Die, die so anders sind
Donnerstag, 15. April 2010
In den Fünfzigern strebte er die Atombombe an, um den Bolschewismus zu zähmen; in den Sechzigern geriet er mit der Meinungsfreiheit auf Kriegsfuß; in den Siebzigern wollte er in Haft befindliche RAF-Mitglieder standrechtlich erschießen lassen; und in den Achtzigern erwog er risikobehaftetes CS-Gas gegen die Anti-Atomkraft-Bewegung einzusetzen. Daher erntete er zeit seines Lebens Nazi!-Rufe, wurde er zum Faschisten erklärt. Seinen mit einem Doppel-S endenden Nachnamen mußte er häufig mit zwiefachen Runen ausstaffiert ertragen. Ihn in die braune Ecke gestellt zu haben, so würde seine Tochter Jahre nach seinem Tode offenlegen, hat ihm besonders geschmerzt. Zwar waren alle Geschichten, die er vom Widerstand vor 1945 preisgab, nichts weiter als ausgeschmückte, selbstbeweihräuchernde Märchen - doch damals war er wirklich kein Anhänger Hitlers, auch wenn er seine "gottverdammte Pflicht" in der Wehrmacht tat. So wie viele seiner politischen Kollegen oder seiner Spezln, seiner Amigos in der freien Wirtschaft auch. Er fühlte sich verkannt, verleumdet, witterte stets kommunistische Kampagnen, wenn man ihn zum Abkömmling der Nationalsozialisten machte.
Franz Josef Strauss war exemplarisch für dieses heimtückische Gebrechen, an dem der bundesrepublikanische Staat stets litt. Exemplarisch dafür, nicht sein zu wollen, wie der Rechtsvorgänger war, gleichzeitig aber in dessen Tradition zu stehen. Selbst heute, da die politische Oberschicht keine persönlichen Schutzstaffel- oder Landser-Erfahrungen mehr aufzuweisen hat, läßt sich die Seuche, anders sein zu wollen, jedoch nicht anders sein zu können, nicht einfach abschütteln. Etliche faschistoide Bekundungen der letzten Monate und Jahre legen beredt Zeugnis davon ab; es gibt bekanntlich mannigfache Aussagen, die von zeitlich begrenzter Alimentierung wirtschaftlicher Ballastexistenzen und Minderleistern, bis hin zum Arbeitszwang unter der Knute eines modifizierten Reichsarbeitsdienstes, reichen.
Anders sein wollen, jedoch nur schwerlich anders sein können - das ist das Los derer, die sich der sogenannten bürgerlichen Mitte zurechnen. Das war in der Geschichte des Bundesrepublik nie ein Widerspruch und gehörte von Anbeginn an zum Prozedere der Nachkriegszeit. Obwohl die ersten Generationen der politischen Mitte nach dem Kriege, selbst Frontgräuel und Diktatur kannten, taten sie sich schwer mit der Distanz zum Faschismus. Diesen mangelnden Abstand zu leugnen, sich zu empören, wenn man ihnen geistige Nähe zur braunen Phalanx nachsagte: es ist ebenso seit Eröffnung des neuen Staates gepflegte Usance - wenn nicht sogar der Wesenszug schlechthin. Man war stolz auf die geistige Entfernung, auch dann noch, wenn sie nur einen Katzensprung vom totalitären oder faschistischen Gedankengut ihrer Väter oder ihrer einstigen Herren entfernt war - man war ja doch so anders. In dieser bundesrepublikanischen Tradition stehen sie auch heute noch: man ist doch so verschieden. Ganz anders als die Vorväter: aufgeklärter, weitsichtiger, vernünftiger; auch haben sich die Zeiten geändert, wenden sie belehrend ein, was unbestritten wahr ist, aber noch nichts heißen muß.
Etwas vom krankenden Wurzelwerk mit ins neu sprießende bundesrepublikanische Geäst mitbekommen zu haben - das ist nur natürlich. Aus dem kleinbürgerlichen Milieu, aus dem was wir heute so präzios bürgerliche Mitte nennen, entspringt der Faschismus ja. Dort wurde er, wenn schon nicht als gründliches Programm, so doch als schemenhaftes Gefühl, als dumpfe Geneigtheit hausbackener Pedanterie geboren. Stets quoll auch nach dem Desaster noch das eine oder andere hervor, dass eigentlich in jenen Jahren in den Ruinen des Regimes hätte verschollen bleiben sollen. Die heutigen Lautsprecher sind nicht unmittelbare Ahnen, nicht Kinder und Enkel der damaligen Gesinnung, haben jedoch die Ressentiments, Voreingenommenheiten und fanatischen Gehässigkeiten, die geradewegs nach Auschwitz führten, nie ausdrücklich abgelegt.
Es mag nicht erfreuen, überraschend ist jedoch nicht, dass eine völlige Loslösung vom Rechtsvorgänger nie umgesetzt wurde. Das ist in Italien nicht anders - und auch in Spanien grassiert noch, manchmal relativ hemmungslos, der franquismo. Die Triebfedern der Nazis waren und sind viel zu oft die Triebfedern bundesrepublikanischer Demokraten gewesen. Der markante, eigentlich krankhafte Zug hiesiger Demokraten ist es nicht unbedingt, immer noch in denselben trüben Gewässern zu fischen wie Vater und Großvater. Anders sein zu wollen und so oft gar nicht anders zu sein: das ist das wesentliche Merkmal. Ähnlich zu geifern wie jene damals, vergleichbar zu hetzen, verwandte Ressentiments zu kultivieren - bei Ertapptwerden zu leugnen, abzuwiegeln, sich beleidigt zurückziehen, sich missverstanden zu fühlen, weil man doch gerade nicht dergestalt sein will, wie die Vorgänger: das ist die pathologische Befangenheit vieler deutscher Demokraten in allen Parteien.
An Westerwelle und Sarrazin läßt sich dies vortrefflich verfolgen, beziehungsweise an ihren mimosenhaften Beleidigtsein. Wenn man ihnen satirisch KZ-Mentalität vorwirft (wie im Falle Westerwelles) oder sie in die Nähe völkischer Rassenlehre schiebt (wie bei Sarrazin), läßt sich diese pathologische Befangenheit blendend ablesen. Sie stehen dem Strauss näher als ihnen lieb ist - sie sind Sträuße ohne Fronterlebnisse, ohne Widerstandsmärchen, wenngleich sie natürlich vorgeben, stets im Widerstand gegen braune Niederträchtigkeit zu sein. Sie sind weniger Nachkommen der Hitlers als Erben der Sträuße. Bierzeltnazis, die weniger dem Dritten Reich huldigen als den Vorurteilen und dem Hass, die geradewegs in dieses Reich führten. Schwätzer, die krankhaft jeden Verdacht von sich weisen, so wie es der bundesrepublikanischen Kultur schon immer entsprach. Sie sind, was Strauss zeit seines Lebens vorgab zu sein: Anti-Faschisten, die ihr geistiges Fundament in faschistisches Terrain eingelassen haben. Sie gleichen Sträußen - Sträußen brauner Pflänzchen, die vorgeben etwas grüner, etwas gelber, etwas roter zu sein.
Sie sind das, was Strauß immer war: der Problemfall der Demokratie. Mehr als es Neonazis je sein könnten, denn diese verkünden ihr Geschnatter und winden sich hernach nicht heraus - Strauß und seine Lehrlinge, sie gaben stets vor, mit den alten Lehren nichts am Hut zu haben, glaubten das wahrscheinlich sogar selbst, predigten dann allerdings ähnlich, manchmal identisch wie diejenigen, die sie ablehnten, und distanzierten sich im Namen der Vernunft von früheren Tagen. So hält der Faschismus Einzug in die demokratische Gesellschaft: man kappt den Zugang zur Wurzel, damit es so wirkt, als seien die neuen alten Ideen nicht von dort entliehen. Es ist, gemäß Adornos berühmten Ausspruch, die Rückkehr der Faschisten in der Maske der Demokraten. Diese Maske gebärdet sich nicht durch demokratisches Betragen zwischen den faschistischen Wucherungen, sondern dadurch, sich beleidigt zu geben, sich unverstanden zu wähnen, wenn man den Vorwurf bekommt, alte Lehren wiederzubeleben. Anders sein zu wollen, aber nicht anders zu sein - das ist die wirkliche Bedrohung der Demokratie.
Franz Josef Strauss war exemplarisch für dieses heimtückische Gebrechen, an dem der bundesrepublikanische Staat stets litt. Exemplarisch dafür, nicht sein zu wollen, wie der Rechtsvorgänger war, gleichzeitig aber in dessen Tradition zu stehen. Selbst heute, da die politische Oberschicht keine persönlichen Schutzstaffel- oder Landser-Erfahrungen mehr aufzuweisen hat, läßt sich die Seuche, anders sein zu wollen, jedoch nicht anders sein zu können, nicht einfach abschütteln. Etliche faschistoide Bekundungen der letzten Monate und Jahre legen beredt Zeugnis davon ab; es gibt bekanntlich mannigfache Aussagen, die von zeitlich begrenzter Alimentierung wirtschaftlicher Ballastexistenzen und Minderleistern, bis hin zum Arbeitszwang unter der Knute eines modifizierten Reichsarbeitsdienstes, reichen.
Anders sein wollen, jedoch nur schwerlich anders sein können - das ist das Los derer, die sich der sogenannten bürgerlichen Mitte zurechnen. Das war in der Geschichte des Bundesrepublik nie ein Widerspruch und gehörte von Anbeginn an zum Prozedere der Nachkriegszeit. Obwohl die ersten Generationen der politischen Mitte nach dem Kriege, selbst Frontgräuel und Diktatur kannten, taten sie sich schwer mit der Distanz zum Faschismus. Diesen mangelnden Abstand zu leugnen, sich zu empören, wenn man ihnen geistige Nähe zur braunen Phalanx nachsagte: es ist ebenso seit Eröffnung des neuen Staates gepflegte Usance - wenn nicht sogar der Wesenszug schlechthin. Man war stolz auf die geistige Entfernung, auch dann noch, wenn sie nur einen Katzensprung vom totalitären oder faschistischen Gedankengut ihrer Väter oder ihrer einstigen Herren entfernt war - man war ja doch so anders. In dieser bundesrepublikanischen Tradition stehen sie auch heute noch: man ist doch so verschieden. Ganz anders als die Vorväter: aufgeklärter, weitsichtiger, vernünftiger; auch haben sich die Zeiten geändert, wenden sie belehrend ein, was unbestritten wahr ist, aber noch nichts heißen muß.
Etwas vom krankenden Wurzelwerk mit ins neu sprießende bundesrepublikanische Geäst mitbekommen zu haben - das ist nur natürlich. Aus dem kleinbürgerlichen Milieu, aus dem was wir heute so präzios bürgerliche Mitte nennen, entspringt der Faschismus ja. Dort wurde er, wenn schon nicht als gründliches Programm, so doch als schemenhaftes Gefühl, als dumpfe Geneigtheit hausbackener Pedanterie geboren. Stets quoll auch nach dem Desaster noch das eine oder andere hervor, dass eigentlich in jenen Jahren in den Ruinen des Regimes hätte verschollen bleiben sollen. Die heutigen Lautsprecher sind nicht unmittelbare Ahnen, nicht Kinder und Enkel der damaligen Gesinnung, haben jedoch die Ressentiments, Voreingenommenheiten und fanatischen Gehässigkeiten, die geradewegs nach Auschwitz führten, nie ausdrücklich abgelegt.
Es mag nicht erfreuen, überraschend ist jedoch nicht, dass eine völlige Loslösung vom Rechtsvorgänger nie umgesetzt wurde. Das ist in Italien nicht anders - und auch in Spanien grassiert noch, manchmal relativ hemmungslos, der franquismo. Die Triebfedern der Nazis waren und sind viel zu oft die Triebfedern bundesrepublikanischer Demokraten gewesen. Der markante, eigentlich krankhafte Zug hiesiger Demokraten ist es nicht unbedingt, immer noch in denselben trüben Gewässern zu fischen wie Vater und Großvater. Anders sein zu wollen und so oft gar nicht anders zu sein: das ist das wesentliche Merkmal. Ähnlich zu geifern wie jene damals, vergleichbar zu hetzen, verwandte Ressentiments zu kultivieren - bei Ertapptwerden zu leugnen, abzuwiegeln, sich beleidigt zurückziehen, sich missverstanden zu fühlen, weil man doch gerade nicht dergestalt sein will, wie die Vorgänger: das ist die pathologische Befangenheit vieler deutscher Demokraten in allen Parteien.
An Westerwelle und Sarrazin läßt sich dies vortrefflich verfolgen, beziehungsweise an ihren mimosenhaften Beleidigtsein. Wenn man ihnen satirisch KZ-Mentalität vorwirft (wie im Falle Westerwelles) oder sie in die Nähe völkischer Rassenlehre schiebt (wie bei Sarrazin), läßt sich diese pathologische Befangenheit blendend ablesen. Sie stehen dem Strauss näher als ihnen lieb ist - sie sind Sträuße ohne Fronterlebnisse, ohne Widerstandsmärchen, wenngleich sie natürlich vorgeben, stets im Widerstand gegen braune Niederträchtigkeit zu sein. Sie sind weniger Nachkommen der Hitlers als Erben der Sträuße. Bierzeltnazis, die weniger dem Dritten Reich huldigen als den Vorurteilen und dem Hass, die geradewegs in dieses Reich führten. Schwätzer, die krankhaft jeden Verdacht von sich weisen, so wie es der bundesrepublikanischen Kultur schon immer entsprach. Sie sind, was Strauss zeit seines Lebens vorgab zu sein: Anti-Faschisten, die ihr geistiges Fundament in faschistisches Terrain eingelassen haben. Sie gleichen Sträußen - Sträußen brauner Pflänzchen, die vorgeben etwas grüner, etwas gelber, etwas roter zu sein.
Sie sind das, was Strauß immer war: der Problemfall der Demokratie. Mehr als es Neonazis je sein könnten, denn diese verkünden ihr Geschnatter und winden sich hernach nicht heraus - Strauß und seine Lehrlinge, sie gaben stets vor, mit den alten Lehren nichts am Hut zu haben, glaubten das wahrscheinlich sogar selbst, predigten dann allerdings ähnlich, manchmal identisch wie diejenigen, die sie ablehnten, und distanzierten sich im Namen der Vernunft von früheren Tagen. So hält der Faschismus Einzug in die demokratische Gesellschaft: man kappt den Zugang zur Wurzel, damit es so wirkt, als seien die neuen alten Ideen nicht von dort entliehen. Es ist, gemäß Adornos berühmten Ausspruch, die Rückkehr der Faschisten in der Maske der Demokraten. Diese Maske gebärdet sich nicht durch demokratisches Betragen zwischen den faschistischen Wucherungen, sondern dadurch, sich beleidigt zu geben, sich unverstanden zu wähnen, wenn man den Vorwurf bekommt, alte Lehren wiederzubeleben. Anders sein zu wollen, aber nicht anders zu sein - das ist die wirkliche Bedrohung der Demokratie.
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