http://www.mein-parteibuch.com/blog/2010/07/26/ein-paar-anmerkungen-zum-gerade-geleakten-afghanistan-warlog/
Ein paar Anmerkungen zum gerade geleakten Afghanistan-Warlog
Wie inzwischen praktisch alle Medien berichtet haben, hat Wikileaks gestern 76.911 digitalisierte geheime Kurzberichte der US-Armee zum Krieg gegen Afghanistan aus dem Zeitraum 2004 bis 2009 veröffentlicht. Rund 15.000 weitere Datensätze wird Wikileaks laut Webseite auf Wunsch des Informanten mit einer gewissen Zeitverzögerung noch nachreichen. Demjenigen, der die Courage hatte, die Daten zu leaken, sei hier an dieser Stelle ganz deutlich gesagt: Danke. Die in den Berichten enthaltenen Informationen sind definitiv dazu geeignet, den Krieg realistischer zu sehen, als er von Militärs und westlichen Medien gezeichnet wird. Diese Berichte belegen, dass in Afghanistan ein scheußlicher Krieg geführt wird. Die Veröffentichung der Daten trägt damit dazu bei, den Unwillen in den westlichen Bevölkerungen gegen den Krieg zu steigern und damit den Druck auf westliche Politiker zu steigern, den Krieg zu beenden. Diejenigen, die sich mit dem Krieg schon länger beschäftigen, werden in den Daten vermutlich nur wenig grundsätzlich Neues über die Schrecken des Krieges finden, doch strafen die Daten nun alldiejenigen Lügen, die behaupten, es sei ja alles gar nicht so schlimm.Der Spiegel, die New York Times und der Guardian hatte die Daten von Wikileaks bereits vor einigen Wochen vorab zur Bewertung bekommen. Dadurch ist die Information, dass diese Daten öffentlich sind, nun sehr vielen Menschen bekannt und auch einige Inhalte der Daten, wie die Existenz der direkt dem Pentagon unterstellten Killereinheit Task Force 373 dürfte spätestens in wenigen Stunden vielen Menschen bekannt werden. Das Hinzuziehen der wichtigsten Presseorgane der USA, Deutschlands und Englands zur Bewertung und Interpretation der Daten dürfte auch davor schützen, von anderen Medien beschuldigt zu werden, die Daten als von Wikileaks falsch interpretiert darzustellen, und die Geschichte damit zu begraben.
Trotzdem birgt die Vorgehensweise ein Problem. Diese sonst vor allem als Outlets westlicher Kriegspropaganda bekannten Medien liefern nun zeitgleich mit der Veröffentlichung der Daten durch Wikileaks die Stories, wie die Daten zu interpretieren sind und bestimmen damit zu einem großen Teil die Botschaft, die durch die Daten im öffentlichen Bewusstsein ankommt. Kriegskritische Medien und unabhängige Journalisten werden eine Weile brauchen, um die umfangreichen geleakten Rohdaten überhaupt erstmal zu sichten und können der massenmedialen Interpretation der Daten damit vorerst kaum eine eigene kriegskritischere Interpretation entgegensetzen.
Deutlich zu erkennen, ist der Versuch, die Daten nicht etwa so zu interpretieren, dass Krieg scheußlich ist, sondern dass bei diesem Krieg Mängel in der Kriegsführung vorhanden sind, beim Spiegel und in der New York Times. So gibt der Spiegel anhand der Daten erstellten Geschichten Titel wie “Die Schwächen der US-Geheimdienste”, “Die Pannen der leisen Killer” und “Die Naivität der Deutschen - Wachsense Probleme im Norden”, die auf Mängel in der technischen und taktischen Kriegsführung abstellen, und damit verdrängen, dass die Ursache des sich in den Daten widerspiegelnden Grauens vor allem darin liegt, dass dieser völlig überflüssige Angriffskrieg gegen Afghanistan überhaupt geführt wird.
Die New York Times konzentriert sich darauf, Druck gegen Pakistan zu machen, weil in einigen Berichten westlicher Soldaten und ihrer Informanten ihre Meinung zum Ausdruck kommt, dass Pakstian zwar öffentlich als Partner der von den USA angeführten Koalition zur Eroberung und Unterwerfung Afghanistans auftritt, jedoch verdächtigt wird, heimich den Kriegsgegner zu unterstützen. Auch der Spiegel bringt diese Interpretation der Daten. Pakistan ist jedoch, wie Mein Parteibuch berichtete, der Meinung, die USA würden heimlich Terrorgruppen unterstützen. Diese Art der Interpretation der Daten könnte also durchaus eine Retourkutsche der USA sein. Weil US-Soldaten etwas glauben oder ihre Informanten etwas behaupten, gehört zu haben, heißt es noch lange nicht, dass es wahr ist - geschweige denn, dass sie Wissen, was die CIA hinter ihrem Rücken treibt.
Die Berichterstattung des Guardian zu den Daten ist etwas änders gefärbt als die des Spiegel und der New York Times. Der Guardian setzt seinen Schwerpunkt eher auf die vielen Lügen und Halbwahrheiten, der die Militärs dank der nun geleakten Daten ebenso überführt werden können wie dem gezielten und geplanten Verschweigen von wichtigen Ereignissen. So findet sich im Guardian beispielsweise die Analyse eines Berichtes, mit dem gezeigt wird, dass die Taliban mit einer Luft-Boden-Rakete einen Hubschrauber abgeschossen haben und damit die die Gefahr herunterspielenden Behauptungen der Militärs Lügen straft, das sei einer Zufallstreffer einers RPG gewesen. Auf der Seite des Guardian findet sich auch eine Auswahl von rund 300 vom Guardian als besonders aufschlussreich ausgewählten Kurzberichten, die sich jederman als Excel-Datei herunterladen kann, um sich selbst einen Eindruck von dem geleakten Datenmaterial zu machen, dass den Medienberichten zugrunde liegt.
Das US-Verteidigungsministerium hat die Veröffentlichung der Daten scharf verurteilt und sinngemäß behauptet, sie wüssten, dass 2009 die Lage sehr ernst war, aber deshab habe Barack Obama die Kriegstrategie ja auch im Dezember 2009 geändert und nun seien sie wieder optimistisch, den Sieg um die Herzen der Menschen in Afghanistan davonzutragen. Die kriegskritische iranische TV Station Press TV berichtet hingegen gerade, dass bei einem Hubschrauberangriff der US-geführten Truppen am letzen Freitag in Südafghanistan offenbar 45 Zivilisten ums Leben gekommen sind. So sieht die erfolgreiche neue Kriegstrategie von Friedensnobepreisträger Barack Obama aus, die deutsche Medien nach wie vor nach Kräften verschweigen.
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