Ich weiss nicht, wann es passierte, dass der Vater den Druck hin und wieder mit einem Glas Wein kompensierte, und dann hin und wieder laut und anmassend wurde. Nein, gewalttätig wurde er nicht, nur die dicke Lippe eben, die er sonst nicht riskierte. Seine Frau zahlte ihm das zurück, wenn er nüchtern war...
Es kriselte, die Kinder merkten nicht so viel davon - nur hin und wieder. Das ältere Kind schloss daraus, dass "die Alten aus dem Erziehen nicht mehr so recht herausfinden, und dauernd mäkeln, verschlimmbessern und herumtüteln müssen, bis es eben mal rappelt". Die Schulnoten der Kinder waren gut, trotzdem wurden sie zu immer mehr und besseren Leistungen angetrieben - auch was die Gestaltung der Freizeit anging.
Todesfälle, wie jener der Grossmutter, wurden als "interressantes Ereignis das auch mal auf uns zukommt" abgehakt, für Trauer und Erschütterung schien kein Raum zu sein. Mitgefühl mit ärmeren Menschen hielt sich in Grenzen, denn schliesslich muss jeder zusehen wie er klarkommt. Wenn es nicht anders möglich ist, muss sich eben eingeschränkt werden, und es steht eben nicht immer alles jedem gleichermassen zu...
Als sie dann in jenem pupertären Alter waren, in dem sie selbständiger werden und das auch wollen, liessen sich die Eltern scheiden. Die Kinder blieben beim Vater, denn er hatte das Geld und die Voraussetzungen, die in diesem unserem Staat bei Erziehenden gerne gesehen werden. Also, weiter so...
Doch, sie hatten Erfolg - egal ob in Schule oder Freizeit, und das ältere Kind inzwischen auch im Beruf. Das Haustier, das sie sich so gewünscht hatten wurde unter fadenscheinigen Gründen wieder abgeschafft vom Vater - aus dem einen Grund, weil seine neue Beziehung dies nicht wollte, und weil es die Kinder vom Erfolg ablenkte. "Ich erarbeite mir das alles selber, dann brauche ich die Gnade des Alten nicht mehr", war das Resumee des älteren Kindes. Das Jüngere litt allerdings mehr darunter. "Nicht einmal die Zuneigung zu einem vierbeinigen Kameraden gönnt er uns", war seine Feststellung.
Sie eilten von Etappe des Lebens zu nächster Stufe, und alles klappte so weit. Der Alte heiratete wieder, aber es wurde eine Fernehe, weil sich die neue Frau die aufsässig reagierenden Kinder nicht antun wollte. Ihre richtige Mutter wohnte weit entfernt und machte ebenfalls Karriere inzwischen.
Musikverein, Sportverein, Freundin, Eintritt ins Berufsleben, alles schien zu funktionieren bei den Jungen, aber da war etwas, das zunehmend aus dem Ruder lief. Sie begannen zu trinken, - einmal die Woche vergessen, wie man sich abschindet...
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http://b-n-d.net/mediatheke/hintergruende/deutschland/99-die-ueberforderten-kinder-deutschland-unter-druck.html
MediaTheke - Deutschland
Aus Sorge um die Zukunftschancen ihrer Kinder setzen immer mehr Eltern den Nachwuchs einem ungeheuren Leistungsdruck aus.
Die Perfektionierung tobt schon in der Kindheit heftig - es ist der Traum vom sozialen Aufstieg. Jedes vierte Kind bis acht Jahre wird mittlerweile zur Fördertherapie geschickt. Nach dem vollen Schultag gehen sie zum Hockey, zum Tennis, zum Segeln, zur Musikschule. Manchmal haben Kinder an einem Nachmittag zwei bis drei Programmpunkte zu absolvieren. Der gesamte Komplex zwischen Geburt und Abitur ist zu einer Mischung aus Wettrüsten und Leistungsschau geworden. Schlimme Krisen drohen für die Eltern, wenn ihr Kind später als andere krabbelt. Dem Druck halten nicht alle Kinder stand. Zunehmend bedürfen schon Grundschüler therapeutischer Behandlung. Erst sind es Bauchschmerzen, später folgt die Leistungsblockade bis hin zur Depression. Bis zu zehn Prozent der 12- bis 17-jährigen haben oder hatten Depressionen. Die Kinder stehen unter Druck: Einfach nur spielen - ist das heute überhaupt noch möglich?
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