http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=15430
Inland Die Mütter von Srebrenica klagen an – Erinnern an das Versagen der UNO „Die Säule der Schande“ - Stub Srama Von Mukadder Bauer
„Noch heute glauben Viele, wenn die Welt nur vom Holocaust gewusst hätte, hätte sie auch etwas dagegen unternommen. Zwei Jahre in Bosnien haben mich eines anderen belehrt. Hätte es Bilder von Auschwitz gegeben, hätte die Welt genauso wenig gehandelt.“ (David Rieff, „Slaughterhouse: Bosnia and the Failure of the West“) [1]
Quelle: Frank Kopperschläger
Vor genau 15 Jahren fand unter den Augen der Weltöffentlichkeit und unter dem Schutz der UNO das größte Verbrechen nach dem Holocaust auf europäischem Boden statt. „Die Säule der Schande“, ein Projekt der deutschen Menschenrechtsorganisationen Zentrum für Politische Schönheit (ZPS) und der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV), haben hierfür 16.744 Schuhe in Bosnien und der bosnischen Diaspora gesammelt, um ein Mahnmal zu errichten, das an das Versagen der UN erinnern soll. Nein, nicht nur erinnern, sondern anklagen. Einige Schuhe gehörten Ermordeten und sind den Massengräbern entnommen worden. Die Mütter von Srebrenica unterstützen ausdrücklich dieses Projekt, damit das Schicksal ihrer Angehörigen, wenn schon nicht gesühnt, nicht vergessen wird.
Bilder gab es viele, sie wurden live in die Wohnzimmer übertragen. Männer und Frauen, die hinter Stacheldrahtzäunen am Verhungern waren, säuberlich getrennt, wie man das von den Nazis gelernt hatte, ausgehungert, hoffnungslos. Frauen, die systematisch vergewaltigt wurden, um die „Feinde“ zu demütigen und zu demoralisieren. Um ihr Leben rennende Menschen in Sarajevo, die von serbischen Heckenschützen wie Tiere abgeschossen wurden. Massaker an der Zivilbevölkerung wurden genüsslich Abend für Abend zelebriert, es waren sensationelle Bilder, scharf, berührend, grausam. Genau die richtige Einstimmung für die darauf folgenden Krimis und Actionfilme.
Damals saß ich, wie viele andere Menschen fassungslos vor diesen Bildern. Ein Krieg fand auf europäischem Boden statt und außer diesen Bildern passierte NICHTS. Nato, UNO und EU versuchten den Eindruck zu vermitteln, dass sie fieberhaft an einer Lösung arbeiteten. Diese Bemühungen sollten Jahre dauern. Deutschland, besser gesagt Hans-Dietrich Genscher, hatte einen großen Anteil daran, dass erstens der Krieg begann und zweitens die Massaker an den Bosniern möglich wurden. Hans-Dietrich Genscher drängte die EU, zuerst zur Anerkennung von Slowenien und Kroatien, ungeachtet der Tatsache, dass die Serben von vornherein erklärten, dass sie diese Entscheidung nicht respektieren würden, und zweitens sorgte er dafür, dass zum Schutze der Kroaten das Waffenembargo für die Bosnier nicht nur nicht aufgehoben wurde, sondern dass sie auch keinerlei Unterstützung durch die Nato und die UNO bekamen.[2]
„Friedensverhandlungen“ nannten sie das und außer ein Paar Luftschlägen für die Galerie und um ihre paar Hundert Soldaten zu schützen, ließen sie die „Kriegsparteien“ Freischärler gegen die Zivilbevölkerung einfach tun, was sie wollten. Das Ganze erinnerte mich stark an den Film „Rollerball“, in dem multinationale Konzerne (Staaten gab es nicht mehr) ihre Kriege auf dem Feld austragen ließen, um ihren Spaß zu haben und Wetten abzuschließen.
Die UNO entwaffnete alle bosnischen Männer und Frauen in der schon vor 1995 als „größtes Konzentrationslager der Welt“ bekannten Stadt Srebrenica. Anders hätten sie dort nicht „Schutz“ suchen dürfen. Sie machten den serbischen Angreifern unter dem Kommando von Ratko Mladic die Zugeständnisse und die Vorarbeit, die den Genozid erst möglich machten.
Die für die Verteidigung angeforderten und erforderlichen Luftschläge blieben ebenso aus, wie der echte Wille, die Zivilbevölkerung zu schützen.
Über 40.000 Zivilisten wurden im Stich gelassen. Und das, obwohl die UNO-Führung ihnen Schutz versprochen hatte. Auf dieses Versprechen hin strömten und flohen die Menschen aus den umliegenden Dörfern vor den Massakern nach Srebrenica. Eine Falle, aus der Tausende nicht mehr lebend herauskamen. Jungen und Männer zwischen 14 und 65 Jahren wurden in der so genannten Schutzzone Srebrenica zusammen getrieben, mit Hilfe der UNO wurden die Selektionen durchgeführt. Die Männer wurden in Busse verfrachtet und auf bestialische Weise umgebracht. Viele mehr wurden vor den Augen der UN-Soldaten im Basislager Potocari ermordet. Selbst da griffen sie nicht ein. 8.372 Opfer, darunter auch 450 Frauen, wurden von der UN, dem Weltsicherheitsrat (vor allem durch seine ständigen Mitglieder Frankreich, Großbritannien und Russland) und der Nato als hinzunehmende Opfer für den „Friedensprozess“ angesehen. Zudem waren die anwesenden UNO-Soldaten erstens nicht vorbeireitet, zweitens nicht willens, ihr Leben für das der Flüchtlinge zu opfern.[3]
Zwischen 1992 und 1995 starben bei diesem Genozid mindestens 150.000 Menschen, eingekesselt und im Stich gelassen bis heute. Bosnien, das die größten Opfer im Jugoslawienkrieg zu beklagen hatte, wird bis heute von Europa links liegen gelassen, schlimmer noch, sie haben eine „Mauer der Schande“ um Bosnien gelegt. Das Land ist eingekesselt und geteilt zwischen Serbien, serbisch besetzten Gebieten und Kroatien. Der Kriegsverbrecher Ratko Mladic wurde bis heute nicht an das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag ausgeliefert. Es folgte zwar eine Entschuldigung von Serbien, dabei wurde aber tunlichst das Wort Genozid vermieden.
Hier einige Hintergrundinformationen zu Bosnien-Herzegowina: Es gab mehr als 100 Konzentrations-, Internierungs-, und Vergewaltigungslager mit über 200.000 gefangen gehaltenen Zivilisten. Mehrere tausend Gefangene wurden in den Konzentrationslagern , wie Omarska, Manjaca, Keraterm, Trnopolje, Luka Brcko, Susica und Foca, ermordet. Die politischen und intellektuellen Eliten wurden gezielt ausgewählt und ermordet. Flucht und Vertreibung von über 2,2 Millionen Bosniern, die in die ganze Welt zerstreut wurden. Viele tausend unaufgezeichnete und der Anzahl nach unbekannte Tote unter den Kindern, den Alten, den Kranken und auf der Flucht gestorbenen Menschen. Blockade, Hunger, Granatenbeschuss und teilweise Vernichtung von 500.000 Bosniern in den UN-„Schutzzonen“ von Tuzla, Gorazde, Srebrenica, Zepa und Bihac.
Die Bombardierung der sechs „Schutzzonen“ von Sarajevo in annähernd vier Jahren kostete 11.000 Menschen das Leben, darunter 1.500 Kinder. Massaker und Massenmorde in vielen Städten und Gemeinden im Norden, Westen und Osten Bosniens ( Posavina, Gebiete um Prijedor und Podrinje). Systematische Zerstörung hunderter Städte und Dörfer. Unfassbare Zerstörungen von islamischen und katholischen Kulturdenkmälern, einschließlich 1189 Moscheen und Medressen und etwa 500 katholische Kirchen und religiöse Einrichtungen, ebenso 38 orthodoxe Kirchen.
Bisher ungeklärte, noch andauernde Suche nach etwa 15.000 vermissten Personen und Exhumierung und Identifizierung vieler Leichen. 284 UN-Soldaten wurden entführt und als menschliche Schutzschilde missbraucht. Mehr als 20.000 muslimische Frauen wurden in Vergewaltigungslagern oder auch draußen vergewaltigt und missbraucht. Ermordung von 8.372 Bosniern aus der Stadt Srebrenica - die meisten davon Männer und Jungen und 560 Frauen - und ihre Verscharrung in Massengräbern. Ermordung von ca. 150.000 Menschen durch „ethnische Säuberungen“ und deren Konsequenzen. (Quelle: Gesellschaft für bedrohte Völker)
Am 11.Juli habe ich lange überlegt, ob ich zu der Aufstellung des Mahnmals „Säule der Schande“ gehen sollte.[3] Alle diese Bilder tauchten wieder auf. Die Gespräche, die ich mit Frauen aus Bosnien hatte, die traumatisiert und geschändet in Berlin angekommen waren. Sich dafür schämend, was ihnen angetan wurde und noch mehr, dass sie noch am Leben waren, während viele ihrer Familienangehörigen ermordet wurden. Doch am meisten fragten sie sich immer wieder, wie Europa das zulassen konnte.
In Berlin, vor dem Brandenburger Tor, dem so oft strapaziertem Symbol der (deutschen) Freiheit war der Auftakt zu diesem Projekt.
Quelle: Frank Kopperschläger
Quelle: Frank Kopperschläger
Bei einem kurzen Gespräch mit dem Großmufti von Bosnien, Dr. Mustafa Ceric, konnte ich ihm einige Fragen stellen.
Wie geht es heute den Angehörigen, den Müttern, nicht zu wissen, ob und wo die Angehörigen ermordet und vergraben worden sind?
„Es ist sehr schwer zu verkraften. Durch den Genozid, den Völkermord sind ganze Familien ausgelöscht worden. Die Frauen fragen bis heute nach ihren Vätern, Männern, Brüdern. Sie sterben bei der Suche. Sie hoffen, dass sie ihre Angehörigen wenigstens nach ihrem Tode wieder treffen werden.“
Was denken die Mütter, was sagen sie dazu, dass bis heute das Massaker von Srebrenica nicht aufgearbeitet wurde?
Großmufti von Bosnien, Dr. Mustafa Ceric, beim Abschlussgebet
Quelle: Zentrum für politische Schönheit
„Sie sterben mit der Hoffnung, dass die Schuldigen bestraft werden. Sie wollen keine Rache, sondern dass die Schuldigen nach Recht und Gesetz verurteilt werden. Es ist auch sehr schwer für mich, mit einer Mutter zu sprechen, die zwei oder drei Söhne und vielleicht ihren Mann verloren hat, da kann ich nur den Kopf senken.“ Und er fügte hinzu: „Wir haben die ganze Zeit das Embargo gehabt, wir waren zwischen Serbien und Kroatien eingesperrt. Das Embargo wurde nicht aufgehoben. Unsere Hände waren gebunden.“
Kurz nach diesem Interview knieten wir uns alle hin, um gemeinsam für die Opfer zu beten.Hier Auszüge daraus:
„Keiner der Gesandten Gottes ist europäischen Ursprungs. Daher hat niemand einen Anspruch auf Vorrang seines Glaubens im Land Europa. Alle drei Abrahamitischen Traditionen - Judentum, Christentum und Islam - gehören zu Europa, und damit hat Europa das Recht - nein, die Verpflichtung - sie als die eigenen zu behandeln….“
„Keiner der Gesandten Gottes ist europäischen Ursprungs. Daher hat niemand einen Anspruch auf Vorrang seines Glaubens im Land Europa. Alle drei Abrahamitischen Traditionen - Judentum, Christentum und Islam - gehören zu Europa, und damit hat Europa das Recht - nein, die Verpflichtung - sie als die eigenen zu behandeln….“
„Während mehrtägiger Massaker wurden über 8.000 muslimische Männer und Jungen, die in diesem Gebiet Sicherheit unter dem Schutz der Vereinten Nationen UNPROFOR gesucht hatten, summarisch exekutiert von serbischen Truppen unter dem Kommando von General Mladic und von paramilitärischen Einheiten, einschließlich serbischer irregulärer Polizeieinheiten, die von Serbien aus in bosnisches Gebiet eingedrungen waren. Annähernd 25.000 Frauen, Kinder und ältere Menschen wurden gewaltsam deportiert, so dass dieses Ereignis zum schlimmsten Kriegsverbrechen wurde, das in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg stattgefunden hat. Das Europäische Parlament hat es deshalb für angebracht erachtet, mit der Einsetzung des 11.Juli als Gedenktag in geeigneter Weise den Opfern des Völkermords von Srebrenica Achtung zu bezeugen.“
Die Schlusssätze seines Gebetes lauteten:
„O Gott,
wenn wir gegen Menschen sündigen,
dann gib uns die Kraft zur Entschuldigung!
Und wenn die Menschen gegen uns sündigen,
Dann gib uns die Kraft zu verzeihen!
O Gott,
wenn wir Dich vergessen, vergiss Du uns nicht!
O Gott
Möge aus Trauer Hoffnung werden!
Möge aus Trauer Hoffnung werden!
Möge aus Rache Gerechtigkeit werden!
Mögen aus den Tränen der Mütter Gebete werden!
Dass Srebrenica nie mehr geschieht! Niemandem, nirgendwo!“
Phillip Ruch (links) - Initiator der „Säule der Schande“
Quelle: Frank Kopperschläger
Und möge Phillip Ruch, der Initiator der „Säule der Schande“ vom Zentrum für politische Schönheit, Unrecht behalten. Auf die Frage, ob wir nichts aus der Geschichte gelernt hätten, antwortete er: „Wir haben durch die pausenlose Erinnerung an den Holocaust bei zeitgleicher Tatenlosigkeit in Bosnien, Ruanda, Darfur und Kongo bewiesen, welche Lehre wir aus dem Holocaust zu ziehen bereit waren: Nie wieder Juden. Alle anderen sind verhandelbar.“ (PK)
[1] „SLAUGHTERHOUSE: Bosnia and the Failure of the West
By David Rieff, Trade Paperback, 256 pages, Simon & Schuster
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen