Matthäus - Kapitel 7
Vom Richtgeist
1 Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet. (Römer 2.1) (1. Korinther 4.5) 2 Denn mit welcherlei Gericht ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden; und mit welcherlei Maß ihr messet, wird euch gemessen werden. (Markus 4.24)
Luther Bibel (1545)
Die Rache ist mein; ich will vergelten. Zu seiner Zeit soll ihr Fuß gleiten; denn die Zeit ihres Unglücks ist nahe, und ihr Künftiges eilet herzu.
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Womit wollen wir eigentlich werben in der Welt?
Dienstag, 3. Mai 2011
Obama trat vor die Presse und teilte die Attraktion der Weltöffentlichkeit mit, merkte an, dass nun der Gerechtigkeit Genüge getan wurde. An diesem Ausspruch alleine läßt sich ermessen, wie es um die Ethik der Achse des Guten bestellt ist: Gerechtigkeit also! Tote mit Toten zu vergelten, das ist die Gerechtigkeit einer Nation unter Waffen und vor Gott - buchhalterische Mordsgerechtigkeit: Hie Tote von uns, dort Tote von denen, sauber verrechnet und ausgeglichen - und zwischendrin, als Krone der Gerechtigkeit quasi, der tote Boss. Über das erschossene Böse darf man jubeln, man darf sich über den Tod eines Menschen - und er bleibt trotz allem Mensch! - freuen, wie hippelige Kinder kurz vor der weihnachtlichen Bescherung - das ist sogar noch politisch korrekt! Nicht falsch verstehen: man müsste ja nicht trauern - aber skandierend und frohlockend durch die Straßen ziehen? Ist das das Angesicht dieser Gesellschaft aus Sanftmut, Aufklärung und Fairness, das man bombend und terrorisierend in die unzivilisierte Welt hinaustragen wollte?
Die Vereinigten Staaten fürchten sich nun vor Vergeltungsschlägen. Die US-amerikanische Administration weiß also doch, dass Gewalt nur Gewalt nach sich zieht, dass Augen mit Augen und Zähne mit Zähnen vergolten werden - die Wiederbelebung der Talionsformel: Z2 x Z2 = Z2 x Z2 = Gewalt2 Wenn nicht endlich einmal einer mit dieser Spirale der Gewalt bricht, dann kehrt ja nie Frieden ein! Man weiß und wußte das, man fürchtet sich davor und trotzdem machte man damals, vor zehn Jahren, die Vergeltung zum politischen Programm. Und was wenn Vergeltungsschläge eintreten? Hat man dann einen neuen Terrorfürsten in petto, den man eine Dekade lang jagen könnte? Übersät man irgendein afghanisches Kaff mit Splitterbomben, nimmt man eine irakisches Städtchen unter Feuer? Alles nur aus Rache? Bis dass deren Rache wieder die Rachsüchtigen ereilt? Freut sich der Pöbel auf den Straßen Amerikas denn auch darüber? Dass er bald wieder im Visier von Racheengeln stehen könnte? Oder juchzt er so, weil er weiß, dass nach der Rache vor der Rache ist? Gewalt gibt Gewalt gibt endlose Gewalt - und die Bürger der sanftmütigen und aufgeklärten Weltanschauung des Westens, die Menschen, die in der Achse der Guten leben, freuen sich pathetisch auch noch darüber!
Die Verbündeten, sie kennen auch kein Schamgefühl. Allen voran das rhetorische Nullsummenspiel im Hosenanzug, Kanzlerin Merkel: sie sei froh, dass es gelungen ist, Bin Ladin zu töten. Das ist die Aussage einer Frau, die einem Land vorsteht, das die Todesstrafe nicht mehr kennt; so artikuliert sich sonderbarerweise jemand, der Mitglied eines besseren Gesellschaftsentwurfes, einer fortschrittlichen Zivilisation sein will, in der man Respekt vor dem Leben hat - auf die Werte des Grundgesetzes und der Deklaration der Menschenrechte pfeift sie dabei. Von so jemand wird man regiert, von einem Racheengel in biederer Politikerinnenkluft - und was noch schlimmer ist: kaum einer stößt sich an solchen Aussagen; man läßt die Tante aus dem Kanzleramt tönen und eine gute Frau sein. Es sind manche schon für weniger zurückgetreten!
Betrauert einer der Verbündeten denn, dass man Bin Ladin nicht mehr vor Gericht stellen kann, dass die Chance vertan ist, ihn vor ein Tribunal oder nach Den Haag zu verfrachten? Die Demokratin Merkel freut sich, weil Bin Ladin getötet wurde - von Gerichtshöfen, als demokratische Einrichtung sozusagen, als Errungenschaft eines aufgeklärten Staatsgedankens letztlich, hält sie wenig. Sie verurteilt die Morde, die Bin Ladin begehen ließ und gratuliert trotzdem anderen Mördern, die aber gar keine Mörder sind, weil sie einen Mörder ermordet haben. Ist das das Rechtsempfinden einer westlichen Welt, die stets vorgibt besser zu sein, als die östliche Welt? Die Verbündeten, sie betrauern nicht, dass Den Haag verpasst wurde, sie betrauern nur, bald Opfer einer Racheaktion werden zu können. Oh Kleinmut, du bist politisches Programm der Sanftmütigen und Aufgeklärten auf Erden, diesen Neokons und Neoliberalen, dieser westlichen Krämerseelen und Militärs!
So anders seien sie, als die wilden Horden, die dem Terror folgen. Ganz anders! So liest, hört, sieht man es ständig. Und dann bejubeln sie den Tod eines Menschen wie ein wichtiges Tor bei einer Weltmeisterschaft, wie einen grandiosen Sieg beim Super Bowl. Unmoralische Moralisten, nicht nur in Hosenanzügen, betreten Bühnen und teilen ihre Freude darüber mit, dass dieser Mensch nun den Tod fand - keiner verlangt Trauer, aber Respekt vor menschlichen Leben, das wäre doch mal was. Auch der Terrorist ist Leben und auch er hat, qua seiner Verbrechen, ein Anrecht darauf, adäquat und fair von einem Richter verurteilt zu werden. Von einem Richter wohlgemerkt, nicht von einem Killerkommando, das in Hinterköpfe ballert! Das beinhaltet der Respekt vor menschlichem Leben - das muß man verlangen dürfen! Gerade dann, wenn man dem Toten unterstellte, er habe ebendiesen Respekt nie besessen. Da muß man ihm zeigen: so geht es besser, so ist es menschlicher, so ist es sanftmütiger aber dennoch konsequent!
Und uns wolltest du vernichten, Bin Ladin, hätte man ihm hinwerfen können nach einem Prozess, uns, die wir dich trotzdem leben lassen, wenn auch in lebenslanger Haft? Sieh doch, wir sind sanftmütig, wir sind besser als die kleine Gruppe von Hardlinern, die Steinigungen für kleinere Vergehen als angebrachte Strafe empfinden. Das wäre gelebte Zivilisation, die wir uns ja allesamt einbilden im schönen Westen! Doch so, als Befürworter der Lynchjustiz: womit wollen wir dann eigentlich werben in der Welt? Was macht uns besser als die anderen? Die Reaktionen und Affekte aber, die man nach der "frohen Kunde" im Fernsehen sah, sie machen erschrecken - von der anderen Seite, mit talibanischen Augen geschaut, sehen die wilden Bestien nicht viel anders aus, als jene Bestien, die man uns präsentiert; die irren Massen auf der Straße, geifernd vor Hass, gleichen einander drastisch, ob in Washington oder Kabul, der Mob ist immer widerlich - das Gute, das Sanftmütige, das Aufgeklärte, kürzer gesagt: das Richtige, es ist immer Ansichtssache...
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