Wohlorganisierte Trostlosigkeit
Ich weiß wirklich nicht ob es tatsächlich an jenem Bild liegt, wenn ich Nacht für Nacht hier bin. Aber ich bin immer hier und sitze immer genau gegenüber diesem Bild, das den einzigen Schmuck der ansonsten kahlen gelbweißen Wand bildet.
Natürlich ist das Bild nur ein Druck des Nachtfalken. Und wie auf dem Bild von Edward Hopper ist auch hier nichts echt oder gar lebendig. Wir Untoten blicken auf seine Untoten. Nur das man uns keine hölzernen Möbel gegönnt hat. Noch nicht einmal Imitate. Poliertes, kaltes Aluminium und weißgraues Resopal. Dazu ein hartes Neonlicht wie in der Aufnahmezelle der Bahnhofswache. Wahrscheinlich bin ich nicht wegen des Bildes hier. Ich bin hier weil alle anderen Kneipen so langsam schließen. Auch hier. Mitten in Charlottenburg.
Die klinische Reinheit des Raumes soll uns auf Abstand halten. Wir sind hier bestenfalls geduldet. Geparkte Körper am Tropf ihrer Droge. Natürlich trinken wir alle Kaffee. Dazu noch einen kleinen doppelten Aufwärmer. Mann und Frau trinkt den Hochprozentigen mit einem Schluck, das sieht nebensächlicher aus. Tatsächlich ist der Kaffee die Nebensache. Wenn der Pegel schon jetzt fällt, kommen wir nicht in den neuen Tag. Manchmal versuchen sich Männer und Frauen gegenseitig zu wärmen. So etwas wie Trost aufkommen zu lassen. Scheue Zärtlichkeit, die im grellen Neonlicht verbrennt, sich nur in schneller Flucht ins Dunkle retten könnte. Aber Flucht erfordert Mut und Bewegung. Der Tropf beruhigt. Auch das überlaute Zischen der Kaffeemaschine, die längst mehr Aufschäumendes und gequirltes als Kaffee produziert. Die Musiklöcher in der Decke sind auf extrem leise gestellt. Das soll uns dazu bringen selber auch leise zu sein.
Wir sollen trinken und nicht mit einander reden. Gespräche könnten Ansichten transportieren die nur Gegenreden und Gegenansichten herausfordern. Wir sollen scheu bleiben an diesem halbvertrockneten Wasserloch. Ein ruhiges und sicheres Opfer jenes Krokodils in der Mitte, das uns mit immer neuen Drinks und ab und an mit Kaffee versorgt. Ich bekomme den Kaffee sogar kostenlos zu jedem sechsten Doppelten. Fast regelmäßig jede Stunde. Ich muss mich auch nicht mehr entscheiden. Meine Schlagzahl ist festgelegt und die Zigaretten werden erneuert, wenn ich die Schachtel zerknülle. Ich bin in versorgter Sicherheit.
Ich habe den Blick nach draußen längst aufgegeben. Wozu auch. Es ist draußen nicht anders als drinnen. Es hasten die immer gleichen gesichtslosen Schatten durch die Nacht und jene mit Gesichtern und brennenden Augen die gerne in dieses Licht möchten, mag ich nicht sehen. Es ist eine gefährliche Sicherheit in der ich hier bin. Ein festgefügtes Ritual, das mich genau zum richtigen Zeitpunkt in mein Bett fallen lässt und es mir ermöglicht zum richtigen Zeitpunkt wieder aufzustehen und zu funktionieren. Es ist ein Gleichgewicht des Schreckens und der Abschreckung.
Wenn ich diese Sicherheit verlasse und das Gleichgewicht verliere, werde ich zu einem jener Schatten dort draußen. Dann sind es meine Augen die brennend in dieses Licht schauen. Ich kenne das. Im Januar, wenn die Versicherungen fällig sind, werde ich für Tage, manchmal für Wochen zu einem solchen Schatten. Ich kenne den Geruch der Schatten, wenn ich dann Nacht für Nacht in ihr Reich eintauche und ein Teil von ihnen werde. Es ist dieser Geruch den kein Duschbad dieser Erde abwaschen kann und gegen den kein Deo hilft. Es ist dieser Geruch der Abstand schafft und schlussendlich dauerhaft ausgrenzt. Selbst meine Kollegen kennen ihn. Sie die sie ihre bürgerliche Respektierlichkeiten wie ein Banner vor sich hertragen. Ob auch sie ihre neonbeleuchteten Sicherheitszellen haben? Ich werde es nie erfahren. Wir Verlorenen schätzen den Abstand. Entfernung ist Schutz und Nähe ist Gefahr.
Unsere Angst vor der Nähe ist übrigens wohlbegründet. Wir sind Veteranen. In den wenigen Momenten wo wir uns untereinander unsere Narben zeigen und die Schilde kurzfristig herunterlassen, verstehen wir uns als Geschlagene dieses Krieges. Der Wehrpass ist das Foto der gewesenen Freunde, der gewesenen Ehefrau, der gewesenen Kinder, des gewesenen Hundes und des gewesenen Hauses. Es ist gewesen und wir stoppen die Verwesung nur dadurch, das wir uns in Alkohol einlegen. Das einzige was uns noch mehr Angst als Nähe und die Gegenwart macht, ist die Zukunft. Wir spüren das in dieser Zukunft eine Gefahr liegt, die viel größer ist, als alle Gefahren der Vergangenheit. Aber unsere Angst kann unsere Seele nicht mehr aufessen. Wir haben uns schon lange von unserer Seele getrennt. Sie war nur noch Stückwerk und schmerzte je mehr sie verletzt wurde. Nun sind wir getrennt aber der Schmerz blieb.
Schmerz ist übrigens ein guter Indikator für Leben. Wenn der Schmerz endet, ist auch das Leben vorbei. Schmerz als Beweis des Seins. Wir müssen uns nicht kneifen um sicher zu gehen das wir nicht träumen. Unser Alptraum ist Realität wie unser Schmerz. Es ist ein kostbarer Schmerz, weil er uns bestätigt das wir noch leben. Der Schlaf verdeckt den Schmerz und wir können nie sicher sein, ob wir schlafen oder tot sind. Wir flüchten dem Schlaf, weil wir dem Tod flüchten wollen. Natürlich ereilen uns beide.
Ich habe übrigens gelernt zu trinken und gleichzeitig zu denken. Das Trinken ist wichtig. Meine Bestellungen sind die Einwürfe in die Parkuhr, die mir das Sitzen hier gestatten. Die mir meine Einsamkeit in der Gemeinschaft der Einsamen erlauben. Aber nun ist es auch mit dieser Gemeinschaft vorbei. Irgendwie ist das Licht noch heller geworden, die Musiklöcher kochen über und atmen dampfenden Lärm über uns. Es ist die Fanfare die uns auf den nächsten Schritt zwingt. Wir greifen zum Geld und flüchten in die Dunkelheit. Ich eile in meinen Schlafkäfig. Nicht weil ich den Schlaf suche, sondern weil ich mich davor fürchte, was passiert, wenn ich die Sicherheit meiner Rituale verlasse. Ich unterwerfe mich dem Schlaf, weil er mich vom Aufwachen trennt. Aufwachen ist Zukunft und neue Gefahr.
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