http://denkbonus.wordpress.com/2010/08/13/die-da-oben-%E2%80%93-ein-psychogramm-der-macht/#more-778
Die da oben – Ein Psychogramm der Macht
Nicht nur einfache Bürger haben Probleme mit den Herrschaftseliten. Auch diese haben ein Problem, mit sich selbst. Sie weisen Merkmale auf, die man in psychiatrischen Kompendien nachschlägt. Darunter Wesenszüge wie Hysterie, Narzissmus und ein krankhaft gesteigertes Aufmerksamkeitsbedürfnis.
Rüdiger Hossiep, der an der Deutschen Universität Bochum forscht, bezeichnet Topmanager in der Financial Times sogar sinngemäß als „Aufmerksamkeitsjunkies, die auf der Jagd nach einer Belohnung immer neuere, größere Risiken suchen.“ Dies wäre eine mögliche Erklärung dafür, dass Topmanager nicht selten alles aufs Spiel setzen, obwohl sie bereits alles erreicht haben, was Geld und Macht zu bieten haben.
Zu diesem Ergebnis kam Hossiep, nachdem er hunderte von Fragebögen zu einzelnen Vetretern dieser Gattung ausgewertet hatte. Dass dies nicht zuletzt in der Natur der Sache liegt, ist dem Forscher bewusst. Den Erkenntnissen des Personal- und Wirtschaftspsychologen zufolge sind es vor allem die Vergütungssysteme der Manager, die zu diesem Persönlichkeitsbild führen. Denn das Einzige, was in den Teppichetagen zählt, sind Zahlen. Nur wer diese liefert, steigt auf. Hingegen nicht, wer langfristig und vorausschauend denkt. „Ein Zocker will immer ganz vorne sein und dem System ein Schnippchen schlagen“, so der Forscher, und weiter:“ Auf diese Weise steigt er immer weiter hoch auf der Karriereleiter – und in den Führungsetagen sitzen dann vor allem stark machtorientierte Menschen.“
Erkenntnisreich sind auch die Ergebnisse der beiden Forscherinnen Belinda Board und Katarina Fritzon von der britischen Universität Surrey. Sie verglichen in einer Studie die Persönlichkeitsmerkmale von Topmanagern mit denen verurteilter Krimineller. Das erschreckende Fazit: Während Gefängnisinsassen eher passive Agressivität und einen Hang zu Depression und Selbstmord aufwiesen, zeichnete sich in den Führungsetagen ein ganz anderes Bild ab. Dort herrschen psychiatrische Persönlichkeitsstörungen vor wie:
- Theatralische Hysterie, die sich ausdrückt in oberflächlichem Charisma, Unaufrichtigkeit, Egozentrismus und manipulativen Tendenzen,
- Narzissmus, ausgelebt in Form von Grössenwahn, Empathiemangel und Ausbeuterei, sowie
- Zwangsneurosen, die sich in Perfektionismus, Sturheit, Arbeitswut und diktatorischen Tendenzen äußern.
- Hyperaggression im unteren Management,
- Zwanghaftigkeit im mittleren Management und
- theatralische Hysterie in Form manischer und selbstzelebrierender Verhaltensweisen im obersten Management.
Aus einer solchen Notsituation heraus entwickelt sich die klassische, verkrümmte Psyche tonangebender Wirtschaftsbosse offenbar besonders gut, so dass sie die Fähigkeit verlieren, sich in das von ihnen verusachte Leid anderer Menschen hineinzuversetzen.
Was für unsere wirtschaftlichen Führungsspitzen gilt, findet auch bei unseren politischen Eliten seine Entsprechung. Ein überhöhtes Machtpotential verleitet offenbar dazu, missbraucht zu werden, indem andere, weniger mächtige Personen, unnötig eingeschränkt, gedemütigt, geschädigt, missbraucht oder gar getötet werden. So setzten Machthaber im Experiment harte Mittel ein, um Untergebene zu höheren Leistungen zu veranlassen, obwohl die Leistungen ohne diese Machtausübung – experimentell bedingt – genauso hoch waren.
Wer kennt nicht das erschütternde Ergebnis des berüchtigten Milgram- Experiments. Bei diesem, erstmals 1961 in New Haven durchgeführten psychologischen Experiment, welches zwei Versuchsgruppen einander gegenüberstellte, wurden die eine, machtausübende Teilnehmergruppe dazu veranlasst, autoritären Anweisungen Folge leistend, die andere, im Experiment untergebene Kontrollgruppe, zu deren Leistungssteigerung mit Elektroschocks zu foltern. Die vermeintlich verteilten Stromstöße, über deren Stärke die Beteiligten des Experiments selbst entscheiden durften, hatten zum Ende des Experiments hin bei fast allen der folternden Teilnehmer eine theoretisch tödliche Dosis erreicht.
Auch Topmanager und Politiker sind bereit, bis zum letzten zu gehen, um ihren Untergebenen höhere Leistungen abzuverlangen. Eine derart missbrauchte Machtausübung führt bei den Handelnden zugleich zu veränderten Zuschreibungsprozessen. So werden die Leistungen Untergebener von den höher gestellten Führungspersonen nicht mehr ihren Mitarbeitern, sondern in zunehmendem Maße sich selbst zugerechnet. Der Blick für die Realität schwindet zusehends. Um sich vor sich selbst zu rechtfertigen, findet zugleich eine Abwertung der Betroffenen statt, die als krankhaft bezeichnet werden kann. Den schikanierten Untergebenen werden dabei in zunehmendem Maße Fähigkeit und Kompetenz abgesprochen und von Managern sowie Politikern statt dessen sich selbst zugesprochen.
Dies geht zugleich einher mit der Bemühung der Mächtigen, sich ihrerseits möglichst weiträumig jeder Kontrolle durch andere zu entziehen. Dadurch bekommen sie einerseits größeren Spielraum, zum anderen werden weniger klare Erwartungen an sie gerichtet. Dies führt in der Folge zu einem weiteren sozialen Kontrollverlust. Dadurch, dass Sanktionssysteme gegenüber Mächtigen versagen, fühlen diese sich, empirischen Untersuchungen zufolge, bemüßigt zu mehr persönlicher Bereicherung und zu Verstößen gegen geltende Gesetze und Normen. Offenbar verführt nichts den Menschen stärker zur rücksichtslosen Durchsetzung eigener Interessen als Macht.
Ein Virtuose beim Spiel auf der Klaviatur der Macht war Niccoló Machiavelli. Von ihm stammt der Satz: „Der Zweck heiligt die Mittel.“ Er war eingefleischter Pragmatiker und gilt bis heute als das ultimative Vorbild der meisten Politiker hier und in aller Welt. Seiner Erkenntnis nach gilt als oberstes Gebot für alle Führung beanspruchenden, politisch Handelnden, die politische Lage stets souverän zu beherrschen. Hierzu gelang ihm etwas, wofür ihm heute viele Herrscher dankbar sein dürften, nämlich die Trennung von politischen und ethischen Gesichtspunkten.
Er definierte den Begriff der Tugend neu. Sie ist für ihn kein ethisches Paradigma mehr, sondern vielmehr die Voraussetzung für Erfolg. Sie drückt sich aus durch Sachverstand und Tatkraft. Charaktereigenschaften wie Großzügigkeit, Freigebigkeit und Milde hingegen sind nach Aufassung des florentinischen Diplomaten aus dem sechzehnten Jahrhundert wenig dazu geeignet, die Hände an den Hebeln der Macht zu halten. Seine Anleitung zum Erwerb und Erhalt von Macht wird auch heute noch von führenden Politikern und Managern eins zu eins umgesetzt. So ist vor jedem politischen Handeln die Ausgangslage genauestens zu analysieren. Für die Architekten der Macht zählt dazu gleichermaßen das Erfassen und Abwägen der Stärken und Schwächen der einzelnen Parteien als auch die genaue Beachtung des Gleichgewichts der einzelnen Kräfte. Eine genaue Analyse ist unbedingt notwenig, will man seinen eigenen Untergang vermeiden. Ebenfalls von eminenter Bedeutung ist die
zudem die Fähigkeit, einen günstigen historischen Augenblick sofort zu erkennen, um dann seine Tatkraft zu beweisen, indem man umgehend die notwendigen politischen Schritte einleitet. Klingt bekannt, ist bekannt. Genauso, wie die Tatsache, dass Wortbruch, Täuschung und Grausamkeit, unverzüglich und dosiert eingesetzt, in den Augen vieler Politiker durchaus angebracht erscheinen mögen, um ein, einer momentanen politischen Situation angemessenes Handeln zu gewährleisten, und sei es nur, um Schlimmeres zu verhindern und sonst später notwendig werdende härtere Maßnahmen zu vermeiden. In diesem einen Bandwurmsatz erschöpft sich das gesamte Denken und Handeln unserer Führungseliten im erbarmungslosen Gebrauch ihrer Ellbogen in fragwürdiger Tüchtigkeit und an der Grenze der Legalität.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen