Keine Frage: Die Enthüllungen über sexuellen Mißbrauch/Prügelerziehung (das muss sich gar nicht ausschließen, wie jeder Sexualpathologe weiß) haben mich „mitgenommen“. Das hat schon persönliche Gründe. Wobei ich mich nicht in eine Opferpose begeben mag. Erstens ist man jenseits der 40 für sein Gesicht selbst verantwortlich, zweitens halte ich von Berufsopfern schonmal sowieso überhaupt nichts und drittens wäre das speziell in meinem Fall auch frivol: Bis weit in die 80er Jahre hinein war an einem solchen Erziehungsstil nichts außergewöhnliches. Da hat Mixa schon Recht. Zur Sache!
Damit wären wir schnell bei dem, was mich an der Debatte so stört. Entkleidet über die Wanne gebeugt und mit einem Stock geschlagen (ich glaube den eidesstattlichen Versicherungen; Mixa lügt ganz einfach!)- ah, ja doch. Erzähle mir doch niemand jenseits der 35, 40, dass er das nicht kennt. Und wenn nicht aus eigenem Erleben (Glück gehabt, der gehörte damals zur absoluten Minderheit), dann durch seine Freunde. Natürlich war das weitgehend üblich, noch in den 70ern, den 80ern, und wir alle wissen das auch. Aus meinem Bekanntenkreis, eine unvollständige Sammlung: Kochlöffel, Kleiderbügel, Schuhanzieher, Ledergürtel, natürlich auch Rohrstöcke, wo noch vorhanden - das war alles im Angebot. Und zwar nicht in irgendwelchen düsteren Säulengängen, sondern im Zweifelsfall in netten Akademiker-Einfamilienhäusern mit mehr oder weniger schmuckem Vorgarten. Das wissen wir doch, denn wir reden über uns selbst. Es geht mir nicht darum, Herrn Mixa oder auch die beiden Herren Ratzinger (deren Verlogenheit mir den Magen umdreht) zu verteidigen. Selbstredend wünsche ich denen den Staatsanwalt an den Hals (was natürlich nicht passieren wird). Es geht mir darum, dass die in Szene gesetzte Empörung über Mixa von genau jener Verlogenheit ist, die sie Mixa zurecht attestiert. Lassen wir mal die Tatsache beiseite, dass Mixa fremde Kinder geschlagen hat (dass es sich um seine eigenen gehandelt hat, können wir wohl ausschließen, oder?). Das mag juristisch relevant sein. Gesellschaftlich ist es unerheblich. Mixas Erziehungsstil war in der Tat der der massiven Mehrheit, punktum. Herr Mixa, Herr Ratzinger (der mit den „Watschn“, der andere) - das sind unsere Eltern, ganz einfach. Habe ich mich verhört, wenn man hier eigene Defizite bei Mixa deponieren möchte? Man muss mit Herrn Mixa kein Mitleid haben und kann die ganze Richtung der Debatte, die die Frage nach Erziehungsgewalt a l l e i n in düstere katholische Heime verlagern will, dennoch widerlich finden.*
Die ganze Debatte über Erziehungsgewalt leidet überhaupt an einer sehr merkwürdigen Inkonsistenz: Einerseits wurde und wird darüber unausgesetzt gesprochen, und seit 2000 ist Prügeln zum Glück, beinahe hätte ich „gottseidank“ gesagt, sogar verboten. Andererseits mag niemand über seine Erfahrung mit Gewalt und Erniedrigung sprechen. Da nehme ich nicht einmal mich aus. Ich mag das auch nicht. Waltraud Mitgutsch hat ihren Roman „Die Züchtigung“ übrigens schon 1985 publiziert. Wir seien, so Mitgutsch damals, im präzisen Sinn des Wortes eine Generation von Geschlagenen. Keine düsteren Säulengänge, keine Klosteratmosphäre - es geschah alles am hellichten Tag.

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