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Rendezvous mit dem Tod
Von Lars Schall | 21.März 2011Dazu könnte in nicht unerheblichen Maße beitragen, dass der westlichen Kriegskoalition die strategische Planung zu fehlen scheint, was denn nach den Schlägen aus der Luft folgen soll, um den Regime-Wechsel in Tripolis zu bewerkstelligen. Besonders gut bringt das George Friedman in seiner Analyse unter der Überschrift “The Libyan War of 2011“ zum Ausdruck, die sich hier nachlesen lässt.
Ihr habe ich im Grunde nichts hinzu zufügen. Außer vielleicht, dass zum Einen die USA ohne Mandat durch den Kongress Teil dieses Krieges sind (was ein Bruch der US-Verfassung darstellt), und zum Anderen, dass man bisweilen angesichts all der Dummheit und Idiotie, die hinter Kriegen und der dazugehörigen Propaganda steckt, verzweifeln möchte. Dieser Dummheit und Idiotie gälte es unversöhnlich ein für allemal den Krieg zu erklären. Wobei man sich ironischerweise erlauben muss, selbst ein Idiot zu sein, um den Kampf gegen die Verbreitung der ewigen Dummheit anzutreten. In diesem Krieg mag manche Schlacht zu gewinnen sein, der Krieg selber jedoch wird nie zu Ende gehen, er ist eine Sisyphos-Aufgabe.
So es denn stimmt, was Thomas Pynchon schrieb, nämlich: „Wenn sie dich dahin bekommen, die falschen Fragen zu stellen, müssen sie sich nicht um die Antworten sorgen“, dann sei doch vielleicht noch einmal die fortdauernd aktuelle Frage gestattet: Warum überhaupt Krieg?
Meine Antwort, die gewiss nicht originell ist, allerdings auch nicht idiotisch, lautet:
Es gibt enorme Gewinne im Krieg zu machen, sowohl vor und während, als auch im Gefolge des Wiederaufbaus. „Kreative Zerstörung“ ist ein wesentlicher Impuls unseres Wirtschaftssystems. (i) Aber auch geopolitische Gewinne und die Vernichtung überschüssiger Produktion sind übers Kriegsvehikel zu erreichen. In den Zeiten der Finanzkrise erinnerte Chalmers Johnson im Februar 2008 für das Beispiel der USA daran, das dem Kriegsvehikel in den USA seit Jahrzehnnten erkleckliche Summen und Ressourcen geopfert werden:
“Global confidence in the US economy has reached zero, as was proved by last month’s stock market meltdown. But there is an enormous anomaly in the US economy above and beyond the subprime mortgage crisis, the housing bubble and the prospect of recession: 60 years of misallocation of resources, and borrowings, to the establishment and maintenance of a military-industrial complex as the basis of the nation’s economic life.” (ii)
Bekanntlich warnte der ehemalige US-Präsident Dwight D. Eisenhower in seiner Abschiedsrede vom Weißen Haus am 17. Januar 1961 vor den Gefahren des Militärisch-Industriellen Komplex:
“…We have been compelled to create a permanent armaments industry of vast proportions. Added to this, three and a half million men and women are directly engaged in the defense establishment. We annually spend on military security alone more than the net income of all United States corporations.
Now this conjunction of an immense military establishment and a large arms industry is new in the American experience. The total influence — economic, political, even spiritual –is felt in every city, every Statehouse, every office of the Federal government. We recognize the imperative need for this development. Yet we must not fail to comprehend its grave implications. Our toil, resources, and livelihood are all involved. So is the very structure of our society.
In the councils of government, we must guard against the acquisition of unwarranted influence, whether sought or unsought, by the military-industrial complex. The potential for the disastrous rise of misplaced power exists and will persist. We must never let the weight of this combination endanger our liberties or democratic processes. We should take nothing for granted. Only an alert and knowledgeable citizenry can compel the proper meshing of the huge industrial and military machinery of defense with our peaceful methods and goals, so that security and liberty may prosper together…”
Im Lichte der Tatsache gesehen, dass die Vereinigten Staaten den Rest der Welt bei weitem im Bereich der Militärausgaben und Waffenproduktion übertreffen, darf es als ausgemachte Realität gelten, dass diese Warnung auf taube Ohren fiel.
Eisenhowers erster Entwurf warnte im Übrigen vor einem “militärischen, industriellen, nachrichtendienstlichen Komplex”. Nachrichtendienste sind in dem Zusammenhang erwähnenswert, weil sie es letztlich sind, die die Propagandaschlachten vor, während und nach dem Krieg führen. Um die soziale Hegemonie aufrechtzuerhalten und Gewinne eher in kapitalintensiven Produktionsbereichen zu konzentrieren, statt in arbeitsintensiven, wurde in den USA eine permanente Kriegswirtschaft nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs von entsprechender Seite begrüßt. Die Geheimdienste – deren bekanntester, aber nicht größter in den USA (letzteres ist bezeichnender Art und Weise die Defense Intelligence Agency, DIA), sprich die CIA, ein Geschöpf der Wall Street ist (iii) – stellten am Ende des Zweiten Weltkriegs das Bild einer permanenten Bedrohung und eines Feindes aus Gründen der sozialen Kontrolle und zur Legitimierung eines stets größer werdenden Militärbudgets bereit.
Einher ging dies mit der Expansion großer Unternehmen in die „frei gekämpften Märkte“, was dazu bestimmt war, die Kontrolle über wichtige Ressourcen rund um die Welt zu erlangen, aber auch die Verschiebung nationaler Kontrollsysteme – was nötig war, um billigen Zugang zu den Ressourcen zu ermöglichen. Im Finanzsystem steckt die Notwendigkeit beständiger Gewinne, und Kontrolle erfordert expandierende Märkte und reduzierte Produktionskosten. Die relative Knappheit wichtiger Ressourcen für Energie und Produktion sowie neue Technologien machten Orte wie Südostasien, den Mittleren Osten, den afrikanischen sowie den gesamten amerikanischen Kontinent zu Schlüssel-Schlachtfeldern der permanenten Kriegsführung, die nicht unbedingt eines offenen, für jedermann ersichtlich Kriegs bedurfte. Wie es Ingeborg Bachmann im Gedicht “Alle Tage” schrieb: “Der Krieg wird nicht mehr erklärt,/sondern fortgesetzt.”
Die Globalisierung unserer Zeit scheint die letzte Phase der Monopolisierung allen Reichtums und Überschusses zu markieren. Völker vernichtend vielleicht nicht im Vorsatz, aber in der Umsetzung, verringern diese Maßnahmen zusätzlich die entbehrliche Arbeitsbevölkerung und bringen eine Verringerung des Verbrauchs bei gleichzeitiger Maximierung der Überschüsse für die Überlebenden mit sich. Begünstigt wird das noch dadurch, dass man inzwischen einen Phantomfeind besitzt, den Terrorismus, den es global und unausgesetzt zu bekämpfen gilt. Ein Traum-Gegner, so man das vom Standpunkt der Rüstungsindustrie betrachtet.
Finanziert wird das verknappt dargestellte Programm durch Schulden. Letzteres macht die Notenbanken, die sich im Wesentlichen in privater Hand befinden, zu den Hauptbegünstigten in der Gesamtrechnung, insbesondere die Anteilseigner der Federal Reserve.
„Weshalb sich die Banker an der Spitze der Liste der Begünstigten des Krieges befinden, fragen Sie? Es ist eine einfache Gleichung. Die US-Notenbank erschafft Geld, um den Krieg zu finanzieren, und verleiht es an die amerikanische Regierung. Die amerikanische Regierung wiederum muss auf das Geld, das sie sich von der Zentralbank ausgeliehen hat, um den Krieg zu finanzieren, Zinsen zahlen. Je größer die Aufwendungen für den Krieg sind, desto größer fallen die Gewinne für die Banker aus.“ (iv)
Im längeren Rückblick betrachtet funktionierte die menschliche Gesellschaft seit vielen Jahrhunderten auf einem Existenzminimum-Modus, wo Reichtum aus Hortung, Diebstahl und die Zerstörung von Gemeinwesen resultierte. Damalige Kriege waren im Grunde auch schon Ressourcenkriege, wenngleich im kleineren Maßstab. Als dann die Kontrolle wuchs und damit die Monopolisierung von Land und grundlegenden Ressourcen ermöglicht wurde, wurde Reichtum durch die Industrialisierung, die Ausbeutung von Arbeitskräften, Zinsen auf Kredite, steigende Steuern und Mieten erzielt. Das Meiste der zuletzt zitierten Dinge umfasste keine Produktion von Waren, sondern zog Geld aus dem natürlichen Zyklus des Austausches von Waren und Gütern ab. Geld, das bereits selbst monopolisiert war, und das damit Machbare wurden mit dieser Methode aufgeblasen. Wo die “zivilisierte“ Erweiterung der Märkte, Kontrolle über die Ressourcen im Ausland und der Zugang zu billigen Arbeitskräften zeitweise von anderen Truppen und wettbewerbsfähigen Unternehmen sowie durch nationale Bestrebungen nach Selbstbestimmung und revolutionären Bewegungen bedroht wurde, konnte dem zunehmend mit einem sich entwickelnden militärischen und geheimdienstlichen Apparat begegnet werden, der offene und verdeckte Kriegsführung einsetzte, um diesen Bedrohungen entgegenzuwirken. Wenn militärische Interventionen notwendig schienen, riefen die Konzerne die Regierungen dazu auf, Mittel und Truppen für solche Kriege zu geben. Gleichzeitig profitierten sie durch den Verkauf von immer fortschrittlicheren Waffensystemen und all die anderen Insignien der Rüstung und Kriegsführung.
Daran hat sich bis heute wenig geändert. Wer nämlich hat denn Libyen, den Gegner, den es nun zu bekämpfen gilt, zuletzt vor allem aufgerüstet? Die EU. (v)
Investitionen in militärische Aufrüstung sind gewiss nicht immer so lukrativ wie andere Kapital-Anlagen. Vor allem hängen sie vom Staat und seinem sanktionierten Reich der Investitionen und der globalen Produkt-Kontrolle ab, das heißt von einem gesicherten finanziellen Markt im Bereich der Besteuerung, von minimalem Wettbewerb und geringen Kosten. Konservativ geschätzt dürften mindestens (!) 15 Billionen Dollar für vergangene, gegenwärtige und die Planung zukünftiger Kriege seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs verbraucht worden sein. Ein Kriegsprodukt wie eine Tomahawk Cruise Missile kann in der Regel nur einmal verwendet werden, und ein Produkt, das gebraucht wird, aber nur einmal verwendet werden kann, ist: eine extrem gute Einnahmequelle, da es ersetzt werden muss. Würde das gleiche Geld in den zivilen Sektor gesteckt werden, würden viele neue Arbeitsplätze geschaffen – somit ist die Rüstungsindustrie auch eine Quelle der Arbeitslosigkeit. Das Öl und die anderen Energieträger, die verwendet werden, um dieses System der Kriegsproduktion zu unterhalten, aber auch zur Durchführung der militärischen Operationen selbst herangezogen werden müssen (das Pentagon ist der weltweit größte Einzelverbraucher von Öl), ist ohne Zweifel der Hauptteil des Verbrauchs der Ressourcen. Ressourcenkriege sind ergo nicht zuletzt dafür da, um dem Teufelskreislauf Nahrung darzubieten. Und wie man eventuell ersieht, ist das System von vornherein so angelegt, dass Krieg Krieg gebiert. Heute hier, morgen da, mal offen, mal verdeckt. (Hunger beispielsweise ist ja auch eine Art der Kriegsführung – und der Hunger angesichts erhöhter Lebensmittelpreise trägt zu den Aufständen in Nord-Afrika und dem Mittleren Osten bei. Ein Schelm, der hier mehr als nur zufällige Zusammenhänge entdeckt.)
Mir will das alles idiotisch und dumm anmuten. Dafür werden Männer und Frauen in den Tod geschickt. Für einen “Schwindel”, wie es US Marine Corp Major General Smedley Butler, ein Mann vom Fach, Anfang der 1930er Jahre ausdrückte:
“War is a racket. It always has been. It is possibly the oldest, easily the most profitable, surely the most vicious. It is the only one international in scope. It is the only one in which the profits are reckoned in dollars and the losses in lives. A racket is best described, I believe, as something that is not what it seems to the majority of the people. Only a small “inside” group knows what it is about. It is conducted for the benefit of the very few, at the expense of the very many. Out of war a few people make huge fortunes.” (vi)
Immer wieder, wenn ich an Krieg denke, muss ich an ein ganz besonderes “Frühlingsgedicht“ denken, an “I Have a Rendezvous with Death” von Alan Seeger. Der US-amerikanische Dichter, der 1888 geboren wurde, starb im Ersten Weltkrieg bei Belloy-en-Santerre am 4. Juli 1916, während er der Französischen Fremdenlegion diente.
Der Frühling bricht an.
Alan Seeger: “I Have a Rendezvous with Death”
I have a rendezvous with Death
At some disputed barricade,
When Spring comes back with rustling shade
And apple-blossoms fill the air-
I have a rendezvous with Death
When Spring brings back blue days and fair.
It may be he shall take my hand
And lead me into his dark land
And close my eyes and quench my breath-
It may be I shall pass him still.
I have a rendezvous with Death
On some scarred slope of battered hill,
When Spring comes round again this year
And the first meadow-flowers appear.
God knows ’twere better to be deep
Pillowed in silk and scented down,
Where love throbs out in blissful sleep,
Pulse nigh to pulse, and breath to breath,
Where hushed awakenings are dear…
But I’ve a rendezvous with Death
At midnight in some flaming town,
When Spring trips north again this year,
And I to my pledged word am true,
I shall not fail that rendezvous.
Quellen:
i Vgl. Joseph A. Schumpeter: “Creative Destruction” Auszug aus: “Capitalism, Socialism and Democracy (New York: Harper, 1975) [orig. pub. 1942], pp. 82-85: unter: http://transcriptions.english.ucsb.edu/archive/courses/liu/english25/materials/schumpeter.html
ii Chalmers Johnson: “The Economic Disaster that is Military Keynesianism. Why the US has really gone broke“, veröffentlicht in Le Monde diplomatique im Februar 2008 unter: http://mondediplo.com/2008/02/05military
iii Vgl. Peter Dale Scott: “The Road to 9/11. Wealth, Empire, and the Future of America”, University of California Press, Berkeley, 2007, Seite 11 – 14, und Michael C. Ruppert: “Crossing the Rubicon. The Decline of the American Empire at the End of the Age of Oil”, New Society Publishers, 2004, Seite 53 – 57 .
iv J.S. Kim: „Im Innern des illusorischen Reiches des Banken- und Waren-Schwindels“, veröffentlicht am 28. November 2010 unter: http://www.larsschall.com/2010/11/28/im-innern-des-illusorischen-reiches-des-banken-und-waren-schwindels/
v Simon Rogers: “EU arms exports to Libya: who armed Gaddafi? Which EU countries export the most arms to Libya? Get the full data here“, veröffentlicht in The Guardian am 1. März 2011 unter: http://www.guardian.co.uk/news/datablog/2011/mar/01/eu-arms-exports-libya
vi Vgl. Major General Smedley D. Butler: “War Is A Racket”, unter: http://www.ratical.org/ratville/CAH/warisaracket.html
Quelle: http://www.larsschall.com/2011/03/20/rendezvous-mit-dem-tod/
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