Haitianer errichten Straßenbarrikaden aus Särgen
Proteste gegen mysteriöse Rolle der UNO bei Ausbruch der Cholera
von Juan Gonzalez
18.11.2010 — Democracy Now!
Auf Haiti gehen die Proteste gegen den Ausbruch der Cholera weiter. Über 1 100 Menschen sind bereits an der Seuche gestorben, rund 17 000 wurden infiziert. Am Mittwoch kam es in der Stadt Cap-Haitien den dritten Tag in Folge zu Zusammenstößen zwischen der Bevölkerung und UNO-Truppen. Menschenmassen gehen auf die Straße, um ihrer Wut auf die haitianische Regierung und die UNO zum Ausdruck zu bringen. Diese seien unfähig, die Krankheit unter Kontrolle zu bringen. Wir schalten nun nach Cap-Haitien, um mit dem unabhängigen Journalisten Ansel Herz zu sprechen.
Unser Gast:
Ansel Herz ist ein unabhängiger Journalist, der auf Haiti lebt. Sie erreichen ihn auf der Webseite MediaHacker.org
Juan Gonzalez:
In Haiti gehen die Proteste aufgrund der Cholera-Epidemie weiter. Inzwischen sind mehr als
1 100 Menschen an der Cholera gestorben; über 17 000 wurden infiziert. Am Mittwoch kam es den dritten Tag in Folge zu Zusammenstößen zwischen Bewohnern der Stadt Cap-Haitien und UNO-Truppen. Menschenmengen gehen auf die Straße, um ihrer Wut über die haitianische Regierung und die UNO zu zeigen, die es nicht schaffen, die Krankheit einzudämmen. Nepalesische UNO-Soldaten, die in Cap-Haitien stationiert sind, werden beschuldigt, die Cholera ins Land eingeschleppt zu haben.
Die Proteste sollen auf einem Friedhof begonnen haben, wo Cholera-Opfer in Massengräbern beigesetzt werden. Mindestens zwei Menschen wurden bei den Zusammenstößen getötet, zu denen es zwischen Anwohnern und UNO-Truppen gekommen war. Am Dienstag gab die UN-Mission auf Haiti (MINUSTAH) bekannt, man habe die Hilfsflüge eingestellt und die Wasseraufbereitung sowie die Trainings-Projekte eingeschränkt. In einem Lagerhaus wurden Lebensmittel geplündert bzw. verbrannt.
Amy Goodman:
Die 'Pan-American Health Organisation' sagte gegenüber 'Agence France-Presse' , bei diesem Cholera-Ausbruch könnten bis zu 10 000 Menschen sterben; im neuen Jahr könnten sich 200 000 Menschen neu infizieren.
Inzwischen hat sich die Krankheit über die Grenzen Haitis hinaus ausgebreitet. Die Dominikanische Republik hat ihren ersten Cholera-Fall bestätigt. Die Behörden in Florida bestätigen den ersten Fall in den USA.
Um mehr zu erfahren, schalten wir nun nach Haiti und sprechen mit dem unabhängigen Journalisten Ansel Herz. Er hält sich derzeit in Cap-Haitien auf, wo es zu Protesten gekommen ist.
Ansel, willkommen bei 'Democracy Now!' Sagen Sie uns, was in Cap-Haitien gerade passiert.
Ansel Herz:
Im Moment stehe ich auf einem Platz in der Innenstadt von Cap-Haitien. Die Stadt an der Nordküste ist die zweitgrößte auf Haiti. Hier, wo ich stehe - in der Innenstadt - wirkt die Situation im Moment ziemlich ruhig. Heute ist Feiertag: 'Der Tag der Nationalflagge', an dem einer großen Schlacht des haitianischen Unabhängigkeitskrieges (1803) gedacht wird.
Doch als ich gestern in der Stadt ankam, war auf der wichtigsten Schnellstraße nach Cap-Haitien nahezu alle paar hundert Meter eine Barrikade errichtet. Bei vielen Barrikaden standen junge Männer und Frauen. Einige große Steine flogen in meine Richtung. Wenn ich mich näherte, zeigte ich rasch meinen Presseausweis und versuchte zu erklären, dass ich nicht zur UNO-Friedensmission gehöre. Sofort wurde ich durch viele Barrikaden geschleust.
Diese stehen noch immer mitten auf den Straßen. Einige sind zur Zeit nicht bewacht. Die Leute sagen, das liege daran, dass heute Feiertag ist. Man gedenkt des Unabhängigkeitskampfes des Landes. Sie gehen aber davon aus, dass die Menschen in den nächsten Stunden zurückkommen werden.
Ich muss noch anmerken, dass eine dritte Person von den UNO-Truppen - hier, in der Stadt Cap-Haitien - getötet wurde. Das war gestern. Ich befand mich in einer der Seitenstraßen von Cap-Haitien, wo Demonstranten einen Graben - der eigentlich als Barrikade fungieren sollte - ausgegraben hatten. Ein Fahrzeug der MINUSTAH, der UN-Friedensmission, fuhr in diesen Graben hinein. Zeugen und haitianische Journalisten, die den Vorfall beobachtet hatten, berichteten, chilenische Peacekeeper seien angegriffen worden, als das Fahrzeug die Panne hatte und in den Graben fiel. Ich denke, vielleicht hat die Bevölkerung mit einem Hagel aus Flaschen oder Steinen nach ihnen geworfen. Die Peacekeeper sollen mit scharfer Munition zurückgeschossen haben und dabei einen unschuldigen jungen Mann in seinem Haus erschossen haben. Angeblich brachten sie die Leiche zum Bürgermeisteramt und ließen sie dort. Die Straßenbarrikaden sind noch immer da. Einige sind aus Särgen errichtet worden. Mehrere Demonstranten sagten mir, dass Cholera-Leichen in den Särgen lägen.
Amy Goodman:
Wir bitten unsere Hörer/innen bzw. Zuschauer/innen um Verständnis wegen der schlechten Tonqualität, aber diese Informationen aus Cape Haitian bzw. Cap-Haitien sind äußerst wichtig - Juan?
Juan Gonzalez:
Nun, Ansel, falls die UN-Peacekeeper tatsächlich die Seuche eingeschleppt haben - und danach sieht es aus -, haben sie es sicherlich nicht mit Absicht getan. Aber in der haitianischen Bevölkerung herrscht schon seit Jahren wachsender Unmut über die Präsenz der UN-Peacekeeper. Woher kommt dieser Unmut ursprünglich?
Ansel Herz:
Stimmt. Es ist interessant zu sehen, wie die UNO auf die Aufstände hier reagiert... und auf die Proteste, denn (die UNO) behauptet im Grunde, die Leute würden irgendwie manipuliert. Dies sei keine legitime, spontane, politische Bewegung. Vor einem Jahr habe ich genau in dieser Stadt Menschen auf der Straße interviewt. Sie sagten mir... Schon damals gab es Proteste; sie protestierten friedlich gegen die UN-Peacekeeper. Sie sagten mir damals, sie hätten die Nase voll von der Besatzung in ihrem Land. Sie sagten, die Peacekeeper hätten ein enormes Budget, würden aber kaum etwas herausrücken. Wissen Sie, die Leute sagten, dass sie (die Peacekeeper) keine konkreten humanitären Aktivitäten starten würden, die der Bildung und Gesundheit des Landes nützen würden.
Im August wurde ein Junge - ein 16-jähriger Junge - an einem Baum erhängt aufgefunden -innerhalb des Stützpunkts der Peacekeeper in Cap-Haitien. Praktisch alle US-Medien ignorierten diese Story. Die UNO-Truppen behaupten, er habe Selbstmord begangen. Aber Menschen aus einem Hotel, das dem Stützpunkt genau gegenüber liegt, sagten, sie hätten Schreie gehört. Sie sagten, sie hätten gehört, wie er aufgehängt wurde. Es gibt etliche Verdächtigungen, die Friedenssoldaten hätten den Jungen im Grunde ermordet. Vielleicht hat er ja ein wenig Geld gestohlen. Vor kurzem schrieb eine Gruppe von Organisationen der Zivilgesellschaft einen Brief an die UN-Peacekeeper, in dem sie eine unabhängige Untersuchung des Vorfalles fordern. Sie schreiben, sie verurteilten die "Behinderung der Justiz durch die UNO" in diesem Fall. Nach dem tödlichen Vorfall kam es zu wochenlangen Protesten - friedlichen Protesten - in Cap-Haitien. Zu glauben, die aktuellen Proteste seien manipuliert, dass die Menschen sich nur vor irgendeinen Karren spannen lassen, ist meiner Ansicht nach nicht sehr glaubhaft. Anschuldigungen gegen die Peacekeeper-Mission gibt es schon seit langem. Man wirft ihnen vor, Haitianer zu misshandeln. Außerdem wird ihnen vorgeworfen, keinen der Vorfälle, bei denen - so der Vorwurf - gegen Menschenrechte verstoßen wurde, transparent untersucht zu haben.
Juan Gonzalez:
Was ist mit den bevorstehenden Wahlen und den Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben - angesichts der vielen Probleme, die Haiti 2010 hatte und hat?
Ansel Herz:
Vor kurzem veröffentlichte CARICOM einen Bericht, in dem es heißt, dass Abertausende, die bei dem Erdbeben umkamen, noch immer in den Wählerregistern aufgeführt seien. Hinzu kommt natürlich die sich ausbreitende Cholera-Epidemie. Im Grunde ist es inzwischen eine landesweite Epidemie. Man hat nicht verhindert, dass die Krankheit sich über die zentral betroffene Region, in der sie ursprünglich auftrat, hinaus ausbreiten konnte. Jetzt ist sie in allen zehn Provinzen Haitis. Wissen Sie, bereits vor Ausbruch der Cholera kam es in Port-au-Prince häufig zu regelmäßigen Protesten der Bewohner/innen der Zelt-Camps. Diese Leute sind seit zehn Monaten vertrieben, ihre Häuser wurden bei dem Erdbeben zerstört. Es wurden ihnen keine neuen Behausungen - irgendwelcher Art - angeboten. Ihre Parole bei den Demonstrationen, ihr Schlachtruf, lautet: "Wir werden nicht wählen gehen, solange wir in Zelten und unter Planen leben". Daher glaube ich, die Chancen für eine glaubwürdige Wahl mit einer ansehnlichen Wahlbeteiligung stehen ziemlich schlecht.
Natürlich kommt noch hinzu, dass die größte Partei Haitis - Fanmi Lavalas - die Partei des geputschten Präsidenten Jean-Bertrand Aristide, der 2004 durch einen Staatsstreich gestürzt wurde, von der Wahl absolut ausgeschlossen ist. Man hat so getan, als hätte dies ausschließlich politische Gründe, aber es ist Teil der Isolierung der gesamten Bewegung - seit dem Putsch gegen Aristide. Daher glaube ich, die Wahl ist wohl nur ein Feigenblatt. Doch die Kandidaten und die haitianischen Regierung - und die UNO - beharren darauf, die Wahl werde am 28. November stattfinden.
Amy Goodman:
Letzter Punkt: Die USA halten nach wie vor... der US-Kongress hält nach wie vor mehr als eine Milliarde Dollar an Haiti-Hilfsgeldern zurück. Welche Folgen hat das, Ansel?
Ansel Herz:
Nun, es hat die Folge, dass immer noch mindestens 1,3 Millionen Menschen in... Zeltlagern leben. Unabhängige Untersuchungen - zum Beispiel vom 'Institute for Justice and Democracy in Haiti' aber auch von anderen - zeigen, dass es in 30 bis 40 Prozent dieser Lager weder regelmäßig sauberes Wasser noch Toiletten gibt. Wissen Sie, ich höre, wie manche sagen, es war Pech, dass Haiti von der Cholera heimgesucht wurde, dass es eben tragisch war und nicht zu verhindern gewesen wäre. Tatsache aber ist, dass die NGOs und private karitative Organisationen nach dem Erdbeben vom 12. Januar Spenden in Milliardenhöhe eingenommen haben - Hilfsgelder für die Erdbebenopfer, und sehr wenig davon ist angekommen.
Um nur ein Beispiel zu nennen: Es gibt einen 'Clinton Bush Haiti Fund', der von den beiden ehemaligen US-Präsidenten geleitet wird. Präsident Obama hatte ihn kurz nach dem Erdbeben angeregt. Sie haben rund $50 Millionen eingenommen, von denen sie bislang nur $6 Millionen ausgegeben haben. Langfristigen Folge: eine massive humanitäre Krise. Hinzu kommt die generelle Armut, die auf Haiti seit Jahrzehnten herrscht. Sieht nicht so aus, als ob dies in naher Zukunft vorbei sein würde, es sei denn, die Arbeit der NGOs - Hand in Hand mit der UNO - wird wirklich ernsthaft überprüft und neu bewertet.
Amy Goodman:
Ansel Herz, vielen Dank, dass Sie uns zugeschaltet waren. Herz ist ein unabhängiger Journalist, der seit mehr als einem Jahr auf Haiti lebt. Er war uns aus Cap-Haitien auf Haiti zugeschaltet.
Unser Gast:
Ansel Herz ist ein unabhängiger Journalist, der auf Haiti lebt. Sie erreichen ihn auf der Webseite MediaHacker.org
Juan Gonzalez:
In Haiti gehen die Proteste aufgrund der Cholera-Epidemie weiter. Inzwischen sind mehr als
1 100 Menschen an der Cholera gestorben; über 17 000 wurden infiziert. Am Mittwoch kam es den dritten Tag in Folge zu Zusammenstößen zwischen Bewohnern der Stadt Cap-Haitien und UNO-Truppen. Menschenmengen gehen auf die Straße, um ihrer Wut über die haitianische Regierung und die UNO zu zeigen, die es nicht schaffen, die Krankheit einzudämmen. Nepalesische UNO-Soldaten, die in Cap-Haitien stationiert sind, werden beschuldigt, die Cholera ins Land eingeschleppt zu haben.
Die Proteste sollen auf einem Friedhof begonnen haben, wo Cholera-Opfer in Massengräbern beigesetzt werden. Mindestens zwei Menschen wurden bei den Zusammenstößen getötet, zu denen es zwischen Anwohnern und UNO-Truppen gekommen war. Am Dienstag gab die UN-Mission auf Haiti (MINUSTAH) bekannt, man habe die Hilfsflüge eingestellt und die Wasseraufbereitung sowie die Trainings-Projekte eingeschränkt. In einem Lagerhaus wurden Lebensmittel geplündert bzw. verbrannt.
Amy Goodman:
Die 'Pan-American Health Organisation' sagte gegenüber 'Agence France-Presse' , bei diesem Cholera-Ausbruch könnten bis zu 10 000 Menschen sterben; im neuen Jahr könnten sich 200 000 Menschen neu infizieren.
Inzwischen hat sich die Krankheit über die Grenzen Haitis hinaus ausgebreitet. Die Dominikanische Republik hat ihren ersten Cholera-Fall bestätigt. Die Behörden in Florida bestätigen den ersten Fall in den USA.
Um mehr zu erfahren, schalten wir nun nach Haiti und sprechen mit dem unabhängigen Journalisten Ansel Herz. Er hält sich derzeit in Cap-Haitien auf, wo es zu Protesten gekommen ist.
Ansel, willkommen bei 'Democracy Now!' Sagen Sie uns, was in Cap-Haitien gerade passiert.
Ansel Herz:
Im Moment stehe ich auf einem Platz in der Innenstadt von Cap-Haitien. Die Stadt an der Nordküste ist die zweitgrößte auf Haiti. Hier, wo ich stehe - in der Innenstadt - wirkt die Situation im Moment ziemlich ruhig. Heute ist Feiertag: 'Der Tag der Nationalflagge', an dem einer großen Schlacht des haitianischen Unabhängigkeitskrieges (1803) gedacht wird.
Doch als ich gestern in der Stadt ankam, war auf der wichtigsten Schnellstraße nach Cap-Haitien nahezu alle paar hundert Meter eine Barrikade errichtet. Bei vielen Barrikaden standen junge Männer und Frauen. Einige große Steine flogen in meine Richtung. Wenn ich mich näherte, zeigte ich rasch meinen Presseausweis und versuchte zu erklären, dass ich nicht zur UNO-Friedensmission gehöre. Sofort wurde ich durch viele Barrikaden geschleust.
Diese stehen noch immer mitten auf den Straßen. Einige sind zur Zeit nicht bewacht. Die Leute sagen, das liege daran, dass heute Feiertag ist. Man gedenkt des Unabhängigkeitskampfes des Landes. Sie gehen aber davon aus, dass die Menschen in den nächsten Stunden zurückkommen werden.
Ich muss noch anmerken, dass eine dritte Person von den UNO-Truppen - hier, in der Stadt Cap-Haitien - getötet wurde. Das war gestern. Ich befand mich in einer der Seitenstraßen von Cap-Haitien, wo Demonstranten einen Graben - der eigentlich als Barrikade fungieren sollte - ausgegraben hatten. Ein Fahrzeug der MINUSTAH, der UN-Friedensmission, fuhr in diesen Graben hinein. Zeugen und haitianische Journalisten, die den Vorfall beobachtet hatten, berichteten, chilenische Peacekeeper seien angegriffen worden, als das Fahrzeug die Panne hatte und in den Graben fiel. Ich denke, vielleicht hat die Bevölkerung mit einem Hagel aus Flaschen oder Steinen nach ihnen geworfen. Die Peacekeeper sollen mit scharfer Munition zurückgeschossen haben und dabei einen unschuldigen jungen Mann in seinem Haus erschossen haben. Angeblich brachten sie die Leiche zum Bürgermeisteramt und ließen sie dort. Die Straßenbarrikaden sind noch immer da. Einige sind aus Särgen errichtet worden. Mehrere Demonstranten sagten mir, dass Cholera-Leichen in den Särgen lägen.
Amy Goodman:
Wir bitten unsere Hörer/innen bzw. Zuschauer/innen um Verständnis wegen der schlechten Tonqualität, aber diese Informationen aus Cape Haitian bzw. Cap-Haitien sind äußerst wichtig - Juan?
Juan Gonzalez:
Nun, Ansel, falls die UN-Peacekeeper tatsächlich die Seuche eingeschleppt haben - und danach sieht es aus -, haben sie es sicherlich nicht mit Absicht getan. Aber in der haitianischen Bevölkerung herrscht schon seit Jahren wachsender Unmut über die Präsenz der UN-Peacekeeper. Woher kommt dieser Unmut ursprünglich?
Ansel Herz:
Stimmt. Es ist interessant zu sehen, wie die UNO auf die Aufstände hier reagiert... und auf die Proteste, denn (die UNO) behauptet im Grunde, die Leute würden irgendwie manipuliert. Dies sei keine legitime, spontane, politische Bewegung. Vor einem Jahr habe ich genau in dieser Stadt Menschen auf der Straße interviewt. Sie sagten mir... Schon damals gab es Proteste; sie protestierten friedlich gegen die UN-Peacekeeper. Sie sagten mir damals, sie hätten die Nase voll von der Besatzung in ihrem Land. Sie sagten, die Peacekeeper hätten ein enormes Budget, würden aber kaum etwas herausrücken. Wissen Sie, die Leute sagten, dass sie (die Peacekeeper) keine konkreten humanitären Aktivitäten starten würden, die der Bildung und Gesundheit des Landes nützen würden.
Im August wurde ein Junge - ein 16-jähriger Junge - an einem Baum erhängt aufgefunden -innerhalb des Stützpunkts der Peacekeeper in Cap-Haitien. Praktisch alle US-Medien ignorierten diese Story. Die UNO-Truppen behaupten, er habe Selbstmord begangen. Aber Menschen aus einem Hotel, das dem Stützpunkt genau gegenüber liegt, sagten, sie hätten Schreie gehört. Sie sagten, sie hätten gehört, wie er aufgehängt wurde. Es gibt etliche Verdächtigungen, die Friedenssoldaten hätten den Jungen im Grunde ermordet. Vielleicht hat er ja ein wenig Geld gestohlen. Vor kurzem schrieb eine Gruppe von Organisationen der Zivilgesellschaft einen Brief an die UN-Peacekeeper, in dem sie eine unabhängige Untersuchung des Vorfalles fordern. Sie schreiben, sie verurteilten die "Behinderung der Justiz durch die UNO" in diesem Fall. Nach dem tödlichen Vorfall kam es zu wochenlangen Protesten - friedlichen Protesten - in Cap-Haitien. Zu glauben, die aktuellen Proteste seien manipuliert, dass die Menschen sich nur vor irgendeinen Karren spannen lassen, ist meiner Ansicht nach nicht sehr glaubhaft. Anschuldigungen gegen die Peacekeeper-Mission gibt es schon seit langem. Man wirft ihnen vor, Haitianer zu misshandeln. Außerdem wird ihnen vorgeworfen, keinen der Vorfälle, bei denen - so der Vorwurf - gegen Menschenrechte verstoßen wurde, transparent untersucht zu haben.
Juan Gonzalez:
Was ist mit den bevorstehenden Wahlen und den Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben - angesichts der vielen Probleme, die Haiti 2010 hatte und hat?
Ansel Herz:
Vor kurzem veröffentlichte CARICOM einen Bericht, in dem es heißt, dass Abertausende, die bei dem Erdbeben umkamen, noch immer in den Wählerregistern aufgeführt seien. Hinzu kommt natürlich die sich ausbreitende Cholera-Epidemie. Im Grunde ist es inzwischen eine landesweite Epidemie. Man hat nicht verhindert, dass die Krankheit sich über die zentral betroffene Region, in der sie ursprünglich auftrat, hinaus ausbreiten konnte. Jetzt ist sie in allen zehn Provinzen Haitis. Wissen Sie, bereits vor Ausbruch der Cholera kam es in Port-au-Prince häufig zu regelmäßigen Protesten der Bewohner/innen der Zelt-Camps. Diese Leute sind seit zehn Monaten vertrieben, ihre Häuser wurden bei dem Erdbeben zerstört. Es wurden ihnen keine neuen Behausungen - irgendwelcher Art - angeboten. Ihre Parole bei den Demonstrationen, ihr Schlachtruf, lautet: "Wir werden nicht wählen gehen, solange wir in Zelten und unter Planen leben". Daher glaube ich, die Chancen für eine glaubwürdige Wahl mit einer ansehnlichen Wahlbeteiligung stehen ziemlich schlecht.
Natürlich kommt noch hinzu, dass die größte Partei Haitis - Fanmi Lavalas - die Partei des geputschten Präsidenten Jean-Bertrand Aristide, der 2004 durch einen Staatsstreich gestürzt wurde, von der Wahl absolut ausgeschlossen ist. Man hat so getan, als hätte dies ausschließlich politische Gründe, aber es ist Teil der Isolierung der gesamten Bewegung - seit dem Putsch gegen Aristide. Daher glaube ich, die Wahl ist wohl nur ein Feigenblatt. Doch die Kandidaten und die haitianischen Regierung - und die UNO - beharren darauf, die Wahl werde am 28. November stattfinden.
Amy Goodman:
Letzter Punkt: Die USA halten nach wie vor... der US-Kongress hält nach wie vor mehr als eine Milliarde Dollar an Haiti-Hilfsgeldern zurück. Welche Folgen hat das, Ansel?
Ansel Herz:
Nun, es hat die Folge, dass immer noch mindestens 1,3 Millionen Menschen in... Zeltlagern leben. Unabhängige Untersuchungen - zum Beispiel vom 'Institute for Justice and Democracy in Haiti' aber auch von anderen - zeigen, dass es in 30 bis 40 Prozent dieser Lager weder regelmäßig sauberes Wasser noch Toiletten gibt. Wissen Sie, ich höre, wie manche sagen, es war Pech, dass Haiti von der Cholera heimgesucht wurde, dass es eben tragisch war und nicht zu verhindern gewesen wäre. Tatsache aber ist, dass die NGOs und private karitative Organisationen nach dem Erdbeben vom 12. Januar Spenden in Milliardenhöhe eingenommen haben - Hilfsgelder für die Erdbebenopfer, und sehr wenig davon ist angekommen.
Um nur ein Beispiel zu nennen: Es gibt einen 'Clinton Bush Haiti Fund', der von den beiden ehemaligen US-Präsidenten geleitet wird. Präsident Obama hatte ihn kurz nach dem Erdbeben angeregt. Sie haben rund $50 Millionen eingenommen, von denen sie bislang nur $6 Millionen ausgegeben haben. Langfristigen Folge: eine massive humanitäre Krise. Hinzu kommt die generelle Armut, die auf Haiti seit Jahrzehnten herrscht. Sieht nicht so aus, als ob dies in naher Zukunft vorbei sein würde, es sei denn, die Arbeit der NGOs - Hand in Hand mit der UNO - wird wirklich ernsthaft überprüft und neu bewertet.
Amy Goodman:
Ansel Herz, vielen Dank, dass Sie uns zugeschaltet waren. Herz ist ein unabhängiger Journalist, der seit mehr als einem Jahr auf Haiti lebt. Er war uns aus Cap-Haitien auf Haiti zugeschaltet.
Orginalartikel: Haitians Barricading Streets with Coffins as Protests against U.N. Continue over Cholera Outbreak
Übersetzt von: Andrea Noll
Und hier die Website - and here the Website:
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