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Angst
"Ich habe Angst davor, dass wir es der Polizei erlauben, unsere E-Mails mitzulesen, während wir dagegen protestieren, dass Google Fotos von Häuserfassaden ins Internet stellt", schreibt unser Kolumnist Steffen in dieser Woche.
Ich habe Angst. Auf den Bahnhöfen, in den Zügen, überall blicken mich grimmig dreinschauende Leute an. Sie tragen schutzsichere Westen und Maschinenpistolen, doch niemanden scheint das zu stören. Wenn ich an ihnen vorübergehe, bekomme ich ein mulmiges Gefühl, weiß nicht, ob ich ihnen die Augen oder lieber auf den Boden sehen sollte. Und dann überlege ich, ob ich mich irgendwie verdächtig mache: Ist meine Tasche vielleicht so stark ausgebeult, dass man eine Bombe darin vermuten könnte? Und müsste ich mich mal wieder rasieren?
"Deutschland ist im Ausnahmezustand" schreibt die BILD-Zeitung und meint damit die gestiegene Polizeipräsenz in deutschen Städten. Und sie hat recht. Deutschland ist bedroht. Und ich habe Angst.
Ich habe Angst davor, dass wir unsere Freiheit im Namen der Sicherheit beschneiden, unsere E-Mails und Telefongespräche von Sicherheitsbehörden mitlesen und -hören und uns an Flughäfen unter die Kleidung schauen lassen, während wir dagegen protestieren, dass Google Fotos von Häuserfassaden ins Internet stellt.
Ich habe Angst davor, dass Menschen unter Generalverdacht gestellt werden, weil sie lange Bärte haben, ein Kopftuch tragen oder nicht Deutsch sprechen können. Ich habe Angst davor, dass Politiker und "Sachbuch"-Verfasser gegen Migranten hetzen, ihnen den Unwillen zur Integration unterstellen und dafür nicht gescholten sondern bejubelt werden. Ich habe Angst davor, dass Menschen in Kategorien eingeteilt und stigmatisiert und diskriminiert werden aufgrund ihres Glaubens, ihrer Herkunft oder ihres Einkomens.
Ich habe Angst davor, dass es nur noch darum gehen wird, dass es "der Wirtschaft" gut geht und nicht den Menschen. Ich habe Angst davor, dass einzelne Lobbyisten mehr Macht bekommen als das Volk und dass die Anzahl der Parteispenden die Politik stärker beeinflusst als die Anzahl der Wählerstimmen. Ich habe Angst davor, dass Bildung und Sozialhilfe nur noch als Kostenpunkte in einer Bilanz gesehen werden und nicht als Errungenschaften der Menschlichkeit.
Ich habe Angst davor, dass Demonstrationen nicht mehr als freie Meinungsäußerung und als Grundbestandteil einer Demokratie aufgefasst werden, sondern als störende Nebenerscheinungen, die es am besten zu verbieten gilt.
Und ich habe Angst davor, dass viele Menschen meine Angst nicht teilen, sondern sich vor anderen Dingen fürchten: vor Terror-Anschlägen, vor Überfremdung, vor Sozialschmarotzern und vor linken Spinnern. Ich habe Angst davor, dass diese Angst von einigen Medien und Personen des öffentlichen Lebens geschürt und benutzt wird. Ich habe Angst davor, dass unter dem Deckmantel dieser Angst unsere Grund- und Menschenrechte ausgehebelt werden. Und genau diese Angst ist es, die mir am meisten Angst macht.
Bis zum nächsten Mal
Euer Steffen
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