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Der Bahnhof des himmlischen Friedens
geschrieben am 01. Oktober 2010 von Spiegelfechter
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Welche Mittel darf der Staat anwenden, um seine Entscheidungen durchzusetzen? Prinzipiell darf der Staat jedes Mittel anwenden, er ist jedoch auch dazu verpflichtet, seine Mittel an der Verhältnismäßigkeit auszurichten. Es ist aber nicht verhältnismäßig, wenn man bis an die Zähne bewaffnete Polizeihundertschaften mit brutalster Gewalt auf Schüler hetzt. Natürlich haben die Verantwortlichen Recht, wenn sie als Verteidigung vorbringen, die betroffenen Schüler hätten schließlich eine Ordnungswidrigkeit begangen, als sie einen Polizeilaster, der Sperrgitter transportierte, „besetzt haben“.
Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit besagt aber, dass die Staatsgewalt erst dann zu einer härteren Maßnahme greifen darf, wenn kein milderes Mittel zur Verfügung steht, das in gleicher (oder sogar besserer) Weise geeignet ist, den Zweck zu erreichen, aber den Betroffenen weniger belastet. Ein Staat, der Kinder niederknüppeln lässt, tritt das rechtsstaatliche Prinzip der Verhältnismäßigkeit allerdings mit Füßen. Was sich gestern in Stuttgart abspielte, hat mit einem Rechtsstaat nicht mehr viel zu tun.
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Doch welches Ziel kann und soll eine parlamentarische Demokratie haben? Stuttgart 21 ist ein Projekt, das von den Repräsentanten des Volkes ordnungsgemäß beschlossen wurde. Doch die Basis dieser Legitimation hat sich mit der Zeit dramatisch geändert. Je mehr Informationen, die eigentlich unter den Teppich gekehrt werden sollten, ans Licht kamen*, desto stärker wurde der Widerstand gegen das Projekt. Eine ideale Demokratie ist eine lebendige Demokratie. Selbst wenn beispielsweise der Familienrat den Vorschlag des Familienvaters mehrheitlich unterstützt, am nächsten Tag mit der Familie einen Spaziergang zu unternehmen, so wäre es zumindest unklug, an diesem Vorhaben festzuhalten, wenn sich das Wetter am nächsten Tag massiv verschlechtert. Besteht der Vater dennoch auf dem Familienspaziergang, so könnte man ihn als borniert beschreiben. Treibt er seine widerwilligen Kinder mit einem Schlagstock aus dem Haus, so versündigt er sich nicht nur an der moralischen Legitimation als Familienoberhaupt, sondern führt das Prinzip eines Familienrats ad absurdum. Nur Dummköpfe können der Meinung sein, dass ein Entschluss unabänderlich ist, wenn sich die Grundvoraussetzungen ändern. Landesvater Mappus ist nicht nur borniert, er ist auch ein gewalttätiger Dummkopf, wenn er seinen Willen mit Gewalt gegen das Volk durchsetzen will. Er hat das Prinzip der Demokratie ad absurdum geführt und müsste in einer besseren Welt zurücktreten. Natürlich wird er dies nicht tun, die Chancen, dass er im nächsten Frühjahr in seinem Amt bestätigt wird, sind jedoch spätestens seit gestern gen Null gesunken.
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Stuttgart 21 ist mehr als ein Fanal, es ist die Bankrotterklärung der repräsentativen Demokratie. Dort, wo der Wille des Volkes durch die Macht der Waffen unterdrückt wird, ist kein Hort der Demokratie, sondern ein Abgrund der Repression. Wenn es die repräsentative Demokratie nicht schafft, das Vertrauen des Volkes zurückzugewinnen, droht dem Land eine neue Ära des bürgerlichen Widerstands. Es gab immer Demonstrationen von Minderheiten, die mit Gewalt niedergeschlagen wurden. In Stuttgart ist es allerdings das Bürgertum, die Mittelschicht, die sich gegen einen bornierten Staat stellt, der offenbar bis zum Äußersten geht, um seinen Willen durchzusetzen. Alle Staatsmacht geht vom Volke aus? Welche Bedeutung hat dieser Satz am heutigen Tag? Die politischen Eliten sollten in sich gehen und einmal darüber nachdenken. Noch haben sie Zeit, die Demokratie zu retten, indem sie dafür sorgen, dass die Demokratie wieder mehr ist als ein hohles Wort. Doch die Zeit läuft ab, und wer meint, die Entwicklungen aussitzen zu können, wird früher oder später vom Volk hinweggefegt. Man sollte die Geschichte nicht durch einen Mangel an Phantasie beleidigen.
Jens Berger
Wer MP Mappus und Innenminister Rech zum Rücktritt auffordern will, der kann dies über den Mailer von Campact tun! Nur zu!
Zum Thema: Felix Neumann: Ohnmacht, Wut und repräsentative Demokratie
Stefan Sasse: Proteste gegen S21 eskalieren – was sind die Folgen?
* Über die Hintergründe werde ich in der nächsten Woche einen Artikel verfassen
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