"Charakter hat man nicht mehr, das gilt als neurotisch", erklärte mir ein Psychiater - und diese seine Erklärung liegt nun auch schon wieder 20 Jahre zurück. Was dieser Psychiater versäumt hatte, war die Auseinandersetzung mit sogenanntem "gutem" und "schlechtem" Charakter. Vor allem damit, dass jeder Charakter gute und schlechte Seiten hat, und dass diese oft in einer Situation gut sein können, und in einer anderen eben nicht.
Dieser Psychiater vergass auch, dass Charakter etwas darüber besagt, wie stark jemand sich selber treu ist - mag das nun gut oder schlecht für diesen Menschen sein. Zudem, was gestern noch als gut galt, gilt morgen als schlecht, die Eigenschaften des Menschen unterliegen in der Bewertung dem Wandel der Zeitläufe und Meinungen.
Sich treu bleiben ist nichts Schlechtes, aber wenn ein Charakter einfriert zu etwas Erstarrtem, zu einem Betonschädel erster Güte, dann geht auch nichts mehr, ausser das Festgefügte bewahren zu wollen - um jeden Preis. Wenn das geschieht, auf Kosten jeglicher Flexibilität und Menschlichkeit, dann kann wohl kaum noch von einem rundum "guten" Charakter gesprochen werden.
Wie bei so Vielem, was menschliche Eigenheiten angeht, sind die Grenzen zwischen gut und schlecht fliessend. Paul Watzlawick dachte über solche Dinge in Bezug auf die Kommunikation der Menschen nach, und erkannte das Böse im Guten. Zuviel des Guten schlägt ins Böse um, und genau dies müßte Herrn Finanzminister Schäuble ins Stammbuch geschrieben werden.
Über Paul Watzlawick gibt es etwas in Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Watzlawick
Wer dauernd nur hart zu sich selber ist, verewigt dies als Problem, das sich auf andere auswirkt, weil die Härte letztendlich auch auf diese angewandt wird. Genau dies macht Herr Schäuble, und fühlt sich dadurch überlegen. Es scheint in der Pseudo-Elite Deutschlands, in den Kreisen der Regierenden und angeblichen Denker ungemein wichtig zu sein, überlegen zu erscheinen.
Minister Schäuble hat einen scharfen Intellekt, aber es kommt auch immer darauf an, wie ein Mensch mit diesem umgeht, ihn einsetzt und anwendet. Wer zu sich selber grausam ist, kommt gegenüber anderen irgendwann auch nur noch auf grausame Schlussfolgerungen. Wer auf Überlegenheit baut, der kommt irgendwann an jenen Punkt, wo er andere demütigt.
Nun zeigt immerhin der gedemütigte Pressesprecher Charakter, und geht. Mit einem solchen Chef, wie Minister Schäuble, will er nicht mehr arbeiten. So, wie Schäuble ihn nun gehen läßt, bestätigt dies die Entscheidung.
Nachlesen kann man dies hier:
Rücktritt des Schäuble-Sprechers
Minister Gnadenlos
Von Philipp Wittrock
Mehr:
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,728073,00.html
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