er sagt, wir werden, zumindest kurzfristig, nicht abziehen, hat er leider Recht. Uns stehen noch viele weitere Jahre bevor.
Ich glaube übrigens, dass es in gewisser Weise auch im Irak so laufen wird. Ich glaube - und ich sage das nicht leichthin -, dass unser Präsident die amerikanische Öffentlichkeit genauso belügt, wie seine ganzen Vorgänger uns über Vietnam belogen haben, einschließlich derer, für die ich gearbeitet habe - unter anderem Kennedy, Johnson und Nixon. Vor allem, wenn Obama in seiner 'Rede zur Nation' sagt, dass wir... dass wir alle unsere Soldaten, nicht nur die Kampftruppen, sondern sämtliche Soldaten bis Ende 2011 aus dem Irak abziehen werden, dann glaube ich, dass das nicht stimmt, und dass er das auch weiß. Ich glaube zudem, dass er keinen wirklichen Plan beziehungsweise nicht die Absicht hat, amerikanische Basen (im Irak), die mit US-Militärpersonal besetzt sind - und nicht bloß mit Söldnern - irgendwann zu schließen. In Obamas zweiter Amtszeit - oder in der seines Nachfolgers, wer immer das auch sein mag -, werden wir zwischen 30 000 und 50 000 Amerikaner auf Dauer im Irak haben. Wenn es um die wahren Planungen geht, denke ich an das Leben unserer Kinder.
Zum Thema Afghanistan sprach Obama in derselben 'Rede an die Nation' über die erste Verlegung von Extratruppen nach Afghanistan. US-Botschafter Eikenberry hatte dem Präsidenten (in seinen Telegrammen vom November 2009) ja vor allem DAVON abgeraten und geschrieben, dies würde zu einer Verschlechterung der Lage führen - und nicht zu einer Verbesserung. Die Regierung Karsai würde dadurch noch mehr von uns abhängig und das Datum für unseren Abzug hinausgezögert - und nicht etwa beschleunigt. Und wir reden hier nur von der ersten Truppenverstärkung. Obama sagte (in seiner Rede zur Nation), dass wir Ende 2011 - nein, noch in diesem Jahr - die 30 000 bis 40 000 Extrasoldaten dort haben werden. Es werden dann insgesamt 100 000 US-Soldaten sein. Rechnen wir noch die Truppen unserer Nato-Verbündeten dazu, dann kommen wir auf eine Truppenpräsenz, wie sie die Sowjets damals in Afghanistan hatten. Nach zehn Jahren waren sie gescheitert. Und zu glauben, McChrystal wäre nun zufrieden und würde keine weiteren Truppen mehr anfordern, ist einfach absurd. McChrystal hatte schon jetzt 80 000 Soldaten angefordert - und auch das war nur eine erste Anforderung.
Mein Wissen über die Doktrin der Aufstandsbekämpfung (Counterinsurgency) ist nicht besser und nicht schlechter als das, was ich bei Petraeus und McChrystal über diese Doktrin lese. Gemäß dieser Doktrin braucht man für ein Land dieser Größenordnung mehrere hunderttausend Soldaten. Die Afghanen werden diese Truppen nicht aufbringen. Kaum haben wir sie rekrutiert, desertieren sie schon wieder. Wir kommen mit dem Rekrutieren gar nicht mehr nach. Außerdem hält sich ihre Motivation in Grenzen, für Ausländer zu arbeiten. Mit den Regierungssoldaten, mit denen ich damals in Vietnam zusammengearbeitet habe, war es dasselbe. Sie werden die Lücke nicht schließen. Unsere Truppen ziehen aus dem Irak ab. Unsere Truppenstärke im Irak sinkt von heute 130 000 oder 90 000 Soldaten auf 30 000 bis 50 000. Diesen 100 000 abgezogenen Soldaten wird wenig Heimaturlaub - mit ihren Eltern, Partnern und Kindern - vergönnt sein, bevor es weitergeht nach Afghanistan. Meiner Einschätzung nach werden wir in vier Jahren mehr Truppen in Afghanistan haben als in zwei Jahren (von heute an gerechnet). Die Öffentlichkeit scheint das nicht zu begreifen. Wenn es um die Kostenfrage geht, wenn geschätzt wird, wieviel uns unser Afghanistan-Engagement am Ende kosten wird, ist von einer Billion Dollar die Rede. Sie sollten die Summen lieber verdoppeln. Wir werden weitere Soldaten brauchen. Die Schätzungen gehen nämlich von der Vorstellung aus, dass wir sämtliche Truppen aus dem Irak abziehen werden können, doch das wird nicht der Fall sein.
Amy Goodman:
Dan Ellsberg...
Daniel Ellsberg:
Somit sind diese (finanziellen) Schätzungen eine Illusion. Man könnte die doppelte Summe nennen.
Amy Goodman:
In Kabul haben Militäroffizielle zugegeben, dass US- und Nato-Truppen in der Nähe von Militär-Checkpoints oder in Checkpoints seit vergangenen Sommer 30 Afghanen getötet und 80 verletzt haben. In keinem der Fälle konnte nachgewiesen werden, dass das Opfer eine Gefahr für die Truppen darstellte. Der militärische Oberkommandierende (in Afghanistan), General McChrystal, sagte vor kurzem in einer Videokonferenz: "Wir haben eine erstaunliche Anzahl von Menschen erschossen, aber, soweit mir bekannt, konnte bei keiner dieser Personen je bewiesen werden, dass sie eine Gefahr war". Was sagen Sie dazu?
Daniel Ellsberg:
Das ist eine wirklich erstaunlich kluge Einschätzung von McChrystal. Ich weiß es zu schätzen, dass er das gesagt hat. Er hat auch - zum ersten Mal - davon gesprochen, dass er die Zahl der zivilen Opfer reduzieren will. Aber wenn die Zahl der US-Soldaten und die Zahl der Einsätze dort unten enorm zunehmen wird, wird es insgesamt zu mehr Toten kommen, selbst wenn die Zahl der zivilen Opfer bei den einzelnen Einsätzen zurückgehen sollte. Der Haupteffekt wird sein, dass die Angehörigen der Getöteten sich von den Aufständischen rekrutieren lassen werden.
Wenn wir von Vietnam sprechen, dann sprechen wir von einem Land, das auf eine 2000 Jahre alte Tradition zurückblicken kann - nicht nur in Bezug auf das Bild, das das Land von sich selbst hat, sondern auch in Bezug auf echte Siege, wenn es darum ging, ausländische Invasoren aus dem Land zu vertreiben. Dort (in Afghanistan) sind sie weniger organisiert. Man könnte von einem desorganisierten Staat sprechen - jedes Tal, jeder Stamm organisiert sich selbst. Sie sind geradezu ideal organisiert, um die Kontrolle durch Fremde abzuschütteln - ja selbst die Kontrolle durch eine Zentralregierung wie Kabul. Darin besteht ein gewisser Unterschied zu Vietnam. Selbst wenn Kabul seinen Stall ausmisten würde, was eine vollständige Wandlung bedeuten würde....
Ein (wichtiger) Punkt, den Eikenberry angeführt hat, ist, dass es keinen Grund gibt zu glauben, Karsai werde sich oder seine Regierung zu diesem Zeitpunkt in seinem Leben grundlegend ändern. Übrigens stammt auch dieser Punkt aus den geheimen Telegrammen an den Präsidenten. Es ist wie bei den 'Pentagon Papers'. Als Eikenberry in aller Öffentlichkeit vor dem Kongress aussagte, klang das so: "Oh, ich unterstütze McChrystals Programm vollkommen". In Wirklichkeit hatte er dieses Programm gerade heimlich zerrissen. "Ich unterstütze das Programm vollkommen. Ich habe volles Vertrauen". Kurz gesagt, Eikenberry log (zumindest hat er das Gegenteil von dem gesagt, was er im Geheimen mitteilte). Alle Offiziellen, die für den Präsidenten arbeiten, haben gelogen - nachdem Obama seine Entscheidung (zur Truppenaufstockung) getroffen hatte. Der Kongress sollte daher einfach hingehen und ihn zurückholen. Eikenberry sollte erklären, wie es zu einer derartigen Diskrepanz zwischen seinen geheimen Telegrammen (die im Archiv der New York Times für jede Person einsehbar sind**) und seiner öffentlichen Aussage (vor dem Kongress) kommen konnte. Sie sollten ihm Gelegenheit geben, die Wahrheit zu sagen und ihn dann bitten zurückzutreten.
Anjali Kamat:
Dan Ellsberg, dass Sie damals die 'Pentagon Papers' durchsickern ließen, hat dazu beigetragen, den Vietnamkrieg zu beenden. Was wäre, Ihrer Meinung nach, nötig, um die Kriege im Irak und in Afghanistan zu beenden.
Daniel Ellsberg:
Man müsste den Kongress irgendwie dazu bewegen, den Mut aufzubringen, den eigenen Überzeugungen zu folgen, das heißt, die Kriegsfinanzierungen zu stoppen - vor allem das Geld für die Ausweitung (der Kriege). Barbara Lee war die einzige Kongressabgeordnete, die 2001 den Mut aufbrachte, gegen 'Afghanistan' zu stimmen. Die Resolution zum Golf von Tonkin (1964) vor vielen Jahren war genauso zustande gekommen (einziger Abweichler im Kongress war Senator Wayne Morse - Anmerkung d. Übersetzerin) - ohne Anhörungen, ohne Debatten, ohne Beweise: ein Blankoscheck für den Präsidenten (Johnson, den Vietnamkrieg auszuweiten). Dem Kongress liegt im Moment der Gesetzesvorschlag (Nummer 3699) einer Person vor, der besagt, die gesamte Finanzierung für die Eskalation in Afghanistan einzustellen. Über diese Gesetzesvorlage und über die Frage der Finanzierung ist noch nicht entschieden.
Der Vorsitzende des 'Finanzierungskomitees' ('Appropriation Committee'), David Obey sowie Nancy Pelosi (Sprecherin des Repräsentantenhauses) und Harry Reid (vom Senat) betonen, dass sie gegen eine weitere Eskalation sind, so wie Ex-General Eikenberry, der unser Botschafter in Afghanistan ist. Aber heißt das, dass sie tatsächlich gegen jene Finanzmittel stimmen werden, die Menschen dort hinüber schicken werden, um zu sterben und zu töten? Nein, das ist extrem unwahrscheinlich. Allerdings werden einige Kollegen mit 'nein' stimmen.
Amy Goodman:
Wir haben noch zehn Sekunden.
Daniel Ellsberg:
Druck auf diese Kollegen auszuüben, damit sie wissen, DAS wollen wir - und wir planen das -, ist der ultimative Weg, den Krieg zu beenden. Der einzige Weg, den Vietnamkrieg zu beenden, war die Streichung der Finanzmittel durch den US-Kongress, und es wird auch der einzige Weg sein, diesen Krieg hier zu beenden. Es wird eine Menge Zeit brauchen.
Amy Goodman:
Dan Ellsberg, wir müssen hier Schluss machen.
Daniel Ellsberg:
Ich nenne diesen Ort 'Vietnamistan'.
Amy Goodman:
Wir müssen hier Schluss machen, aber wir werden unser Gespräch fortsetzen und es auf unserer Seite democracynow.org online stellen. Dan Ellsberg - Henry Kissinger hat ihn einmal als "den gefährlichsten Mann in Amerika" bezeichnet.
Anmerkung d. Übersetzerin:
* Karl Eikenberry, US-Botschafter in Kabul, hatte im November mehrere Geheimtelegramme an die Regierung Obama geschickt, in denen er insbesondere vor der geplanten erneuten US-Truppenaufstockung und vor Präsident Karsai warnte. Dennoch verkündete Obama kurz darauf eine weitere Truppenerhöhung (um 30 000 Soldaten) für Afghanistan. Ende Januar wurden zwei mehrseitige Geheimtelegramme, die Eikenberry im November an die US-Regierung geschickt hatte, von einem "Regierungsoffiziellen" an die New York Times zur Veröffentlichung gegeben. Die Veröffentlichung erfolgte kurz darauf, Ende Januar 2010 und löste heftige Debatten in den USA aus.
*Siehe hierzu http://www.abendblatt.de/politik/ausland/article1357554/US-Botschafter-warnte-im-November-vor-mehr-Soldaten.html
**Auf der Seite der New York Times findet sich der Artikel 'U.S. Envoy's Cables Show Worries on Afghan Plans' von Eric Schmitt. Innerhalb dieses Artikels führt ein Link (the full cables) zu den durchgesickerten Originalblättern von Eikenberry.
Orginalartikel: "Our President Is Deceiving the American Public". Pentagon Papers Whistleblower on President Obama and the Wars in Afghanistan und Iraq
Übersetzt von: Andrea Noll




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