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Neulich im offenen Arge-Vollzug
Ich war gerade dabei, mich auf dem Schreibtisch meiner ARGE-Sachbearbeiterin breit zu machen, mit einem anzüglichen Lächeln über ihr fleißiges Fingergetippsel, das mich aus den Analen ihrer EDV herauskitzeln sollte.
"Ah, jetzt habe ich sie."
"Schön, dass sie sich an mich erinnern."
"Ok... also, sie sind der Herr W."
"Ja, der bin ich immer noch; da hat sich auch nichts daran geändert.
Nur ein paar Lachfalten mehr. Sie verstehen ..."
"Gut. Also immer noch bedürftig (?)"
"Ja.
Sie werden es wahrscheinlich nicht verstehen, aber der Müsli-Riegel unter ihrem Schreibtisch lacht mich echt an."
"Oh, der ist wohl herunter gefallen."
"Darf ich?"
"Bedienen sie sich ..."
"Sollte ich dies nicht der Leistungsabteilung angeben?"
"Wollen sie mich vereimern?"
"Nein.
Ich kenne nur meine Pflichten als getreuer Leistungsbezieher.
Schwarzessen ist nicht mein Ding."
"Gott segne sie."
"Das Maximum lebe ich als Minimum, als wirtschaftliche Säule, kurz vor dem Erstarren. Immerhin die Himmelstür im Blick, die mir selbst der Papst nicht verweigern dürfte."
"Haben sie getrunken?"
"Noch nicht. Mögen sie eine Dose Bier? Ist billiger, als von der Tanke."
"Sie sind mir einer..."
"Psst ... ich schreibe gerade ein Buch:
Mach dich fit für Hartz 4."
"Geil.
Ich darf ihnen versichern, dass wir sie bis zum Abwinken fördern werden.
Und zwar mit einem Eingliederungsvertrag, den sie unterschreiben müssen, als freier Schriftsteller erst einmal einen 1Euro-Job zu absolvieren.
Nach dieser Zeit ihrer beruflichen Orientierung, werde ich sie in eine weiterführende Maßnahme verweisen, mit der Aussicht auf weitere Praktikantenstellen für die nächsten fünf Jahre."
"Cool, da bin ich sechzig, und voll drauf auf der Überholspur. Im Altersheim wird man sich gerne an mich erinnern."
"Halten sie den Deckel mal runter.
Den großen Knaller können sie sich ans Bein schmieren..."
"Als Schmierenkomödiant im Staatstheater?
Echt?
Diese kleine Flöte werde ich mit Hingabe zupfen."
CC-Lizenz
http://frei-blog.blogspot.com/2011/02/schrei-wenn-du-noch-schreien-kannst.html
Schrei, wenn du noch schreien kannst.
Volker Wulle
Lass uns durch die Straßen gehen,
mit dem letzten Hemd, das dir geblieben ist.
Lass uns den Blick nicht senken, auf den Asphalt,
der deine Schritte schluckt.
Schrei deine Sprachlosigkeit in die Kälte.
Herr H. freute sich über seinen Einkauf beim Discounter.
Eine Packung Linsen, Karotten, eine Büchse Bratheringe, eine Salami, die er zum halben Preis erstanden hatte, da das Haltbarkeitsdatum schon fast erreicht ist.
Es reicht für die nächsten Tage, dachte H., es muß reichen; keine Chance auf Mehr, vergiss es.
Essen als Luxusgut.
H. schüttelte den Kopf.
Wie erbärmlich es doch ist, diese Jagd nach der täglichen Nahrung, das Abzählen der Geldration, um wenigstens satt zu werden.
Heute, am Freitag, hätte H. bei der Lebensmittelausgabe der Caritas wieder ein Paar Vorräte einkaufen können.
Allein der Gedanke daran ließ ihn innerlich erstarren.
H. hörte den zwei Stimmen in seinem Kopf zu, wie sie darüber stritten, ob er sich dieser Demütigung - ein Bettler zu sein -, aussetzen sollte.
Ich kann es nicht, sagte H.
Es würde ihm wieder übel werden, wenn er versuchte, die Abfälle der Gesellschaft in sich hineinzustopfen.
Eine Packung Essbares aufzureißen, um sie gleich wieder wegen Schimmelbefall zu entsorgen.
Heute nicht.
Vieleicht das nächste Mal, wenn es keine andere Möglichkeit mehr gibt.
In der Schlange stehen, versuchen eine Nummer zu ziehen, während die Körper der Wartenden dich ohne Rücksicht zur Seite drängen.
Sich den eigenen Gefühlen entgegen zu stemmen, um nicht in die Ausweglosigkeit mitgerissen zu werden.
Tränen als das Blut der Seele, dachte H.,
Träume als Nahrung des geschundenen Ichs.
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